Die Menschen in Tangstedt sind entsetzt, dass der 49-jährige Andreas K., der Entführer der Bargteheiderin Anne H., mitten unter ihnen lebte.

Tangstedt. Viele Menschen in Tangstedt stehen unter Schock. Nahezu der ganze Ort diskutiert über ein Verbrechen, von dem jeder denkt, dass solche Fälle immer nur woanders passieren. Jedenfalls niemals in der eigenen Gemeinde, erst recht nicht auf der anderen Seite des eigenen Gartenzauns. Eine Woche lang war die 25 Jahre alte Arzthelferin Anne H. aus Bargteheide in einem Häuschen am Waldrand gefangen und wurde sexuell missbraucht, während Freunde, Verwandte und sogar die Internet-Gemeinde fieberhaft nach ihr suchten.

Eine Woche lang ahnten die Nachbarn des Klempners Andreas K., 49, nicht, was sich hinter den Mauern dieser ärmlichen Behausung abspielte, die gleich einer Einsiedelei in der hintersten Ecke einer Laubenkolonie liegt. Zu erreichen über einen langen, sandigen Privatweg und von nahezu nirgendwo einzusehen. Ein perfektes Versteck.

In den Geschäften diskutieren die Menschen über den Fall

Eine Woche lang konnte der Klempner K. sein Doppelleben verbergen. Dann brachte er Anne H. nach Hause. Als drei Tage später Elitepolizisten in der Siedlung Am Walde anrückten, um eine staatsanwaltschaftlich angeordnete Hausdurchsuchung umzusetzen, war der Entführer tot. Andreas K. hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten.

Die Angst vor diesem Mann, dessen Gefährlichkeit erst nach seinem Tode offenbar geworden ist, ist vielerorts zu spüren. So wie im Eiscafé, das gut einen Kilometer von K.s Haus entfernt im Ortszentrum liegt. Die hübsche albanische Bedienung hinter dem Tresen hat spontan gekündigt. "Ich kann das nicht mehr", sagt sie. "Er ist bestimmt auch hier im Laden gewesen. Das weiß ich genau." Sie hat sich ein Foto angesehen, sie hat ihn darauf erkannt. "Schrecklich. Alle wissen, dass ich hier abends allein im Laden bin. Es hätte auch mich treffen können."

Auch in anderen Geschäften wird der Fall Anne H. diskutiert. Beim Bäcker zum Beispiel. Im Blumenladen. In der Lotto-Annahmestelle. Und beim Friseur. Nein, diesen Mann, der viele Hunde hielt, der Mitglied im Polizeihundsportverein war und mit seinen Tieren Preise einheimste, kenne niemand, sagen viele Tangstedter. Die meisten kennen noch nicht mal den Tatort, diese versteckte Laubenkolonie, die nicht mehr ganz im Ort und schon halb im Wald liegt.

Dort, auf der Straße, führt Carline Menzel, 27, Soul aus, den Boxer ihres Lebensgefährten Boban Stojanovic, 38. Beide leben vorn an der Dorfstraße, in einem der größeren Häuser. Carline Menzel sagt, ihr laufe ein kalter Schauer den Rücken runter. Andreas K. habe sie nicht gekannt. Aber Anne H. "Wir sind beide in Bargteheide aufgewachsen. Einfach unvorstellbar, dass diese Tat in unserer Nachbarschaft passiert ist."

Im unmittelbaren Kreis um das weiße Häuschen solidarisieren sich die Siedler unterdessen auf eine sondersame Art und Weise mit ihrem toten Nachbarn. Eine der beiden Zufahrten ist mit Flatterband abgesperrt, die Menschen wirken gereizt und aggressiv. Journalisten und Fernsehteams sollen am Vorabend von den Siedlern, die sich mit Schaufeln, Harken und anderen Werkzeugen bewaffnet hatten, in Wildwest-Manier aus dem Viertel gejagt worden sein.

Dass von den Nachbarn so wenig über Andreas K. zu erfahren ist, sei eine Frage der Ehre: So lautet die Begründung für ihr Handeln. Tatsächlich scheinen sie wirklich wenig über ihn zu wissen. Zwei, maximal drei Jahre soll Andreas K. in dem Häuschen gewohnt haben, das er von einer alten Dame gemietet haben soll. Nach Angaben der Polizei hat er allein dort gewohnt. Manchmal habe eine Frau bei ihm gelebt, manchmal seien es auch zwei gewesen, ist zu hören. Mehr nicht.

Bis es einem, der Andreas K. ein wenig gekannt zu haben scheint, plötzlich doch entfährt: "Hier wird man über ihn nichts erfahren. Viel interessanter ist mit Sicherheit seine Bargteheider Vergangenheit." Tatsächlich hat Andreas K. nahe der Stadt gelebt, in der auch Anne H. zu Hause ist, bevor er nach Tangstedt gezogen ist. Offenbar im Ammersbeker Ortsteil Rehagen/Schäferdresch.

Polizei prüft Zusammenhang mit anderen Sexualstraftaten

Die Polizei geht unterdessen davon aus, dass Anne H. ein Zufallsopfer ihres späteren Peinigers geworden ist. Dass der genauso gut jede andere junge Frau in seinen weißen Kleintransporter hätte ziehen können, die sich am Sonntagmittag vor zwei Wochen in der Nähe es Bargteheider Bahnhofs aufgehalten hätte.

Der Tatverdächtige ist nach Erkenntnissen der Ermittler noch nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Dennoch ermittelt die Kriminalpolizei jetzt, ob der Tangstedter eventuell auch mit anderen noch nicht aufgeklärten Sexualstraftaten in Verbindung gebracht werden kann. Welche das sind, das ist aus den Polizeikreisen zurzeit nicht zu erfahren.