Heute: Ruder-Weltmeisterin Helke Nieschlag (21). Die Studentin der RG Hansa gewann WM-Titel im Einer und im Doppelvierer. Die Olympischen Spiele 2012 in London sind ihr viele Entbehrungen wert.

Hamburg. Es ist einer dieser Tage, an denen sich Helke Nieschlag fragt, was sie da eigentlich tut. Einer dieser Tage, an denen es kaum hell werden will, an denen der Frost die Stadt fest im Griff hat und sich Meter um Meter in die Außenalster frisst. "Man will dann eigentlich alles andere als rudern", sagt die 21-Jährige. Aber gute Ruderer, das ist eine Branchenweisheit, werden im Winter gemacht. Und wenn sie erst einmal auf ihrem Rollsitz Platz genommen hat und das Boot in der Morgendämmerung unter ihrem Körper hindurch zu fliegen scheint, dann weiß Helke Nieschlag, dass es sich gelohnt hat, um halb sechs in der Frühe aus den Federn zu kriechen. Ruderer sind so, Fragen sind zwecklos. "Das ist wie eine dumme Sucht", sagt sie.

Begonnen hat alles im Dezember 2006 in ihrem Heimatort Preetz. Helke Nieschlag war bis dahin nur hin und wieder in einer AG ihrer Schule gerudert. Aber ein neuer Lehrer ermunterte sie, es doch einmal mit dem Wettkampfsport zu versuchen. Drei Monate später hatte sie sich für die Ergometer-Weltmeisterschaften in Boston qualifiziert.

Drei Jahre später sitzt sie im Bootshaus der RG Hansa an der Schönen Aussicht und denkt an ein Jahr zurück, in dem "alles ganz schön krass gelaufen ist", wie die Studentin es ausdrückt. Bei den U-23-Weltmeisterschaften gewann sie den Titel im Leichtgewichtseiner. Fünf Wochen später wurde sie Weltmeisterin im leichten Doppelvierer der Frauen, gemeinsam mit der Bergedorferin Julia Kröger. Eine Karriere im Zeitraffer - in einem Sport, in dem man gemeinhin einen sehr langen Atem braucht.

"Noch im Frühjahr hätte ich diese Erfolge nie erwartet", sagt Nieschlag. Ihr Körper kränkelte, die Leistungswerte stagnierten. Kurz vor der U-23-WM wechselte sie zu Bundesstützpunkttrainer Marcus Schwarzrock. Er half ihr, das gewisse Gefühl fürs Boot wiederzufinden, von dem er sagt, dass sie es einfach habe - der Unterschied zwischen guten und sehr guten Ruderern.

Technisch sieht Schwarzrock allerdings noch Reserven. Die gelte es nun herauszukitzeln auf dem langen Weg zu den Olympischen Spielen 2012. Nur drei deutsche Leichtgewichtsfrauen werden in London dabei sein, zwei im Doppelzweier, der einzigen olympischen Bootsklasse, eine als Ersatz. "Der Konkurrenzdruck ist groß", weiß Schwarzrock. Ein Rollsitz ist für die zweimalige Weltmeisterin Marie-Louise Dräger aus Rostock reserviert, da macht sich auch Nieschlag nichts vor: "Sie ist eine Klasse besser als alle anderen." Zuletzt startete Dräger mit der Saarbrückerin Anja Noske. "Da wollen wir reingrätschen", sagt Schwarzrock. Einen anderen Weg gibt es nicht. Der Aufstieg in die Schwergewichtsklasse ist körperlich nicht machbar.

Und so wird Nieschlag auch neben der Regattastrecke noch manch harten Kampf ausfechten. Jedes Frühjahr muss sie ihren 1,72-Meter-Körper auf 57 Kilogramm verdünnen, obwohl die ausgezehrten Muskeln nach Nahrung verlangen - ein Balanceakt auf der Waage. Olympia sei die Entbehrungen allemal wert, findet Nieschlag: "Jeder Sportler träumt davon, daran werden mich auch die 57 Kilogramm nicht hindern."

Es ist dies die Zeit, in der sie ihr Lehramtsstudium für Sport und Deutsch ein wenig voranbringen will. Im Sommer wird sie die Hamburger Universität kaum noch sehen. Im Team Hamburg-London haben sie die Erfolge immerhin in die höchste Förderstufe gespült - 400 Euro im Monat. Hinzu kommt die Grundförderung der Sporthilfe. Die Eltern sichern ihr Auskommen ab.

Es ist das Los einer Ruderin. Eine dumme Sucht.