Tommy Haas steht nach seinem Zweisatzsieg gegen Florian Mayer im Halbfinale des Turniers. Sein Gegner am Sonnabend ist der Kroate Marin Cilic.

Hamburg. Wie er so dasaß und im Plauderton das Geschehene analysierte, da klang Tommy Haas wie ein altersmilder Großvater, der über seinen Enkel urteilte. "Der Flo", sagte Haas, "ist in der Mitte seiner Karriere, er kann seine besten Jahre noch vor sich haben. Wenn er sein Bestes gibt, ist er sehr schwer zu knacken." Man kann an diesen Sätzen, die Haas über seinen Viertelfinalgegner Florian Mayer sagte, nichts Falsches entdecken. Das Problem war nur, dass sie aus dem Mund eines 34 Jahre alten Weltranglisten-49. kamen, der gerade beim wichtigsten deutschen Tennisturnier seinen sechs Jahre jüngeren und 26 Plätze besser eingestuften Landsmann abgeschossen hatte. 6:1 und 6:4 lautete das Ergebnis nach 71 höhepunktarmen Minuten, in denen Mayer wieder einmal eindrucksvoll vorgeführt hatte, was ihn am Sprung in die Weltelite hindert.

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Schon vor dem Match gegen seinen Daviscup-Teamkollegen hatte der Bayreuther wie ein kleiner Junge gewirkt, der seinen Helden anhimmelt, als er Haas als "den einzigen Typen im deutschen Tennis" bezeichnete. Und genauso trat er vor 6500 Zuschauern auf dem Centre-Court am Rothenbaum auf. Mayer ließ sich von Beginn an den Schneid abkaufen, vom propagierten Selbstvertrauen nach dem Viertelfinaleinzug in Wimbledon war nichts zu sehen. Man spürt in diesen Momenten, in denen der 28-Jährige unmotiviert leichte Bälle ins Netz schlägt und danach den Kopf hängen lässt, den beißenden Impuls, auf den Platz zu rennen, den Schlaks an den Schultern zu packen, ihn zu schütteln und ihm zuzubrüllen: "Du bist die Nummer 23 der Welt, spiel doch auch so!"

Doch wahrscheinlich würde man ihn damit eher verschüchtern als aufwecken, denn wer mit 28 noch von allen "Flo" genannt wird, hat nicht zwingend die Aura eines Mannes wie Haas, der zwar für alle "Tommy" heißt, aber eine Körpersprache nutzt, die Distanz und Respekt schafft. Die, die ihn gut kennen, beschreiben Mayer als introvertiert und sensibel. "Er steht gern im Hintergrund", sagte Haas, und das ist für einen, der im besten Fall vor vielen Tausend Fans Höchstleistung bringen soll, nicht unbedingt die beste Voraussetzung. Dass er sportlich alles mitbringt, deutete Mayer auch am Freitagnachmittag mehrfach an. Wenn er bei 4:4 im zweiten Satz zwei Breakbälle mit sensationellen Stopps abwehrt, fragt man sich, welchen Ruhepuls dieser Mann hat. Wenn er kurz darauf den dritten Breakball mit einem einfachen Fehler herschenkt, weiß man, warum er sich selbst auf dem Weg nach ganz oben der größte Gegner ist.

Abgerundet wurde der unrühmliche Abgang von einer Pressekonferenz, auf der der Bayer eingestand, das Spiel sei ihm "irgendwann egal gewesen", er habe "unterirdisch gespielt und keine Lust, darüber zu reden". Immerhin ehrlich, könnte man meinen, doch für einen Profi, der von seinen Anlagen her der beste Deutsche und Top-Ten-Kandidat ist, gab Mayer ein erschreckendes Bild ab. Daviscup-Teamchef Patrik Kühnen sprach abwiegelnd davon, dass "die Tagesform entschieden" habe. "Ich kenne den Flo schon lange, kenne diese Phasen, in denen er lethargisch wirkt. Aber Tommy hat stark gespielt und hat in dieser Form gute Chancen, das Turnier zu gewinnen!"

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Der so Gelobte wollte solcherlei Gedanken noch nicht zulassen. "Dass ich so konstant und gut spiele, überrascht mich selbst. Ich habe heute die wichtigen Punkte gemacht und von Beginn an gezeigt, dass ich da bin", sagte Haas. Als er vor 15 Jahren zum ersten und bislang letzten Mal das Halbfinale bei seinem Heimatturnier erreicht hatte, habe er sich nicht vorstellen können, 2012 noch Tennisprofi zu sein. "Jetzt habe ich die Chance, die beiden Schritte zu gehen, die ich 1997 nicht geschafft habe. Dafür werde ich alles geben", sagte er.

Das muss er auch, denn der Kroate Marin Cilic, 23, wird am Sonnabend im zweiten Halbfinale (Hamburg 1 ab 13.45 Uhr, Sport1 ab 14.15 Uhr; Endspiel; Sonntag ab 14 Uhr, Sport1 und HH 1 live) nicht in Ehrfurcht erstarren. Der Weltranglisten-15., der in Hamburg an Position vier gesetzt ist, bezwang im vierten Viertelfinale den Spanier Albert Ramos mit 6:4, 7:6 (7:5) und hat am Rothenbaum in diesem Jahr noch keinen Satz abgegeben.