Neue Serie: Max Schmelings Kindheit und Jugendzeit - von der Geburt in Klein-Luckow ins Elternhaus nach Hamburg und dem Premierenkampf im Wohnzimmer.

Die gutmütige Augenpartie mit den buschigen Brauen, die hervorstehenden Wangenknochen, eine markante Nase, die hohe Stirn - das kennt jeder. Wie aber sehen die Hände eines Boxchampions aus, der mit seinen Fäusten die Ring-Rivalen reihenweise auf die Bretter schmetterte? Grobschlächtig wie die eines Metzgers? Bratpfannengroß, wulstig, vernarbt gar?

Weder noch: Max Schmelings Hände sind ganz normal: groß und gepflegt. Auch der Händedruck fällt normal aus: herzhaft, keineswegs übertrieben hart. "Willkommen", sagte der Meister aller Klassen. "Light oder normal?" fragte er die Abendblatt-Reporter, die ihm vor einigen Jahren zum Geburtstag gratulierten, mit Blick auf eine Batterie Coca-Cola. Eiskalt? Wie sonst! Das Eis ist gebrochen. Bedächtig signiert er sein Buch, mit schwarzem Filzstift. Ein Geschenk, nunmehr von hohem ideellen Wert. Der Titel, ganz schlicht: "Max Schmeling - Erinnerungen".

Kumpel Alfred war der erste, der die ganz besondere Schlagfertigkeit des späteren Schwergewichts-Weltmeisters zu spüren bekam. Als Alfreds Eltern, beide Bibelforscher, außer Haus weilten, wurde die gute Stube zur Boxarena umfunktioniert. Den schweren Eichentisch an die Wand gerückt, den Teppich aufgerollt, und los gings. Als Boxhandschuhe dienten des Bibelforschers Socken, und schon der erste Hieb saß. Von Max eher spielerisch am Kinn getroffen, ging Alfred in die Knie, kippte nach hinten und schlug mit dem Kopf gegen Mutters Nähmaschine.

"Los, zähl ihn doch aus!" frohlockte Max, übermütig zur Ofenecke tänzelnd. Erst da bemerkten die Burschen, daß Alfred tatsächlich k.o. war. Nach bangen Minuten erwachte Alfred aus der Ohnmacht. Man gab sich die Hände, richtete das Wohnzimmer zurecht, legte den Premierenkampf gedanklich ad acta. Zum ersten Mal hatte Max Schmeling registriert, welche enorme Wucht in seinen Fäusten steckte.

Der Sport war taugliches Mittel, den jugendlichen Tatendrang und die Bärenkräfte des damals 13jährigen in sinnvolle Kanäle zu lenken. Als Torwart in der Jugendmannschaft bei "Helvetia" sowie im SV St. Georg träumte Max vorübergehend von einer Karriere als Fußballstar.

Der Familie, protestantisch und reell mit den Beinen auf norddeutscher Scholle, schwebte ein bürgerliches Leben für ihren Jungen vor. Indes: Signalisierte nicht schon der Vorname Maximilian Siegfried Adolpho Otto Besonderes? Daß "Maxe" am 28. September 1905 nicht daheim in Hamburg zur Welt kam, lag am Beruf des Vaters Max, der als Oberbootsmannsmaat im Dienste der Hamburg-Amerika-Linie (HAPAG) über den Ozean schipperte.

Kurz vor der Entbindung reiste Mutter Amanda mit dem damals dreijährigen Rudolf in die Geborgenheit ihres Elternhauses nach Klein-Luckow in die Uckermark. Ein Jahr später ist die Familie wieder komplett in Hamburg. Zuerst in Rothenburgsort, später in der Hasselbrookstraße 14 in Eilbek. Viertes Stockwerk, eine graue Gegend, in der Arbeiter und Mittelstand zu Hause sind.

Turn- und Klassenlehrer Carl Burkhardt erinnert sich später an einen unauffälligen Volksschüler, der das Pensum in der Stresowstraße ohne große Anstrengungen schafft. Nicht mehr, nicht weniger. Einzige Ausnahmen: Singen sechs, Sport eins. Es folgte eine Lehre bei der Annoncen-Expedition William Wilkens. Zu Max' Aufgaben zählte es, Matrizen zum "Hamburger Korrespondenten" und zu den "Hamburger Nachrichten" zu bringen.

"Mein größter Moment kam immer dann, wenn mir Herr Wilkens erlaubte, seinen Isotta, einen großen Wagen mit verchromten Lampen und blitzenden Speichen, zu putzen", sagte Schmeling. Der Junge aber wollte mehr.

Max kickte, rannte sich die Seele aus dem Leibe, ruderte, rang und schwamm. Wohlbehütet und liebevoll erzogen, war er dennoch für Remmidemmi jeder Art zu haben. Und davon gab es Anfang der 20er Jahre jede Menge: Nach dem Ersten Weltkrieg war Hamburg von frischem Lebensgeist beseelt, parallel herrschte immense Not.

Mancher, der wirtschaftlich profitierte, ging baden. So wie Herr Heil, seines Zeichens Fleischer, dessen Sülze exzellent mundete, preiswert war und so reißenden Absatz fand. Bis herauskam, daß sie aus Rattenfleisch bestand. Die Kundschaft war wenig amüsiert, wollte Heil lynchen, band ihn dann aber auf einen Holzwagen, fuhr ihn durch die Stadt und warf ihn in die Alster. Die Menge gröhlte, und Max johlte mit.

Daheim setzte es bei der Schilderung dieses Abenteuers Hiebe statt Gelächter. "Für meinen Vater war die Beteiligung an einem Volksauflauf gegen allen Ordnungssinn", berichtete Max junior später. Schmunzelnd erzählte er auch von seinem früh ausgeprägten Geschäftssinn. Jobs als Apotheken-Laufbursche, als Hobbyführer in Hagenbecks Tierpark und als "Zigarettenfabrikant": Aus Tabak der Sorte "Märkische Heide" fertigte Max Glimmstengel.

Das Geschäft florierte, bis er auch seinem Vater ein Sortiment anbot. Gut, daß Max senior nicht mitbekam, daß Sohnemann seine Entschuldigungen in der Lehrzeit selber schrieb. Unterzeichnet von Max Schmeling. Stimmte ja. Aus dem elterlichen Wunschberuf Pfarrer sollte wohl nichts werden.

Dafür war Bargeld vorhanden, um eigene Boxhandschuhe zu erstehen, für ein paar Groschen beim Trödler um die Ecke. Vielfach geflickt, aber ein Traum! Max hängte sie an einen Nagel direkt über seinem Bett. Daß es anschließend im wahrsten Sinn des Wortes Schlag auf Schlag zum Weltruhm ging, lag an einem Kinobesuch, zu dem "Maxe" seinen Vater überredete.