Der frühere Handball-Bundestrainer Heiner Brand über das Spitzenspiel gegen den THW Kiel, Nachwuchsprobleme und das Nationalteam.

Hamburg. Seine Frau, sagte Heiner Brand, habe sich das alles anders vorgestellt. Dass ihr Mann nämlich als Manager im Deutschen Handball-Bund ein bisschen weniger unterwegs wäre als in seiner Zeit als Bundestrainer von 1997 bis 2011. "Es ist eher noch mehr geworden", sagt Brand, 60. Nur dass ein Bundesliga-Spitzenspiel wie das des HSV gegen den THW Kiel an diesem Sonnabend (15 Uhr, O2 World/Sport1) kein Pflichttermin mehr ist. Von seiner Popularität hat der einstige Weltmeister-Spieler (1978) und -Trainer (2007) aus Gummersbach ohnehin nichts eingebüßt.

Hamburger Abendblatt: Herr Brand, werden wir am Sonnabend den nächsten deutschen Meister sehen?

Heiner Brand: Ich denke schon - den neuen und alten. Die Kieler werden sicher mal ein Spiel verlieren, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie jemand im Titelkampf gefährden kann. Zumal sie, anders als der HSV, keine Verletzten zu beklagen haben. Sie sind auf jeder Position doppelt stark mit unterschiedlichen Spielertypen besetzt, das verleiht ihrem Spiel eine enorme Dynamik.

In den vergangenen Jahren hat der Zweikampf HSV - Kiel die Bundesliga geprägt. Wird das auch künftig so sein?

Brand: Man muss abwarten, was beim THW passiert, wenn Leistungsträger wie Torwart Thierry Omeyer ausscheiden. Aber bisher ist es ihnen meistens gelungen, sich wieder gleichwertig zu erneuern. Beim HSV wird es in absehbarer Zeit einen Umbruch geben müssen, da etliche Spieler in fortgeschrittenem Alter sind. Die Entwicklung wird entscheidend davon abhängen, wie stark sich Gesellschafter Andreas Rudolph weiter finanziell engagiert.

Viele Bundesligavereine sind wirtschaftlich ins Trudeln geraten, Sponsoren und Mäzene brechen weg. Der HSV muss sparen, auch das Zuschauerinteresse bröckelt. Hat der Handball seine besten Jahre hinter sich?

Brand: Das glaube ich nicht. Dass der HSV ein paar Zuschauer verliert, wenn er nicht mehr an der absoluten Spitze mitspielt, ist normal. Man muss sehen, dass der Hype um den Handball nach dem Heim-WM-Sieg 2007 auch negative Konsequenzen für die Vereine hatte. Die Spieler sind erheblich teurer geworden. Ich hoffe, dass sich die finanzielle Situation wieder normalisiert und wir eine Bundesliga mit 18 gesunden Vereinen erleben werden.

Ihr Nachfolger Martin Heuberger hat eine Verkleinerung der Liga angeregt, aber auch die Zahl der Turniere infrage gestellt. Teilen Sie seine Auffassung?

Brand: Über eine EM im Olympiajahr kann man sicher diskutieren. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es diese Turniere sind, die die Öffentlichkeit über die Handballszene hinaus ansprechen, und nicht die Champions League bei Eurosport. Sie ist ohnehin viel zu aufgebläht, viele Spiele sind selbst für mich als Handballer nicht mehr attraktiv. Die Meister und der Titelverteidiger würden als Teilnehmer völlig genügen. Es sind ja nicht die Spiele selbst, sondern die weiten Reisen, die die Spieler kaputt machen.

Wir werden am Sonnabend in Hamburg nicht den Kern der Nationalmannschaft sehen. Kiel hat zwei aktuelle Auswahlspieler, der HSV gar keinen. Sind die Deutschen nicht gut genug für die Spitzenvereine?

Brand: Anscheinend sind die Ansprüche andere. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir mehr deutsche Spieler auf verantwortungsvollen Positionen in solchen Mannschaften hätten, ähnlich wie in Spanien. Aber die Anzahl der Spieler ist für mich nicht so interessant. Unser Problem ist die Anschlussförderung. Hier muss ich von allen Vereinen erwarten, dass sie mit jungen Spielern individuell arbeiten und sie in die Profimannschaften integrieren. Dann würden wir, siehe Fußball, auch wieder mehr deutsche Spieler in den Topvereinen sehen.

Dringt der DHB-Manager Heiner Brand mit diesem Ansinnen bei den Vereinen besser durch, als es der Bundestrainer Heiner Brand konnte?

Brand: Ein bisschen haben sich die Fronten nach meinem Empfinden schon aufgeweicht. Aber es wird noch lange nicht genug getan. Sie müssen eins sehen: Im Jugend- und Juniorenbereich sind unsere Spieler nicht schlechter ausgebildet als in anderen Ländern. Meine Tätigkeit bezieht sich im Moment unter anderem darauf, zusammen mit unserem Mentor Wolfgang Sommerfeld Schule, Ausbildung und Sport für diese Nachwuchselitespieler zu koordinieren. Wir können in Deutschland nicht verlangen, dass die jungen Leute ausschließlich auf den Sport setzen. Sie müssen auch leben können, wenn sie mit Mitte 30 mit dem Handball aufhören.

Haben Sie mit dem Trainerberuf abgeschlossen?

Brand: Ja, ich bin weit weg davon, auch wenn man nie Nie sagen soll. Der Entschluss aufzuhören war ja auch lange genug gereift. Ich hätte mir nur gewünscht, mit einer Medaille aufzuhören. Ich habe nach 2008 weitergemacht, weil ich immer noch Freude an der Arbeit mit der Mannschaft hatte. Aber ich war mir über das Risiko, dass es nicht so erfolgreich weitergehen könnte, durchaus im Klaren.

HSV-Spielmacher Michael Kraus war Ihr größtes Versprechen für die Zukunft, er wurde bei der WM 2007 zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt. Aktuell gehört er nicht einmal mehr zum Kader. Glauben Sie, dass er noch einmal den Durchbruch schafft?

Brand: Wenn er so weitermacht wie in den letzten zwei Spielen, wird Martin Heuberger sicherlich noch einmal über ihn nachdenken. Mimi bringt alle Voraussetzungen mit und hat ungeahnte Möglichkeiten. Wichtig ist, dass er sich wirklich auf den Handball konzentriert und dies nicht nur kundtut. Er ist jetzt 29, es wäre höchste Zeit, wenn er noch einmal den Absprung schaffen will.

Sowohl die Frauen als auch die Männer haben die Olympischen Spiele in London verpasst. Welche Mannschaft wird schneller wieder den Anschluss an die Weltspitze schaffen?

Brand: Beide sind nicht weit davon entfernt. Die Männer waren auch in den letzten Jahren in der Lage, jede andere Mannschaft zu schlagen. Nur um zu illustrieren, wie eng die Weltspitze beisammenliegt: Die Schweden haben bei Olympia Silber gewonnen, sich aber nicht für die WM im Januar in Spanien qualifiziert. Was uns fehlt, ist die Konstanz. Den Frauen hatte ich bei der WM 2011 schon zugetraut, eine Medaille zu gewinnen. Wie der Einbruch dort zu erklären ist, dafür fehlt mir vielleicht noch der Einblick.

Bei den Frauen arbeitet der Bundestrainer eng mit der Bundesliga zusammen und hält sogar Trainingseinheiten bei den Vereinen ab. Wäre dieses Modell auf den Männerhandball übertragbar?

Brand: Nein, dafür ist der Grad der Professionalisierung viel zu hoch und die Zeit viel zu knapp, gerade bei den Champions-League-Vereinen. Stellen Sie sich mal vor, ich würde zum HSV kommen und sagen: Schwalbe, geh mal raus, ich trainiere jetzt mit den Jungs! Ich glaube, wir hätten keinen schönen Nachmittag. Abends beim Bier diskutieren, das ist sicher möglich.

Die Forderungen nach einem Neuanfang im Deutschen Handball-Bund mehren sich. Stehen Sie dafür zur Verfügung?

Brand: Ich arbeite ja bereits an der DHB-Spitze mit. Auf gewissen Positionen wird es 2013 Neuwahlen und daher auch Veränderungen geben.

Weil es sie geben muss?

Brand: Wir dürfen eins nicht vergessen: Das jetzige Präsidium hat den Verband durch die erfolgreichste Ära des deutschen Handballs geführt und die Finanzen in Ordnung gebracht. Wir haben einen hervorragenden Trainerstab und große Erfolge im männlichen Jugend- und Juniorenbereich. Insofern grenzen die Anfeindungen und Rücktrittsforderungen gegen Präsident Ulrich Strombach an eine Unverschämtheit. Da haben sich viele geäußert, ohne selbst eine Erfolgsgeschichte vorweisen zu können. Man darf bei aller Offenheit für neue Ideen nicht den Respekt vor der Leistung anderer verlieren.

Zuletzt hat der Handball viele negative Schlagzeilen gemacht. Montpellier wurde durch einen Wettskandal erschüttert, in Lemgo wird wegen Betrugs ermittelt, gegen Kiels früheren Manager Uwe Schwenker wegen Untreue. Ist das nur die Spitze eines Eisbergs?

Brand: Das kann ich mir nicht vorstellen. Da sind einige unnötige Diskussionen in Gang. Das Thema Uwe Schwenker wird sich aus meiner Sicht erledigen, die Situation in Lemgo ist ziemlich undurchsichtig. Was in Montpellier passiert ist, zeugt vor allem von einer großen Naivität, vielleicht auch von Geldsucht einiger Spieler. Der Handball hat meines Erachtens kein Imageproblem, denken Sie nur an das, was für Joachim Deckarm getan wird. Da steht die Handballfamilie schon zusammen.

Die Nationalmannschaft spielt am 5. Januar in Hamburg gegen Schweden. Wäre das nicht die Gelegenheit, HSV-Kapitän Pascal Hens nach dem Rücktritt Anfang des Jahres offiziell zu verabschieden?

Brand: Es muss für den Bundestrainer zu verantworten sein. Immerhin ist es das vorletzte Testspiel vor der WM. Grundsätzlich wünsche ich Pascal natürlich ein schönes Abschiedsspiel. Verdient hätte er es.