Werbung und TV-Rechte - das Kapital beherrscht den Fußball. Ausgerechnet Karl Marx kann uns das System des Profisports erklären.

Hamburg. In der Soziologie ist der Klassenbegriff „out“ – zu statisch, zu eindimensional, zu undifferenziert. Um soziale Gruppen in ihrer Komplexität zu erfassen, arbeiten SozialwissenschaftlerInnen seit einigen Jahren mit den Begriffen Lebenswelt, Milieu und Figuration. Und nun ist es ausgerechnet das Handlungsfeld „Sport“, das der von Karl Marx geprägten Prämisse neues Leben einhaucht.

Denn in der (deutschen) Sportwelt finden wir mittlerweile eine Klassengesellschaft vor, in der wenige viel und viele wenig Kapital besitzen. So ist es halt im Kapitalismus. Joseph A. Schumpeter sprach einst von den zerstörerischen Kräften des Kapitalismus und Mancur Olson vom Ruin durch Verteilungskoalitionen. Im Sport lassen sich diese (oft belächelten) Thesen vom Prinzip der schöpferischen Zerstörung nun sehr schön nachzeichnen. Das ökonomische Kapital im Sport stammt aus Zuschauereinnahmen, Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Sponsorengeldern und Rechtevergaben.

Im Profisport sind es insbesondere die letzten beiden Posten, die Geld in die Kassen spülen und eine Drei-Klassengesellschaft produzieren: Eine eigenständige Klasse bildet hier der Fußball, in dem jährlich allein in Deutschland mehrstellige Millionenbeträge bewegt werden, ergänzt durch Einzelsportarten wie Golf und Tennis. Die zweite Klasse bilden Sportarten wie Handball, Basketball und Eishockey, in denen zumindest die Profis der Topclubs (sehr) gut leben können. Als Einzelsportart wäre hier beispielsweise die Leichtathletik zu nennen. Die unterste Klasse bilden Sportarten wie Hockey oder Volleyball; Sportarten mit einer kleinen, aber feinen Anhängerschaft, international spitze (oder dicht dran) – und doch muss jeder Cent mehrfach umgedreht werden.

Und innerhalb dieser Sportarten lässt sich eine weiter Differenzierung nach dem Klassenmodell vornehmen: Die Top-Verdiener unter den Profi-Fußballer wissen mitunter nicht, was sie mit Ihrem Geld anfangen sollen, während die Amateure für's Spritgeld spielen. Im kleineren finanziellen Rahmen ist es so auch beim Handball und Eishockey, und auch die Top-Volleyballer sind Profis und müssen keinem (weiteren) Broterwerb nachgeben. Die monetäre Entlohnung, die die Top-Athleten in ihren Sportarten erhalten, ist primär nicht an die erbrachte Leistung gekoppelt. Schließlich unterscheidet sich das Trainingspensum von Leistungssportlern aus unterschiedlichen Sportarten nur marginal.

Es ist der Umsatz, der mit ihnen, den Athleten, gemacht werden kann. So ist es im Kapitalismus. So war es und so wird es sein. Warum also das Gewäsch von den selbstzerstörerischen Kräften? Schaut man etwas genauer hin, hat sich in den letzten Jahren eine Entwicklung vollzogen, die Anlass zur Besorgnis gibt. Denn nun sind auch im Profi-Fußball Spieler auf Arbeitslosengeld angewiesen – wie beispielsweise die vertragslosen Spieler, die in der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) organisiert sind. Und auch die Verhältnisse innerhalb der Spielklassen haben sich verschoben. Die Verteilungskoalitionen haben dazu geführt, dass (auch im Sport) die Mächtigen mächtiger und die Mittellosen ohnmächtiger wurden.

In der Handball-Bundesliga ist der Etat der fünf reichsten Clubs in etwa so hoch wie der der restlichen Vereine der Liga: Kiel, Hamburg, Flensburg, die Rhein Neckar Löwen und Lemgo haben mittlerweile ihre Kader mit Top-Spielern aufgerüstet, so dass sie sich fast nur noch gegenseitig schlagen können. Bei einem Duell des Tabellenletzten gegen den Tabellenersten ist nur noch interessant, wie hoch die Niederlage des Letzten ausfällt. In der spanischen Liga ist dieser Prozess noch weiter fortgeschritten: Hier sind es die Clubs von Ciudad Real, Barcelona und Valladolid, die die Liga dominieren.

Und vor Geisterkulissen spielen. Denn bei allem ökonomischen Kalkül wurde offenbar eines nicht bedacht: Der Zuschauer kommt in der Regel nur zu einem Spiel, wenn der Ausgang offen ist. Ist vorher klar, wer gewinnt, ist das Ereignis an sich witzlos. Im Fußball finden wir ähnliche Tendenzen wie im Handball, nur ist beim Fußball aufgrund des Regelwerkes auch immer die Möglichkeit gegeben, das der Letzte den Ersten schlägt – und im Pokal mitunter auch ein Regionalligist sich gegen einen Bundesligisten durchsetzt. Im Handball oder Volleyball ist das nahezu unmöglich. In den USA hat man diese Problematik schon vor Jahrzehnten erkannt.

Die talentiertesten Spieler eines College oder der Highschool werden „gerankt“ und dürfen nach ihrem Schul- oder Studienabschluss nicht frei ihren Arbeitsplatz respektive die Mannschaft wählen, in der sie spielen wollen. Die Teams, die in der Meisterschaft als erstes den Urlaub antreten müssen, erhalten den talentiertesten, der Meister einen der hinteren auf der Liste. Natürlich steht es den Vereinen frei, sich etablierte Spieler hinzuzukaufen, aber dennoch ist durch diesen Formalismus gewährleistet, dass auch die finanzschwächeren Teams auf starke Spieler zurückgreifen können. Scheidet ein Team sechs Jahre in der ersten Runde aus, hat es im siebten Jahr eine starke – zumindest aber talentierte – erste Sechs.

In der Handball-Bundesliga setzen die Aufsteiger ebenfalls auf Talente oder ältere Osteuropäer – die kosten (fast) nichts. Und das Ziel ist nicht, wie „früher“, nur das sportliche, sondern auch das finan-zielle Überleben. So hat sich in den Sportligen nicht nur eine Zweiklassengesellschaft etabliert, die sich über Armut und Reichtum definiert, sondern eine Dreiklassengesellschaft: Eine Klasse, die die Erfolge unter sich aufteilt, eine zweite Klasse, die wirksame Überlebensstrategien entwickelt hat und eine dritte, die an solchen Strategien arbeitet. Die Durchlässigkeit zwischen den Klassen ist gering, Mobilität wird nahezu ausschließlich durch den ökonomischen Faktor bestimmt. Hier gilt: „Kommt ein Scheich und macht uns reich, kochen wir die Gegner weich. Bleibt die Kohle bei den ander'n, in den Keller wir gleich wandern.“

Die Gesetze des Marktes sind einfach, und vorbei die Zeiten, in denen sich gute Jugendarbeit lohnt – die Früchte erntet der, der in Besitz der Produktionsmittel ist. Und die Spannung? Bleibt auf der Strecke. Was wächst, ist die Ungeduld. Wie kürzlich mehr als deutlich vom (zugegeben äußerst kritischen) Hamburger Fußballpublikum demonstriert. Da haben die mit dem Adler auf der Brust eine famose WM-Quali gespielt, nicht ein einziges Mal verloren und die russische Auswahl sogar in der Höhle der Löwen auf unliebsamen Kunstrasen besiegt.

Im folgenden Spiel gegen die Finnen im Hamburger Volkspark war die immense Erwartungshaltung des Publikums zu spüren und ein durchschnittliches Spiel mit einem gellenden Pfeifkonzert quittiert. Für eine erbrachte Leistung (Eintrittskarte) wird eine adäquate Gegenleistung erwartet (rauschartiges zelebrieren höchster Fußballkunst). Dabeisein ist nicht mehr alles, denn der Fußball ist längst Teil einer Kulturindustrie, in der mit harten Bandagen um die Piepen der Konsumenten gekämpft wird. Und Fußball ist zwar nach wie vor ein gefragtes Gut, dafür aber ein Event mit unkalkulierbarem Unterhaltungsfaktor.

Um der Gefahr entgegenzuwirken, (weitere) Zuschauer zu verlieren, wird im deutschen Handball eine Soli-Abgabe diskutiert: Die Besserverdiener sollen den ärmeren Clubs finanziell unter die Arme greifen, um so deren Konkurrenzfähigkeit zu sichern. Eine Art Länderfinanzausgleich auf Vereinsebene. Klappt ja (irgendwie) im Großen, warum also nicht auch im Sport? Ein Haken hat die Sache: Der Sport lebt vom Wettbewerb, sprich: Konkurrenz. Und ein Soli im Sport würde einen einfachen je-desto-Effekt produzieren: Je erfolgreicher ich bin und je besser ich wirtschafte, desto stärker werden meine Gegner. Das kann es doch nicht sein. Aber auch das freie Spiel der Kräfte scheint keine gangbare Option (mehr) zu sein. So wird die Sport- wie auch die Weltpolitik weiterhin nach einem dritten Weg suchen müssen, der den Bedürfnissen der Menschen – im Kontext des Sports nach Abwechslung, Spannung und Unterhaltung – gerecht wird.

Diskussionen über die Sanktionierung von Neuverschuldungen und die Einführung von Gehalts- und Etatobergrenzen in einer Art freiwilligen Selbstbeschränkung aller Akteure ist ein erster Schritt, das Problem anzugehen. Aber dass bislang nur darüber diskutiert wird, zeigt zumin-dest, wie weit die Sportvereine davon entfernt sind, eine Solidargemeinschaft zu sein. Sie setzen weiterhin auf den ungezügelten Kapitalismus: Soviel Kontrolle wie nötig, soviel Frei-heit wie möglich. Viele Menschen erfahren zur Zeit schmerzhaft, wohin das führen kann: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“ (J.W.v. Goethe, Zauberlehrling)

Der Hamburger Sportsoziologe Dr. Markus Friederici berichtet in einer monatlichen Kolumne über das Sportgeschehen.