Der Chefscout der Nationalmannschaft erklärt, warum er stolz auf das gesamte Team rund um Bundestrainer Joachim Löw ist.

Durban. Urs Siegenthaler, der künftige HSV-Sportdirektor, ist der Meisterspion von Joachim Löw. Als Chefscout saß er nicht nur beim Viertelfinalspiel von Spanien gegen Paraguay auf der Tribüne, er sezierte das Spiel des Halbfinalgegners auch in stundenlangen Videoanalysen. Zusammen mit Siegenthaler entwarf der Bundestrainer im Team mit seinen Co-Trainern auch die Grundphilosophie, die jetzt zu rauschenden Fußballfesten führte.

Im Abendblatt spricht der 62-Jährige über

... seine Grundidee:

"Vor dem Afrika-Cup und dem Confed-Cup habe ich mir gesagt: Ich werfe all mein Wissen über Bord und stelle mir vor, ich wäre ein Jugendtrainer, der etwas für seine B-Jugend mitnehmen möchte. Meine Grunderkenntnis lautete: zurück zu den Wurzeln. Spielen und gehen, um nichts anderes geht es. Um das Spiel ohne Ball."

... den Erfolgsfaktor Offensive:

"Sie sehen bei dieser WM, dass alle Mannschaften in der Defensive inzwischen bestens organisiert sind, jeder kann gut verschieben, konsequent attackieren, sich gut stellen oder doppeln. Es ging im Fußball zuletzt zu sehr ums Toreverhindern. Was verpasst wurde, ist, die Offensive zu trainieren. Hier liegt riesiges Potenzial brach. Zum Teil sieht das Spiel amateurhaft aus bei diesen vielen Abspielfehlern oder Abstimmungsproblemen. Es gilt das Motto: Ich dachte, du gehst steil, jetzt kommst du entgegen. Wenn bei einem Konter alle Spieler auf der gleichen Ebene mitlaufen, ist es kein Wunder, dass nichts geschieht. Es ist schon ein Vorteil, wenn alle wissen, was wer macht: der Ballführende und diejenigen, die nicht am Ball sind. Genau diese Laufwege kann man trainieren."

... die Vorbereitung:

"Ich bin stolz auf den Trainerstab, dass das, was wir im März in den vielen gemeinsamen Stunden im Schwarzwald besprochen haben, auch in aller Konsequenz genau so trainiert und den Spielern vermittelt wurde. Ich hatte früher als Spieler einige Schwellentrainer, das sind Trainer, die beim Rausgehen auf der Türschwelle überlegt haben, was sie heute tun wollen. Wenn Sie bei uns reinkommen, dann sehen Sie ein ganzes Buch mit Trainingsinhalten. Schon im März war jeder Tag durchgeplant. Das lässt aber trotzdem zu, dass wir flexibel reagieren."

... die Trainingsarbeit in Gruppen:

"Wäre ich Vereinstrainer, würde ich teilweise kein gemeinsames Mannschaftstraining mehr ansetzen. Ich würde nur noch im Block üben, einzeln trainieren lassen. Dann kommt echte Arbeit zum Tragen, und ich kann sehen, wie sich ein Spieler engagiert, und ihm sagen: Stopp, wohin läufst du? Bei 20 Spielern auf dem Platz kann sich schon mal einer verstecken."

... Joachim Löw als Erfolgsfaktor:

"Der Trainer ist sich selbst und seiner beschlossenen Doktrin immer treu geblieben. Vor zwei Jahren hat er einen Generationswechsel beschlossen und einkalkuliert, dass es vielleicht nicht immer ganz so gut läuft. Das spürte die Mannschaft auch, dass er seiner Linie treu bleibt. Er hat den Erfolg mit System geschaffen."

... seine Rolle:

"Ich bin keiner, der sagt: Ich bin der Macher. Ich sage aus tiefster Überzeugung: Ich diene einer Gruppe und einem Menschen mit meiner Dienstleistung und bin bereit, all mein Wissen einzubringen, ohne im Vordergrund zu stehen. Der Vorteil besteht darin, dass ich nicht kämpfen muss um mein Standing oder mein Wissen. Die Menschen bei der Nationalelf vertrauen mir."