Fast täglich fährt das deutsche Team mit dem Bus vom Hotel zum Trainingsplatz. Vorbei huschen Armut und Reichtum.

Pretoria. Das schmiedeeiserne Tor des Hotels Velmore Grande öffnete sich auch gestern um 16 Uhr. Dann rollte der Mannschaftsbus Richtung "Super Stadium", in dem der Bundestrainer die Spieler auf das nächste Spiel gegen Serbien vorbereitet. Turnieralltag der Nationalmannschaft. Stets empfängt eine Polizeieskorte den Bus am Hotel und geleitet das Team in rund 15 Minuten über abgesperrte Straßen ins 12 km entfernte Stadion nach Atteridgeville.

Dort öffnet sich das nächste Tor, und wenn der Bus hindurchgerollt ist, schließt sich die Zufahrt hinter ihm wieder. Eine Viertelstunde verbringt die Mannschaft in der Realität Südafrikas. Von den Sorgen, Nöten und Hoffnungen der Menschen außerhalb des Busses wissen die Spieler nichts. Alles huscht vorbei. Armut und Reichtum, Mut und Verzweiflung.

Station 1: Vorbei am kleinen Supermarkt von Anwar Khan

Wenn der Mannschaftsbus vom Hotelgelände fährt, passiert er nach 400 Metern ein gedrungenes Gebäude. "A.E. Suleman General Dealer" steht auf den neuen Schildern. Sie wurden extra angebracht, damit der kleine Supermarkt ein besseres Bild abgibt. Ein Getränkehersteller, der auch die WM sponsert, prangt darauf, und Anwar Khan freut sich darüber. Seit 18 Monaten leitet er den Laden, sein Umsatz ist gestiegen, seit die deutschen Gäste gegenüber wohnen. Nein, ein Spieler sei noch nicht gekommen, sagt er, aber die Journalisten und die Fahrer der TV-Anstalten kaufen sich Getränke und Schokoriegel. Drinnen gibt es Maismehl, den Zwölf-Kilo-Sack zu 45 Rand, rund 4,70 Euro. Dazu Obst, Gemüse, Sojaöl, Blechbecher, Kuchenformen.

Station 2: Die Nachbarn warten darauf, dass man ihnen zuwinkt

Nach 1,6 km beginnt der Ort Erasmia. Am rechten Straßenrand stehen die Häuser von Dilshad Ebrahim, 45, und Ayesha Dockrath, 62. Die Nachbarinnen plaudern. "Oh, Germany", ruft Ebrahim, als wir uns vorstellen, und rennt ins Haus. Nach einer Minute kommt sie wieder und zeigt stolz ihre Jacke mit einem Germany-Schriftzug. Ja, sie ist Deutschland-Fan, sagt sie und strahlt. Warum? Einfach so, dafür gebe es keinen Grund. Ihr Ehemann ist für England, aber die Engländer haben in ihrem ersten Spiel nur 1:1 gegen die USA gespielt. Die Machtverhältnisse im Haus scheinen geklärt. Ayesha Dockrath teilt die Vorliebe ihrer Nachbarin nicht. "Maradona", sagt sie, den findet sie toll. Aber die Deutschen? "Die fahren hier immer mit dem Bus vorbei, aber gewinkt hat noch keiner."

Station 3: Hier beschützt Wachmann Joseph die Reichen

Eine Ortschaft weiter steht Joseph vor einer Einfahrt. Seinen Nachnamen möchte er nicht nennen, sagt er freundlich, er befürchtet Ärger mit seinem Arbeitgeber. Schließlich ist der 32-Jährige Wachmann und beschützt die Reichen der Gegend. Hinter ihm liegt das "Claudius Estates", eine hoch gesicherte Siedlung für indische Geschäftsleute. Auch der Besitzer des deutschen Mannschaftshotels wohnt hier, verrät er.

Station 4: Die Müllsammler mit den rauen Händen

Wir fahren weiter. Rechts liegt ein Industriegebiet, danach kommt Ödland. Schulterhoch ragt das trockene Gras empor. An vielen Stellen ist es abgebrannt worden, das ist einfacher als mähen. Eine riesige Müllkippe zieht sich einen Hügel hinauf, und auch am Ortseingang von Atteridgeville stapelt sich das, was wir Unrat nennen. Für Mathews Ramotsipani und Alfred Magadushi ist es die Lebensgrundlage. Die beiden durchstöbern die Abfälle nach Pfandflaschen. Viel würde man damit nicht verdienen, sagt Ramotsipani, aber es lange zum Leben. Ihren Stolz haben sie sich bewahrt. "Schreibt doch, wir machen Recycling."

Station 5: Die Open-Air-Küche bietet Maisbrei mit Zugabe

Auch Mashilo Mathumo, 37, bevorzugt eine klangvolle Berufsbezeichnung. Er ist Koch, aber er nennt sich "Storemanager". Der "Store", den er leitet, ist eigentlich ein Bürgersteig. Von hier aus kann man das "Super Stadium" bereits sehen. Theoretisch könnten die Deutschen nach dem Training hier anhalten und sich eine Portion Maisbrei kaufen, was sie natürlich nicht tun. Der Maisbrei, der "Pap" genannt wird, dampft im Kessel. Zusammen mit seinen Kollegen John Lehora, 28, und Jacob Vanschalkwyk, 49, entzündet Mathumo von Montag bis Freitag seine Holzkohlen und bereitet in gusseisernen Töpfen afrikanisches Essen zu.

Station 6: Bei Familie Moeng leben sieben Personen

Es sind nur noch wenige Meter zum Stadion. Atteridgeville ist eine typische Township, eine der Schwarzensiedlungen aus der Zeit der Apartheid. Einfache Häuser mit Wellblechdächern stehen dicht an dicht. Ärmlich, aber ordentlich - es gibt schlimmere Gegenden. Gegenüber dem Tor 4 des Stadions, durch das fast täglich der Mannschaftsbus fährt, lebt Maria Moeng mit ihrer Familie. Sieben Personen drängen sich in dem kleinen Haus, auch die Tante wohnt hier. Seit 43 Jahren leben sie in Atteridgeville, erzählt Moeng. Sie hat gesehen, wie gegenüber plötzlich ein riesiges Stadion entstand, und schaut fasziniert über den Zaun, wenn die Deutschen zur Arbeit kutschiert werden. Aber ihr Herz schlägt für "Bafana Bafana", seine südafrikanische Mannschaft. Da können die Deutschen noch so oft an ihrem Haus vorbeifahren.