Die ehemalige Nationalstürmerin Anneke Böhmert analysiert für das Abendblatt die anstehende Hockey-WM der Damen in Argentinien.

Hamburg. Wenn für die Mädels heute um 17 Uhr in Rosario, das ist 22 Uhr unserer Zeit, die WM beginnt, dann wird vor allem ein Gefühl vorherrschen: Erleichterung. Die Tage vor einem Turnier sind anstrengend, weil man nur darauf wartet, dass es endlich losgeht. Man will wissen, wo man steht, wie die Gegner drauf sind, und das weiß man erst, wenn alle einmal gespielt haben. Die Vorbereitung sagt nicht viel aus.

Für das Team von Michael Behrmann muss es in den ersten Spielen gegen Neuseeland, Japan (Do, 0.30 Uhr) und Indien (Fr, 19.30 Uhr) darum gehen, mit drei Siegen die Grundlage für das Erreichen des Halbfinales zu legen. Alle drei Kontrahenten stehen in der Weltrangliste hinter uns. Allerdings liegt darin auch die große Gefahr, denn gegen schwächere Gegner tun sich deutsche Damen oftmals schwer. Das hat nichts damit zu tun, dass man die anderen unterschätzt, sondern vielmehr damit, dass sie das Spiel langsam machen und nur auf Zerstören aus sind, und da ist es meist schwer zu glänzen, da athletisch alle Teams auf der Höhe sind.

Es ist für mich eindeutig, dass Deutschland sich in der Gruppe A mit den Niederlanden (So, 22 Uhr) und Australien (8. September, 0.30 Uhr) um die beiden Halbfinalplätze streitet. Die Holländerinnen spielen ein technisch perfektes Hockey, haben starke Standards und sind immer auf den Punkt fit. In der Vorbereitung gab es gegen sie zwei 1:2-Niederlagen, was zeigt, dass unser Team durchaus mit dem Erzrivalen mithalten kann. Gegen Australien sind andere Qualitäten gefragt, die sind athletisch top und gewinnen ihre Spiele meist durch ihr aggressives Pressing. Auch sie haben sehr gute Standards. Wir sagen immer: Australierinnen sind die Männer des Damenhockeys.

In Deutschland ist der Anspruch an die Damen spätestens mit dem Olympiasieg 2004 derart gestiegen, dass bei jedem großen Turnier Medaillen erwartet werden. Ich halte das für angemessen, denn den Anspruch, ins Halbfinale zu kommen, muss man haben. Und dann ist alles möglich. Das gilt auch für die aktuelle deutsche Auswahl, die vor allem durch ihre Geschlossenheit stark ist. Die Ausfälle von Anke Kühn (schwanger) und Jennifer Plass (Mittelfußbruch), das hat die Vorbereitung gezeigt, können kompensiert werden. Wir haben mit Krissie Reynolds eine überragende Torfrau, davor eine großartige Innenverteidigung mit Tina Bachmann und Mandy Haase, dazu mit Fanny Rinne eine Spiellenkerin der Extraklasse und eine sehr ausgeglichen besetzte Sturmformation, in der ich besonders auf Céline Wilde vom Klipper THC gespannt bin. Sie kann unbekümmert aufspielen, weil niemand von einer 20-Jährigen Wunderdinge erwartet. Und daraus entsteht oft ein Überraschungsmoment, das große Leistungen ermöglicht.

In der Gruppe B sehe ich Argentinien nicht zuletzt dank des Heimvorteils als klaren Favoriten. Dahinter streiten sich mit England, Spanien, China und Südkorea vier Teams um Rang zwei. Nur Südafrika halte ich für chancenlos. Wenn Deutschland Gruppenerster wird, sehe ich eine Chance aufs Finale, das am Ende, so mein Tipp, Argentinien gewinnt. Das Team wird getragen von den Fans, denn Rosario ist hockeyverrückt, und Hockey ist in Argentinien die beliebteste Damensportart. Die Spielerinnen sind Stars, und eine so stimmungsvolle und gleichzeitig friedliche Atmosphäre, wie ich sie 2001 bei der C-WM dort erleben durfte, gibt es nirgendwo anders auf der Welt.

Wer die WM live erleben will, muss im Internet www.laola1.tv anwählen. Dort werden alle Spiele direkt übertragen. Ich werde wegen der Zeitverschiebung nicht gucken, als berufstätige Mutter muss ich nachts schlafen. Aber ich drücke die Daumen und hoffe, dass mein Tipp nicht stimmt ...

Anneke Böhmert wurde 2002 in Perth (Australien) mit Deutschland WM-Siebte. Bei der Hallen-EM in Duisburg beendete sie im Januar 2010 ihre Karriere. Die Mutter einer Tochter, 3, lehrt Spanisch, Englisch, Sport und Mathe an der Gesamtschule Horn.