Der französische Stürmer hatte Trainer Domenech offenbar in der Halbzeit wüst beschimpft und wurde nun vom Verband suspendiert.

Knysna. Der Riesen-Eklat beim krisengeschüttelten Vizeweltmeister: Nach wüsten Beschimpfungen gegen Trainer Raymond Domenech muss Frankreichs Sturmstar Nicolas Anelka bei der Fußball-WM vorzeitig die Koffer packen. Anelka wurde am Sonnabend mit sofortiger Wirkung suspendiert und soll bereits am Sonntag die Heimreise antreten, berichteten Medien unter Berufung auf den französischen Verband FFF. Nach Angaben des Fernseh-Senders „Canal+“ wird sich der 31 Jahre alte Chelsea-Profi zudem vor der FFF-Disziplinarkommission verantworten müssen. Am Sonnabend nahm Anelka bereits nicht mehr am Training der „Équipe Tricolore“ im WM-Quartier in Knysna teil.

Die Entgleisungen von Anelka in der Halbzeitpause des WM- Vorrundenspiels gegen Mexiko (0:2) waren von „L'Équipe“ am Sonnabend enthüllt worden. Anelka habe Domenech vor der gesamten Mannschaft mit den Worten „Fick dich in den Arsch, du Hurensohn“ attackiert, schrieb das Sportblatt. Die obszönen Worte in großen Lettern auf Seite eins der Zeitung schockten die „Grande Nation“. Prompt forderten Politiker, Funktionäre, Spieler und Trainer empört den WM-Ausschluss von Anelka.

Doch wie gerieten die Äußerungen Anelkas an die Öffentlichkeit? Frankreichs Verteidiger Patrice Evra sagte auf der Pressekonferenz der Franzosen: "Das Problem ist nicht Anelka. Das Problem ist der Verräter unter uns. Der muss gefunden werden. Es waren nur Spieler und Trainer in der Kabine." Sogar Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy äußerte sich zum Eklat und nannte das Verhalten Anelkas "inakzeptabel".

Mexiko demütigt die "Grande Nation" - Adieu les Bleus?

Der äußerst umstrittene Domenech hatte nach „L'Équipe“-Angaben Anelka „bestimmt und genervt, aber in höflicher Form“ aufgefordert, mehr Einsatz zu zeigen, und dem Stürmer mit der Auswechslung gedroht. Nach der Beleidigung von Anelka sagte Domenech kurz: „Okay, du bist draußen“. Der Stürmer sei mit den Worten „Alles klar“ sofort unter die Dusche gegangen. Nach der Pause kam Toulouse-Stürmer André-Pierre Gignac ins Spiel. Später lächelte Anelka auf dem Weg zum Mannschaftsbus, als ginge ihn die Niederlage nichts an.

Der Ausschluss von Anelka wurde offenbar bei einem Krisentreffen von Domenech mit Kapitän Patrice Evra, Verbandsboss Jean-Pierre Escalettes und anderen Funktionären beschlossen. Zu spät, meinte Verbands-Vizepräsident Christian Teinturier: „Er hätte schon gestern nicht am Training teilnehmen sollen. Er hätte sich entschuldigen oder sofort rausgeschmissen werden müssen. Er darf nie wieder das französische Trikot tragen“, sagte Teinturier.

Der mit Anelka befreundete Journalist Arnaud Ramsay bestätigte unterdessen die Beschimpfungen, meinte aber: „Es waren nicht genau die Worte, von denen L'Equipe berichtet“. Der Mann, der für Anelka eine Biografie (Anelka par Anelka) schrieb, sagte auch, der Spieler werde sich nicht entschuldigen. „Er, wie so viele Nationalspieler auch, respektiert Domenech überhaupt nicht“.

Bei aller Kritik gegen den „verrückten Professor“ Domenech kann Anelka in der Heimat auf kein Verständnis hoffen. „Diese Beschimpfungen sind verachtenswert, Anelka darf nie wieder das Nationaltrikot tragen“, forderte Ex-Nationaltrainer Michel Hidalgo. Gesundheitsministerin Roselyn Bachelot erklärte, der Druck auf Leistungssportlern rechtfertige solche Entgleisungen nicht.

Bei seiner ersten WM war Anelka deutlich unter den Erwartungen geblieben. Er erwecke den Eindruck, „als ob er nur für sich spielt“, meinte der frühere Nationalspieler und Bayern-Profi Bixente Lizarazu. Mit Trainern, Journalisten und Kollegen hatte das „Enfant terrible“ in seiner Karriere mehrfach Zoff. 2002 wies Anelka eine Nominierung des damaligen Nationaltrainers Jacques Santini mit der Erklärung zurück, er werde nur „als Lückenbüßer“ gebraucht.

Doch mit der Anelka-Affäre nicht genug: Nach dem Schlusspfiff der Partie gegen Mexiko zeigte William Gallas einem Reporter des französischen TV Senders „TF1“ auf dem Platz den Stinkefinger. Die Stimmung im französischen Team ist nicht erst seit Beginn der WM miserabel. Gallas schmollt, weil Evra die Kapitänsbinde bekam. Der Abwehrmann des FC Arsenal bleibt im Quartier in Knysna meist auf dem Zimmer, boykottiert die Medien. Spielmacher Yoann Gourcuff wird von den meisten seiner Kollegen derart gemobbt und geschnitten, dass Domenech ihn gegen seine Überzeugung aus der Stammelf nahm.

Nach einem mageren 0:0 gegen Uruguay und der Niederlage gegen Mexiko steht Frankreich in der Gruppe A vor dem Vorrunden-Aus und damit dem dritten Fiasko bei einem großen Turnier in den vergangenen acht Jahren. Bereits bei der WM 2002 und der EM 2008 hatte die „Équipe Tricolore“ nach der Vorrunde die Koffer packen müssen. Mittelfeldmann Jérémy Toulalan, der als einer der wenigen Besonnenen im Team gilt, fordert: „Wir müssen an das Wunder glauben“.