Grasse, im Hinterland von Nizza gelegen und vom milden Klima der Provence verwöhnt, ist die Metropole für die Herstellung exklusiver Parfums.

Ihre Großeltern besaßen Rosenfelder im Hinterland der Côte d'Azur und Lavendeläcker an den Hängen der Seealpen. Sie ist als Kind durch dieses provencalische Farbenmeer getobt, hat an Tausenden von Blüten geschnuppert, bei der Ernte mitgeholfen - und irgendwann ihre Nase zum Beruf gemacht. Dafür mußte sie nur ein paar Orte weiterziehen: Heute erfindet Celine Reinard-Demets in der Parfum-Metropole Grasse im Hinterland von Nizza betörende Düfte, mixt Essenzen und kreiert in monatelanger Feinarbeit neue Parfums.

Sie alle riechen nach Südfrankreich, nach der Leichtigkeit der Provence, nach dem Wechselspiel aus Gebirge und Meer - und immer ein wenig nach ewigem Frühling. "Jedesmal sind ein paar Tropfen Rosen- und Lavendel-Essenz dabei", sagt sie und lächelt, als ob beim Mischen und Schnuppern die Bilder aus ihrer Kindheit vorm inneren Auge ablaufen. Maximal vier Stunden am Tag hält eine geschulte Nase diesen Job durch - danach verschwimmen die Gerüche.

Rund 900 Kilo Lavendel müssen sich die Parfumhersteller in Grasse von den Bauern der Umgebung liefern lassen, um in einem komplizierten Destillationsverfahren einen Liter der kostbaren und stark duftenden Essenz zu gewinnen, die Grundstoff vieler Parfums ist. Bei den Rosen sind es bis zu vier Tonnen Blütenblätter, die für einen Liter der Flüssigkeit in erstklassiger Qualität nötig sind. "Diese Blüten der stark duftenden Mairose Centifolia sollten am besten morgens geerntet werden, wenn sie sich gerade geöffnet haben. Und sie müssen binnen einer Stunde verarbeitet werden, damit der Duft seine Intensität nicht verliert."

Celine Reinard-Demets arbeitet für "Molinard", neben "Galimard" und "Fragonard" einer der großen Namen von Grasse - und sie führt Interessierte in die Kunst der Parfumeur-Meister ein. Unter ihrer Anleitung können sich Urlauber mit Pipetten aus 80 verschiedenen Essenzen von Jasmin bis Rosmarin, von Vanille bis Mandarine in der Stadtvilla von "Molinard" den eigenen Traumduft mixen und den Flacon mit nach Hause nehmen. Über die Formel wird millilitergenau Buch geführt, so daß die Eigenkreation später sogar nachbestellbar ist. Den Namen des Dufts kann jeder gleich miterfinden: ob "Nizza bei Nacht" oder "Côte de Rose" - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. "Normalerweise dauert es ein Jahr, ein neues Parfum bis ins Detail zu entwickeln. Aber soviel Zeit haben die meisten Leute im Urlaub nicht."

Die hauptberuflichen Schöpfer der Düfte sehen sich als Künstler gleichauf mit Komponisten und Malern. Ihre Tonleiter besteht aus Gerüchen - und erprobte Nasen können 3000 Noten unterscheiden. Die Kunst besteht darin, diese "Klänge" harmonisch zusammenzustellen.

Die Parfumeure waren es, die der Stadt Grasse vom 16. Jahrhundert an Wohlstand beschert haben. Im Labyrinth der mittelalterlichen Gassen hatten sie ihre Werkstätten und Läden, versahen zunächst das Leder von Taschen, Westen und Handschuhen für Adelige mit wohligen Duftnoten. Als sich die Bauern der Umgebung gezielt auf den Bedarf der Parfumeure einstellten, kam der große Durchbruch: Das milde Klima eignet sich bestens dafür, Pflanzen auch aus fernen Ländern auf den Böden der Provence zu kultivieren und direkt vor der Haustür anzubauen, was die Erfinder immer neuer Düfte in Grasse brauchen.

Am eindrucksvollsten ist all das, sobald die Provence wieder zu blühen und zu duften beginnt. Dem deutschen Frühling ist sie um gut zwei Monate voraus. Die Centifolia steht ab Anfang Mai in voller Pracht, und die 16 000 Hektar provencalischer Lavendelfelder folgen als Nachzügler von Juli bis September.

In der Vorsaison scheint die Luft klarer, der Himmel blauer und alles Grün intensiver zu sein. Es ist die Zeit, die die Künstler der Provence besonders liebten: Renoir und Cezanne, Matisse und Picasso, der jahrzehntelang nur ein paar Kilometer von Grasse entfernt lebte und arbeitete. Oder Marc Chagall, der im alten Festungsdorf St. Paul de Vence zu Hause war. Bei Henri Matisse hielt die Begeisterung ein Leben lang an: "Als ich begriff, daß ich jeden Morgen dieses Licht wiedersehen würde, konnte ich mein Glück kaum fassen", hat er in Nizza gesagt. Sie alle ließen sich von der besonderen Intensität der Farben inspirieren - und von den Düften. Und fast alle zogen sie das Hinterland den Küstenorten vor.

Morgens ist es der Geruch nach Croissants und Cafe au Lait, der über den Gassen von Grasse liegt. Die klare Luft schmeckt nach Frühling. Auf fast zwanzig Grad wird das Thermometer diesen Vormittag klettern. Flaneure haben allenfalls noch einen leichten Schal um den Hals. Die ersten tragen Sommerkleidung, und über dem Land liegt ein Lächeln. "Es ist diese besondere Stimmung. Danach muß ein Parfum duften, wenn es in der Provence entsteht", sagt Celine Reinard-Demets. "Und erst recht, wenn seine Bestandteile hier gedeihen."