Serie - Zweite Folge: Max Schmeling und seine großen Erfolge als Boxer.
Hamburg. Da konnten sie Bücher schreiben, Reden halten, Orden verleihen - unsterblich wurde Max Schmeling durch seine Siege. Aber auch durch seine Niederlagen. Auf sich allein gestellt, im gleißenden Scheinwerferlicht, im Ring, Mann gegen Mann.
Mehr noch als glorreiche Triumphe indes schufen Gesten des Sportsgeistes und der Menschlichkeit einen Mythos, der den Hamburger zum Volkshelden aller Klassen formte. Jene spontanen Taten, die binnen Zehntelsekunden entschieden werden, die deswegen grundehrlich sind, die den Unterschied ausmachen zwischen einem Kerl mit Charakter und einer Kampfmaschine.
So wie am Abend des 4. Januar 1929 in New York. Rauch waberte durch das Yankee-Stadion, das Fluchtlicht brannte, und die Volksseele brüllte sich heiser: "Kill him, kill him!" Doch den Typen in den ersten Reihen, die mit den Brillies und Blondinen, erloschen die fetten Zigarren in den Pranken. Denn Schmeling stand wie eine deutsche Eiche und zermürbte seinen Rivalen Joe Sykra mit hammerharten Schlagfolgen.
Das Ende war nahe, Joe wankte, knickte ein, schutzlos. Schweigen in der Arena. Doch was machte Max? Anstatt Joe den Rest zu geben, ihn mit einem Volltreffer auszuknocken, reichte er seine Hand und half ihm hoch. Plötzlich wurde einer gefeiert, den sie zuvor noch im Staub sehen wollten.
Der Unterschied zwischen Gegner und Feind war dem "Schwarzen Husaren", so die Amis, in die Sportlerseele gegraben. Wie Schmeling auch in seinem Fight bewies, der ihn zur Legende machte, das Duell gegen Joseph Louis Barrow alias Joe Louis, den "Braunen Bomber" aus Alabama.
New York, Freitag, 19. Juni 1936. 40 000 toben; die Wetten stehen 10:1 für Louis. Zweite Runde, beide Boxer nehmen die Hände herunter, gehen in ihre jeweilige Ecke. Im Irrglauben, den Gong gehört zu haben. Ringrichter Donovan ruft sie zurück: "Weiter!" Schmeling ist sofort zur Stelle, Louis schaltet langsamer, steht deckungslos da. Statt zum finalen Schlag auszuholen, hält der Hamburger inne. Das Publikum erkennt die große Geste des Deutschen. Einen Moment wird das aufgeheizte Kampfklima unterbrochen: Applaus!
Wunder Nummer zwei ereignet sich in der zwölften Runde: Mit einer präzisen Rechten gegen Louis' Kinnspitze schmettert der große Außenseiter den Favoriten auf die Bretter: K. o.! Millionen Deutsche daheim an den Dampfradios trauen ihren Ohren nicht. Als Schmeling eine Woche später an Bord des Luftschiffs "Hindenburg" in Berlin-Tempelhof einschwebt, steht die Hauptstadt kopf. Und in der Hasselbrookstraße in Hamburg-Eilbek stehen die Menschen vor dem Haus Nummer 14, blicken hoch in den vierten Stock, mit Tränen in den Augen. Ein Junge aus dem Volke ist oben, ganz oben.
Hier, in der elterlichen Wohnung, stellte "Maxe" die Weichen in Richtung Weltruhm - mit einer diplomatischen Meisterleistung. Anlaß war die Kunde einer neuen Sportart, die Kriegsgefangene von der Isle of Man importiert hatten: In Deutschland schlugen die ersten Faustkämpfer wie Breitengräter, Naujoks, Prentzel und Wiegert los. Mehr durch Zufall war "Maxe" in die Spätvorstellung eines Eilbeker Filmtheaters gelangt. Dort flimmerte der WM-Fight zwischen Jack Dempsey und Georges Carpentier über die Leinwand. Mit einer umwerfenden Geraden in der vierten Runde: Wie von der Axt gefällt, knallte der Franzose auf das Holz. Max, körperlich robust und vor Kraft strotzend, war fasziniert. Abend für Abend ging er ins Kino; das gesamte Lehrlingsgehalt ging drauf. Nachts wiederholte sich die Ringschlacht in seinen Träumen.
Irgendwann ließ sich Max senior vom Enthusiasmus des quengelnden Juniors erweichen und ging mit. "Vater war still, doch auf dem Heimweg blieb er unvermittelt stehen und erteilte die Erlaubnis, Boxunterricht nehmen zu dürfen", erinnerte sich Schmeling später.
Ersten Lektionen bei Waldemar Meincke in Altona folgte der Berufswechsel ins Rheinland: Hier gab es bessere Jobs - und eine aktivere Boxszene. Max brachte seine Stärke als Rohrbieger und Brunnenbauer zur Geltung, jede Minute Freizeit im Ring verbringend: erst im Kraftsportverein Benrath, dann im Boxclub Köln-Mülheim/BC Colonia. Im April 1924 entschloß sich Schmeling, 18 Jahre jung und von Wagemut beseelt, zum Wechsel zu den Berufsboxern. Gewinnende Erfahrungen und schlagfertige Argumente aus 30 Kämpfen machten Mut.
Die Jahre vergehen im Sauseschritt: Profidebüt gegen Jean Czapp am 2. August 1924 (80 Reichsmark Siegbörse), 1926 Umzug nach Berlin (nur mit einem Pappkarton und viel Optimismus im Gepäck), Training bei Arthur Bülow, dem Chefredakteur des "Boxsport". 1926 folgt die erste deutsche Meisterschaft, 1927 das Europa-Championat, 1928 die USA-Premiere. Überschattet wird eine Ära im Siegesrausch von einem Unfall, der den Shooting-Star ins Mark trifft. Im Juli 1927 gerät Schmeling mit seiner Harley-Davidson ins Schleudern, Mutter Amanda und Schwester Edith (14) werden aus dem Beiwagen katapultiert. Edith stirbt.
Max boxt noch intensiver als zuvor schon. 80 000 New Yorker sind Augenzeugen: Als erster Europäer wird Max Schmeling am 12. Juni 1930 Schwergewichtsweltmeister, weil Jack Sharkey wegen eines mörderischen Tiefschlags in der vierten Runde disqualifiziert wird. Preisgeld: 747 000 Reichsmark. 1931 verteidigt er den Titel gegen Young Stribling, bevor er ihn 1932 gegen Sharkey wieder verliert. Unauslöschlich in die Geschichte allerdings ging der K.-o.-Triumph gegen Joe Louis ein - auch wenn es dabei nicht um die Krone ging.