Die südafrikanische 800-m-Läuferin Caster Semenya will bei der Leichtathletik-WM ihre Klasse nachweisen - und nicht mehr ihr Geschlecht.

Daegu. Mittags um zwölf Uhr ist es heiß in Daegu, weit über 30 Grad zeigt das Thermometer, die Sonne scheint gleißend ins Stadion, wo gleich der vierte von fünf 800-Meter-Vorläufen bei der Leichtathletik-WM in Südkorea beginnt. Acht Frauen machen sich bereit, die letzte von ihnen ist lässig zu Bahn vier geschlendert, hat mit den Schultern gependelt, wie es Jugendliche tun, wenn sie besonders cool wirken wollen. Einen kurzen Probestart macht sie, danach vergehen nur noch wenige Momente, bis das Rennen gestartet wird. Caster Semenya sprintet los.

Zwei Jahre nach dem verblüffenden Gewinn des Weltmeistertitels über 800 Meter in Berlin ist die inzwischen 20 Jahre alte Südafrikanerin wieder zurück auf der Bühne des Weltsports. In 2:01:01 Minuten erreicht sie gestern das Ziel, zeitgleich mit der in der Weltjahresbestenliste führenden Russin Mariya Sawinowa, knapp vor der Kenianerin Cherono Koech. Die Qualifikation für das Semifinale heute (12.41 Uhr, ZDF und Eurosport live) hat Semenya damit ohne Schwierigkeiten als Fünftbeste unter den 24 Teilnehmerinnen geschafft. In dieser Verfassung sollte der Einzug in den Endlauf, der am Sonntag (13.15 Uhr, ZDF, Eurosport) gestartet wird, nur Formsache sein. Nach dem Lauf fasst sie sich kurz ans Knie, gibt aber gleich darauf Entwarnung. "Es ist alles okay bei mir, keine große Sache", ruft sie, als sie von dannen hastet, "einfach klarmachen, fertig."

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Viel mehr hat Semenya an diesem Morgen nicht zu sagen. Dabei hätte sie durchaus Grund für Worte voller Genugtuung gehabt. Was waren nicht alles für Gerüchte kursiert in den vergangenen Wochen. Semenya außer Form; Semenya im Clinch mit ihrem Trainer Michael Seme; Semenya übergewichtig. Kurzum: unmöglich, dass sie ihren Titel erfolgreich verteidigt. Nur in zwei von 13 Rennen der Saison war sie unter 2:00 Minuten geblieben, blieb weit entfernt von ihrer Siegerzeit in Berlin (1:55,45).

Doch seit gestern ist klar: Mit Semenya scheint man zu rechnen in Daegu. So, wie sie es angekündigt hatte in einem ihrer seltenen Interviews. "Der Moment der Wahrheit ist gekommen, und ich bin fest entschlossen, meine Kritiker verstummen zu lassen, indem ich meinen Titel erfolgreich verteidige", sagte die Sportstudentin südafrikanischen Zeitungen diese Woche in Daegu. Und dass sie den Titel zu Ehren von Südafrikas früherem Staatspräsidenten Nelson Mandela gewinnen wolle, der ihre "Quelle der Inspiration" sei.

Es gab eine Zeit, in der Caster Semenya aus dem Dorf Ga-Masehlong in der Nähe von Polokwane ihre Inspiration verloren hatte. Im Grunde begann diese Phase nach der WM in Berlin 2009. Wegen ihrer tiefen Stimme und ihrer maskulin anmutenden Anatomie mutmaßten viele, die damals 18-Jährige sei in Wirklichkeit ein Mann - oder zumindest keine Frau, und damit nicht berechtigt zu starten in dem 800-Meter-Wettbewerb, den sie mit sagenhaften zwei Sekunden Vorsprung gewann.

Kurz vor dem damaligen Endlauf war durchgesickert, Semenya müsse sich einem Geschlechtstest unterziehen. Plötzlich glotzte die ganze Welt auf die schüchterne junge Frau. Ein entwürdigender Spießroutenlauf begann, der zu politischen Verwicklungen über den Sport hinaus führte, und der erst elf Monate später sein vorläufiges Ende fand. Dann hob der Leichtathletik-Weltverband IAAF das vorläufige Startverbot gegen die Südafrikanerin auf. Die Diagnose der ärztlichen Untersuchungen blieb geheim.

Seit 1. Mai 2011 nun hat die IAAF gemeinsam mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) für künftige ähnliche Fälle eine Zulassungsregel zur sogenannten Hyperandrogenämie festgelegt. Vereinfacht gesagt: Liegt gegen eine Athletin der Verdacht vor, ihr Körper könnte männliche Sexualhormone überproduzieren, soll eine unabhängige Kommission anhand eines Testosteron-Grenzwerts über ihren Ausschluss entscheiden können - und zwar in aller Stille. Der Grenzwert scheint ein zumindest passables Hilfsmittel, hat jedoch eine grundsätzliche Schwäche: Die Frage "Was ist die ultimative Grenze zwischen Frau und Mann?", beantwortet er nicht.

Auch wenn Caster Semenyas Name ohne ihre Schuld wohl auf ewig mit einer der demütigendsten Affären im Weltsport in Verbindung gebracht werden wird - hier und jetzt in Daegu kann sie zumindest beweisen, dass ihr 800-Meter-Sieg vor zwei Jahren wiederholbar ist. "Ich", sagte sie, "bin bereit für jede Herausforderung." Sie sagt es mit ernstem Gesicht. Das Lachen ist ihr schon lange vergangen.