Serie - Schmelings letzte Kämpfe - und die Lizenz zum Gelddrucken.

Hamburg. "Ist das nicht . . . ?" Die Passanten vor dem Dammtor-Bahnhof trauten ihren Augen nicht. Tatsächlich, er war es: Am Straßenrand stand unverkennbar und mit unverändertem Stolz Max Schmeling - in gestreifter Sträflingskleidung, mit einem Besen in der Hand. Den Volksauflauf beendeten britische Militärpolizisten nach wenigen Minuten, die Reinigungsaktion ebenso: Zurück in die Zelle nach Fuhlsbüttel!

Seine dreimonatige Haftstrafe saß der Meister aller Klassen bis zum letzten Tag ab. In dem Gefühl, nichts gravierend Unrechtes getan zu haben. So pingelige Bürokratenhürden wie Bau-Teilgenehmigungen sind nicht geschaffen für Männer seines Schlages. Wie hätte das Haus an der Alsterkrugchaussee sonst so rasch errichtet werden können? Das Militärgericht sah das anders. Und verdonnerte den Champ am 13. Mai 1946 zudem zu 10 000 Mark Geldbuße. Viel Zaster für einen Jungunternehmer, der klamm war - wie fast alle in diesen Nachkriegstagen.

Nur ganz wenige aber hatten so viel verloren wie das ehedem millionenschwere Ehepaar Anny und Max Schmeling. Auch aus Herzensgründen besonders schwer wog der Verlust des 3200 Morgen umfassenden Rittergutes in Ponickel in Pommern, dessen Erwerb mit 3,5 Millionen Reichsmark zu Buche schlug, und das nun von den Russen okkupiert war. Der Wohnblock in Winterhude lag in Schutt und Asche.

"Ich sah mich noch einmal vor dem Nichts", erinnerte sich der Schwergewichts-Weltmeister in seinen Aufzeichnungen. "Wir lebten von der Hand in den Mund und dachten daran, die wenigen Erinnerungsstücke, die wir aus dem Zusammenbruch gerettet hatten, zu verkaufen." Die paar Nebenjobs als Ringrichter brachten nicht die finanzielle Wende.

In dieser Notlage keimte die Idee eines Comebacks. "Max, geh' wieder auf die Bretter und hau' sie weg", forderten Freunde. Nicht leicht für einen 41jährigen, der im Juli 1939 seinen letzten Profikampf bestritten hatte, im Krieg schwer verletzt wurde und sich zuletzt mehr schlecht als recht durchboxte.

Jetzt aber bewährten sich Biß wie Wagemut, die schon einmal auf den Olymp geführt hatten: Ein Jahr trainierte Schmeling eisern für sein Comeback, bis es am 28. September - seinem 42. Geburtstag - endlich soweit war: Von 40 000 im Waldstadion zu Frankfurt mit Ovationen begleitet, schlug der "Schwarze Husar" den Magdeburger Werner Vollmer K. o. Und plötzlich war "Maxe" wieder wer. Jene, die zuvor abgetaucht waren, wollten sich im Glanze der Lichtgestalt sonnen. Vier Fights folgten, doch die Fäuste flogen nicht wie früher.

42 000 Boxfans in der Berliner Waldbühne erlebten am 31. Oktober 1948 Schmelings 70. und letzten Profikampf gegen Richard Vogt aus Hamburg - er endete mit einer Punktniederlage. Doch darauf kam es nicht so sehr an: 40 000 D-Mark bedeuteten unmittelbar nach der Währungsreform ein formidables Startpaket.

Der sportliche Ruheständler erwarb in Hollenstedt am Rande der Lüneburger Heide ein ländliches Refugium von 40 Morgen, das später zum geliebten Ruhesitz werden sollte. Von Pioniergeist beseelt, wagte Schmeling den Aufbruch ins Wirtschaftswunderland: Mit einer Pelztier- und Karpfenzucht, mit Geflügel, mit Tabakanbau. Parallel wurde in Hochgeistiges investiert: Eierlikör! 40 Angestellte packten mit an. Der Konsum hielt sich in Grenzen, auch bei der Sekt-Abfüllung "Schmeling extra dry".

So richtig rollte der Rubel, als Coca-Cola lockte - mit einer Art Lizenz zum Gelddrucken. Vermittelt von seinem früheren Kumpan Jim Farley: Der Haudegen war vom Präsidenten der New Yorker Box-Kommission zum Boss des Cola-Konzerns aufgestiegen. Die alte Verbindung machte den Weg frei. Die "Max Schmeling & Co. KG" in Bramfeld mauserte sich zu einer Goldgrube. Behutsam betrieben von einem Gentleman ohne Nadelstreifen, der das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft vorlebte. Die Schmeling-Stiftung tat millionenschwer Gutes; leise, aber wirkungsvoll, in Hamburg, an "Maxes" Geburtsort Klein-Luckow und anderswo.

Im Grundsatz blieb Schmeling seinem Charakter treu, als Seele von Mensch. Den Rummel mied er nicht, er suchte ihn aber auch nicht. Weit glücklicher stimmten die Tage mit Anny im grünen Paradies in Hollenstedt - bis zu deren Tod 1987. Für Max hatte es nur diese eine Frau gegeben. Und das reichte zum großen Glück. Bis zu seinem 95. Geburtstag fuhr Schmeling immer wieder in seine Firma. Manchmal mit einem Umweg durch die Hasselbrookstraße in Eilbek. Dort, wo alles begann - und unvergessen bleibt.