Mit Kraft, Mut und Eleganz beherrscht die Abiturientin (18) ihr schweres Gerät. Sie gilt als großes Talent.

Hamburg. Nach einer halben Stunde legt Sandra Trepte ihre Zurückhaltung ab. Sie stemmt ihre Ellenbogen auf den Tisch und übernimmt die Gesprächsführung. "Erwähnen Sie bitte meinen Mathelehrer, meine Akupunkteurin, meine Krankengymnastin und natürlich meine Schwester Svenja. Ihnen allen habe ich sehr viel zu verdanken. Auch meinen Eltern. Meinem Trainer Michael Gottschalk. Meiner Mentaltrainerin. Ich weiß nicht, bestimmt habe ich jetzt wieder jemanden vergessen."

Sandra Trepte lacht. Ihre dunklen Augen funkeln. Sie wirkt entschlossen. Einwände sind in diesem Moment zwecklos. Sie ist 18, macht dieses Jahr am Gymnasium Trittau Abitur, Leistungsfächer Biologie und Kunst, und ist eine der talentiertesten Rhönradturnerinnen des Landes, vielleicht der Welt. Im vergangenen Mai wird sie in Baar (Schweiz) Jugend-Weltmeisterin im Spiraleturnen. Gerade hat sie ihre Führerscheinprüfung bestanden. Bei der Fahrt von Hamfelde, dort wohnt sie mit ihren Eltern, durch den Sachsenwald in die Trainingshalle der TSG Bergedorf am Bult muss ihre Mutter sie begleiten. "Dann fühle ich mich besser", sagt sie. Es ist kein Zeichen fehlenden Selbstbewusstseins. Dass sie ihre Fähigkeiten einzuschätzen vermag, gibt ihr Sicherheit im Auftreten, in der Schule, im Sport.

Rhönräder haben einen Durchmesser von 1,30 bis 2,45 Meter, wiegen zwischen 40 und 60 Kilogramm. Sie bestehen aus zwei Reifen, sechs Sprossen verbinden sie. Der Deutsche Otto Feick hat sie erfunden und sie in Schönau an der Brend in der bayerischen Rhön 1925 zum Patent angemeldet. 1936 in Berlin ist Rhönradturnen olympische Vorführdisziplin, danach wird es vor allem in Deutschland betrieben. "Jetzt kommen aber auch die Chinesen, die Holländer, die Schweizer, ganz, ganz viele", sagt Sandra Trepte.

Rhönradturnen verbindet die Anmut des Turnens mit der Dynamik des rollenden Geräts. Kraft, Körperbeherrschung, Gleichgewichtssinn zeichnen die Guten aus, Eleganz die Champions. Sandra Trepte hat wie ihre Schwester Svenja (21), sie studiert in Köln und ist Mehrkampf-Weltmeisterin bei den Frauen, bis zum Alter von neun Jahren geturnt. Der Vater und die Mutter, eine Sportlehrerin, sind Turner. Dann entdecken die Kinder in der Turnhalle das Rhönrad.

"Manchmal könnte ich das Ding in die Ecke pfeffern, wenn eine Figur wieder mal nicht klappt." Sandra Trepte sagt diesen Satz mit genau jener Energie, die keine Zweifel aufkommen lässt, dass sie jederzeit dazu bereit wäre. Machen würde sie es nie. Sie steht zu ihren Fehlern, "ich muss einfach mehr üben".

Als sie neulich das Abendtraining ausfällen lässt, das erste Mal seit Wochen, weil sie am nächsten Morgen in der Schule eine sechsstündige Klausur in Biologie zu schreiben hat und deshalb früh ins Bett gehen will, findet sie keinen Schlaf. Das schlechte Gewissen quält sie bis weit nach Mitternacht, "weil ich nicht zum Training gegangen bin". Die Klausur gelingt dennoch. Sandra Trepte ist eine gute Schülerin, ihr Notenschnitt liegt bei 1,6. Dabei fehlt sie regelmäßig, für Lehrgänge und Meisterschaften. "Nicht alle Lehrer haben dafür uneingeschränktes Verständnis", erzählt sie. Besagter Mathelehrer, der Herr Kautlun, schon. "Der fragt mich öfter schon mal, wie's war."

Teuer auf jeden Fall. Rhönradturnen ist nicht olympisch. Zuschüsse für Reisen und Unterkunft gibt es nicht. Selbst für das Deutschlandtrikot, das sie bei der WM in der Schweiz trägt, muss sie eine Leihgebühr zahlen, 30 Euro. Sie sucht jetzt Sponsoren. 2011 ist die WM in Deutschland. Nach dem Abitur im Sommer wird sie sich zehn Monate auf dieses Ereignis vorbereiten. "Ich will die perfekte Übung turnen." Die Entschlossenheit blitzt in diesem Moment aus ihren Augen. Sandra Trepte weiß, dass sie es schaffen wird.