Diskuswerfer Robert Harting startet heute als Favorit bei der Leichtathletik-WM im südkoreanischen Daegu. Aber sein Knie ist entzündet

Daegu. Gestern ist Robert Harting etwas wirkliches Dummes passiert. Scheinbar konnte er nichts dagegen machen, es muss Deutschlands besten, bösesten Diskuswerfer irgendwie überkommen haben. Jedenfalls hatte er in der morgendlichen Qualifikation zum Finale am Mittwoch (12.55 Uhr, ARD und Eurosport live) eine störende Regung verspürt, die das treue Gefühl der Aggression neutralisierte: "Ich habe mich gefreut auf den Wettkampf - das war das Problem", sagte Harting. Dann grinste er schief.

65,93 Meter im ersten Versuch genügten dem Hünen aus Berlin-Hohenschönhausen allemal, um in den Endkampf der zwölf weltbesten Diskuswerfer einzuziehen und seinen Titel von 2009 womöglich erfolgreich zu verteidigen. Nur das Wie, das wurmte ihn dann doch. Ein bisschen zumindest, wie er glauben machte: "Ich bin nicht unzufrieden, nicht zufrieden, das war 'ne Mischweite und heute ein bisschen so: irgendwie gucken, machen", grummelte Harting und versprach dann: "Morgen gebe ich mehr Gas."

Harting ist mit großen Ambitionen zu den Leichtathletik-Weltmeisterschaften nach Daegu gereist. Dabei war die Vorbereitung nicht eben problemlos verlaufen. Das linke Knie piesackte ihn derart, dass er im Training improvisieren musste. Bei bestimmten Bewegungen sendet die entzündete Patellasehne einen Schmerzreiz aus, den selbst ein 2,01 Meter großer 130-Kilo-Koloss nicht zu ignorieren vermag.

Täglich schluckt der Weltmeister von 2009, WM-Zweiter von 2007 und neben Hammerwerferin Betty Heidler aussichtsreichster deutscher Goldkandidat in Daegu Schmerzmittel. Der deutsche Teamarzt in Daegu, Helmut Schreiber, sagt: "Robert ist bei der Automatisierung der Bewegung eingeschränkt. Aber keine Angst: Die Patellasehne wird halten." Immerhin.

Harting ("Morgen kriege ich wieder Spritzen, das klappt schon") haut sich voll rein. Er ist ja hart. Gegen sich - und gegen andere. Erst kurz vor dieser WM hat der Student der Kommunikationswissenschaft "Sport Bild" ein Interview gegeben, in dem es nur so schepperte. Überschrift: "Jetzt bin ich im Blutrausch-Modus!" Neulich noch hatte Harting gehadert, er sei zum "braven Bürschchen" verkommen, nun erklärte er, dass er ab sofort einfach wieder mache, was er wolle.

Er maulte über angeblich geringe Wertschätzung und mangelnde finanzielle Absicherung: "Ein polnischer Olympiasieger kriegt nach Karriereende 2000 Euro monatlich bis ans Lebensende. Da braucht man in Polen gar nicht mehr arbeiten zu gehen. Wir kriegen als Olympiasieger eine Kiste Bier - ein Jahr lang. Wie behämmert ist das? Das muss man sich einmal reinziehen: Der DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund; d. Red.) lässt sich das Sponsoring teuer bezahlen, und wir kriegen dann eine Kiste Bier. Super! Bier!" Dass die Fakten ein wenig durcheinandergeraten waren, änderte nichts daran, dass Hartings Taktik aufgegangen war: Der Bad Guy der deutschen Leichtathletik hatte wieder einmal polarisiert.

So geht das mittlerweile seit Jahren. Harting haut einen raus (verbal), bevor er einen raushaut (im Ring). Mal ging es um die Ausbootung seines aus DDR-Zeiten dopingbelasteten Heimtrainers Werner Goldmann von der WM in Osaka 2007. Im Umfeld der WM in Berlin 2009 manövrierte er sich durch ungehörige Äußerungen gegenüber DDR-Dopingopfern ins Abseits.

Voriges Jahr posaunte er kurz vor der EM in Barcelona in einer Pressemitteilung heraus: "Wenn ich eine Medaille mache, will ich eine Förderungsgarantie für meinen Bruder (Diskuswerfer Christoph Harting, d. Red.). Jetzt wird es Zeit, dass der träge Verband und Diskus-Bundestrainer Jürgen Schult sich endlich mal bewegen." Das war nicht nur forsch, das schien manchem sogar ziemlich frech.

Nun ist er also schon wieder angeeckt. Cheftrainer Czingon sieht es gleichwohl gelassen, er sagt: "Mich ärgert das überhaupt nicht. Ich habe auch nicht das Gefühl, als ob Robert sich gegen den Verband oder gegen die Mannschaft stellt. Er lehnt sich gern aus dem Fenster. Aber er hat gelernt, vorher mehr nachzudenken." Man darf sagen: Harting hat das kalkulierte Poltern kultiviert. Er braucht es, um Wettkampfspannung aufzubauen.

Dabei ist er eigentlich ein netter Kerl. Czingon hat eine einfache Erklärung: "Ein Athlet arbeitet natürlich an seinem Standing, er weiß unter Umständen, dass er ein zwiespältiges Bild abgibt. Er will das so. Er will nicht der Gute, Schöne sein, sondern als Athlet wahrgenommen werden, der seine ganze Kraft im Wettkampf entfaltet."

Es bleibt die Sorge um seine Gesundheit. Teamarzt Schreiber sagt: "Nach der WM muss eine Kernspintomografie zeigen, ob eine Knie-Operation nötig ist. Sie würde eine lange Auszeit bedeuten." Leicht vorstellbar, wie schlecht Robert Hartings Laune bei dem Gedanken wird. Ob das hilft?