Mit dem Spiel um Platz drei gegen Uruguay verabschiedet sich Deutschland aus dem WM-Turnier. Im Liveticker auf Abendblatt.de.

Erasmia. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass sich im Leben eines Fußballers der Faktor Zeit völlig anders definiert als im normalen Parallelleben, und sich der Verlauf einer Spielerkarriere dabei entscheidend verändern kann - voilà, hier ist er. Während vor dem Beginn des Unternehmens WM 2010 Michael Ballack als uneingeschränkter Herrscher in der deutschen Nationalmannschaft auf dem Thron saß, reiste Bastian Schweinsteiger im Grunde als Verlierer zur DFB-Auswahl. Der Münchner hatte zwar mit Bayern das Double geholt und während der Bundesligasaison eindrucksvoll seine Leistungsfähigkeit auf seiner neuen Position im zentralen Mittelfeld bewiesen. Im Finale der Champions League gegen Inter Mailand aber war der 25-Jährige gnadenlos mit untergegangen.

Am Tag des Spiels um Platz drei gegen Uruguay (Sa., 20.30 Uhr, ARD und im Liveticker auf Abendblatt.de) haben sich die Vorzeichen drastisch verändert. Weil die teils zwangsweise verjüngte Nationalelf so glanzvolle Spiele hinlegte, wird der verletzte Ballack, obwohl dieser nicht eine Minute gespielt hat, schon als Auslaufmodell klassifiziert. Schweinsteigers Champions-League-geschädigter Stern hingegen stieg in ungeahnte Sphären, nachdem er in der Chefrolle brillierte und so gar nicht mehr in sein früheres "Schweini"-Lausbubenimage zu pressen ist.

Auch in 90 Minuten auf dem Rasen können sich ganze Fußballwelten verändern. Wenn mit dem letzten Auftritt gegen Uruguay der letzte Teil der deutschen WM-Geschichte in Südafrika vollendet sein wird, kann diese kurze Zeitspanne aber die Gesamtbeurteilung nicht mehr entscheidend beeinflussen. Schon vor diesem "kleinen Finale" steht der Sieger fest: Deutschland. Das Team hat ein neues, strahlendes Bild vom deutschen Fußball geprägt, das international begeistert aufgenommen wurde. Dass ausgerechnet die Deutschen ein erfrischend-fröhliches Multi-Kulti-Konzept präsentierten, dessen forsche, vom Offensivgeist geprägte Spielfreude nur von der spanischen Weltklasse gestoppt werden konnte, wird über den Tag hinaus Bestand haben. Der deutsche Fußball ist wieder eine anerkannte, respektierte Qualitätsmarke in der Welt. So konnte DFB-Manager Oliver Bierhoff schon am Freitag zufrieden bilanzieren: "Dieses neue Deutschland hat gute Nachrichten in die Welt geschickt. Diese Mannschaft, die unabhängig vom Glauben und der Herkunft von einem beeindruckenden Teamgeist geprägt war, präsentierte sich als ein optimaler Botschafter."

Am 8. Juli 2006 war das Spiel um Platz drei in Stuttgart gegen Portugal einerseits vom Abschied des Fußball-Titanen Oliver Kahn geprägt. Und andererseits vom glänzenden Auftritt eines aufstrebenden junges Mannes: Bastian Schweinsteiger. Mit zwei Toren und einer Vorlage zum Eigentor von Petit war der damals 21-Jährige am 3:1-Erfolg maßgeblich beteiligt. Der damals so bezeichnete "Popstar mit Gefühl im Fuß" steht heute bei weitem nicht mehr alleine. Der Kader ist gespickt mit Spielern, die das personifizierte Versprechen für eine goldene Generation sind, während Schweinsteiger diesen nächsten Schritt schon genommen hat und folgerichtig, wie auch Mesut Özil, von der Fifa in den erlauchten Kreis derer nominiert wurde, die für die Auszeichnung "Bester Spieler des Turniers" infrage kommen.

In Deutschland und auf den Rängen des Stadions in Port Elizabeth wird es heute deshalb keine Abschiedsparty für die deutsche Nationalmannschaft geben, es geht allenfalls um die letzte Note für das Zwischenzeugnis. Das Versetzen in die nächste Klasse steht längst fest - und wer ihr Lehrer sein wird, im Prinzip auch. Zwar dementierte Bierhoff Meldungen, wonach schon klar sei, dass eine Vertragsverlängerung mit Joachim Löw um zwei Jahre beschlossene Sache ist. Sollte jedoch eine Einigung über die Rahmenbedingungen wie Finanzen und Kompetenzen erzielt werden, steht einer weiteren Zusammenarbeit nichts im Wege. Ob Bierhoff weiter zum Team gehören wird, ist noch offen.

Ungewiss ist auch, wer gegen Uruguay die WM-Bronzemedaille erringen soll. Die Anstrengungen der vergangenen Wochen haben erste Konsequenzen. Löw, der wegen eines grippalen Infekts das Abschlusstraining am Freitag nicht selbst leiten konnte, muss womöglich auf Lukas Podolski und Philipp Lahm, die ebenfalls ein Infekt erwischte, verzichten. Während die beiden komplett pausierten, absolvierte Miroslav Klose (Rückenprobleme) nur eine leichte Einheit im Teamhotel.

Ärgern wird sich auch Tim Wiese, der gute Chancen hätte, als Belohnung für sein einwandfreies Reservistenverhalten anstelle von Manuel Neuer ins Tor zu rücken. Aber auch der Bremer konnte wegen einer Schleimbeutelentzündung im rechten Knie nicht trainieren. Nutznießer könnte Jörg Butt sein, der noch vor einigen Wochen einen längeren Sommerurlaub fest eingeplant hatte. Aber mit der Zeit und den Planungen ist es im Fußball bekanntlich ja so eine Sache.