Viele Kranke hoffen auf ein Spenderorgan, doch die Zahl der Organspenden ist rückläufig. Der Hittfelder Hans-Jürgen Czybik hatte Glück.

Die Atemnot ist das Schlimmste. Immer wenn Hans-Jürgen Czybik aus Hittfeld nach Luft schnappt, wenn all seine Körperorgane kollabieren und er sich einnässt, ist er sich sicher: Diesmal sterbe ich. Mit jedem Atemnotanfall verliert die Respektsperson Czybik, der Geschäftführer einer Sicherheitsfirma in Hamburg, ein Stück Selbstachtung. Czybik leidet 20 Jahre lang an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, umgangssprachlich auch Raucherlunge genannt. Am Ende ist klar: Nur eine gesunde, neue Lunge kann sein Leben retten.

Deshalb ist der zweifache Vater Ende August 2009 einer der rund 12 000 schwer kranken Menschen, die auf einer der berühmten Wartelisten stehen und auf eine Organtransplantation hoffen. Viele dieser Menschen warten vergeblich. Um die Zahl der Organspenden zu steigern, haben sich alle Fraktionen des Bundestages jetzt für eine Neuregelung der Organspende ausgesprochen. Die gesetzlichen Krankenkassen sollen verpflichtet werden, ihre Versicherten in regelmäßigen Abständen zu fragen, ob sie ihre Organe nach dem Tod spenden wollen. Es gibt keinen Zwang, ein solches Schreiben der Krankenkasse zu beantworten. Der Brief kann auch im Papierkorb landen. Bei dieser sogenannten "Entscheidungslösung" geht es auch darum, dass sich die Leute mehr mit dem sensiblen Thema beschäftigen.

Denn die Zahl der Organspenden ist rückläufig. Obwohl viele Bundesbürger sich bereit erklären, ihre Organe nach ihrem Tod zu spenden, fiel die Organspende im Jahr 2011 nach Informationen der Deutschen Stiftung Organtransplantation fast auf das Niveau von 2008 zurück. 1200 Menschen haben im vergangenen Jahr nach ihrem Tod anderen Menschen mit einer Organspende geholfen - sieben Prozent weniger als noch im Jahr zuvor. Die Zahl der Organspender pro eine Million Einwohner ist damit von 15,9 auf 14,7 zurückgegangen.

Als Czybiks Arzt 1990 diese chronisch obstruktive Lungenerkrankung (auf Englisch: Chronic Obstructive Pulmonary Disease, kurz COPD) diagnostiziert, hat Czybik nicht gedacht, dass ihm am Ende nur noch eine Transplantation das Leben retten kann. Das Tückische an dieser Art der Lungenerkrankung ist, dass sie schleichend und langsam voranschreitet. Die ersten Jahre nach der Diagnose lebt der Hittfelder weiter wie bisher - ohne starke Einschränkungen. Damals ist er noch Geschäftsführer eines Sicherheitsdienstes in Hamburg. Er schiebt Überstunden, geht sechs Tage in der Woche ins Fitnessstudio, spielt Squash. "Ich war nur nicht mehr so schnell und nicht mehr so kraftvoll", sagt er.

15 Jahre nach der Diagnose treten die ersten Atemschwierigkeiten auf. Czybik hat Mühe, Treppen zu bewältigen. "Ich höre auf zu rauchen, und dann erholt sich die Lunge schon wieder", denkt Czybik. Das ist 2005. Seitdem hat der Mann tatsächlich keine Zigarette mehr angerührt. Zugleich richtet er sein Leben nach seinen Schwächen aus. Er besucht nur noch Restaurants und Lokale, in denen er keine Treppenstufen steigen muss, reserviert Plätze am Eingang, um lange Wege und Atemnot zu vermeiden.

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2007 geht es rapide bergab. Immer öfter plagen ihn die Atemnotanfälle. "Das ist wie ein langsames Ersticken", sagt Czybik. "Wenn man sich die Nase und den Mund zuklebt und dann durch einen Strohhalm atmet, bekommt man in etwa eine Ahnung davon, wie ich mich gefühlt habe." Ein chirurgischer Eingriff, das Einsetzen von Lungenventilen, bringt nicht den erhofften Erfolg. Kurz darauf wird eine Sauerstoff-Tonne in sein Haus gebracht, an die er zuerst nur nachts, dann aber auch tagsüber angeschlossen werden muss. Er kann sich nur noch in einem Radius von 15 Metern bewegen. Doch den Gedanken an eine Transplantation schiebt Czybik weit von sich.

Anfang 2009 kann er sich nicht mehr allein waschen und duschen. Er verlässt das Bett nicht mehr und hat aufgehört, die Atemnotanfälle zu zählen. Irgendwann denkt er: "Erschieße ich mich, oder gebe ich mir doch noch eine Chance?" Das ist der Zeitpunkt, an dem Sabine Henke von der Hamburger Regionalstelle des Bundesverbandes der Organtransplantierten (BDO) ins Spiel kommt. Sie stellt einen Kontakt zu einem Mann her, der eine erfolgreiche Lungentransplantation hinter sich hat. Czybik wundert sich, dass dieser Mann "komplett wiederhergestellt ist". Der Kaufmann entscheidet sich für die Chance - für die Transplantation.

Im August 2009, da sitzt er schon im Rollstuhl, meldet der verantwortliche Chirurg vom Transplantationszentrum der Medizinischen Hochschule Hannover Czybik beim Unternehmen Eurotransplant in Leiden, Niederlande, als potenziellen Organempfänger an. Die Ärzte prognostizieren eine Wartezeit von zwei bis zweieinhalb Jahren.

Jetzt beginnt der Ritt auf der Rasierklinge. Eine Lungentransplantation ist nur in einem engen Zeitfenster möglich. Geht es dem Patienten zu gut, sind andere vor ihm dran. Verschlechtert sich sein Zustand, und ist noch kein Spendeorgan gefunden, geht er unter Umständen leer aus und stirbt.

Hans-Jürgen Czybiks Lunge gleicht inzwischen einem ausgeleierten Luftballon und ist kurz vor dem Versagen. Czybik muss in der Klinik Fallingbostel invasiv beatmet werden. Zuerst ist er nur stundenweise an dem Gerät angeschlossen. Dann den ganzen Tag. Czybik bittet seine Frau Anne darum, ihm die "berühmte Pille" zu besorgen. Er hat sie nie bekommen. "Ich hätte sie wahrscheinlich auch gar nicht genommen, hätte sie aber gern gehabt." Langsam denkt Czybik: "Ich schaffe das nicht mehr."

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Am 20. Januar 2010 wird Czybik dringlich gelistet. Das heißt: Die nächste verfügbare Lunge soll doppelseitig in seinen Brustkorb verpflanzt werden. Die Klinik Fallingbostel darf er nun nicht mehr verlassen. Er hat Glück. Am 27. Januar, es ist etwa 14 Uhr, ruft das Transplantationszentrum Hannover an und macht ein sogenanntes "Organangebot". 20 Minuten später wird er aus der Klinik Fallingbostel abgeholt. Am 28. Januar, kommt er schließlich unters Messer. Für Czybik ähnelt der Operationssaal einem "leeren Schlachtraum". Sechs Stunden vergehen. Er wacht auf und realisiert: Er kann frei atmen. Schon einen Tag später kann er die Intensivstation verlassen. Als er das erste Mal ohne Hilfe duschen kann, muss er weinen.

Czybik beschäftigt sich nicht weiter damit, dass er ein fremdes Organ in sich trägt. Nicht, weil ihm die Demut fehlte oder aus Kaltherzigkeit, sondern aus pragmatischen Gründen. "Wenn man sich mit diesem Gedanken zu sehr beschäftigt, ist man für eine Transplantation nicht geeignet", sagt er.

Seinem Beruf kann er nicht mehr nachgehen. Er gilt als berufsunfähiger Ruheständler. Seit der Operation hat Czybik einen unbändigen Bewegungsdrang. Er bringt den Müll raus, schaufelt Schnee. Dinge, die er jetzt gern tut, weil er dazu lange nicht in der Lage war. Er treibt ausgiebig Sport - Fitness, Kraftsport. Auf seinem Rennrad legt er fast täglich 50 Kilometer zurück.

Czybik, der Mann mit dem rotblonden etwas lichten Haar, kleidet sich heute gern in Jeans. Er sitzt an seinem gläsernen Schreibtisch, vor ihm eine Schachtel mit Tabletten. Pinke, blaue, gelbe, weiße in allen Formen - rund, oval, länglich. Ja, er muss viele Tabletten schlucken. 28 pro Tag. Sie fahren sein Immunsystem herunter, damit es das fremde Organ in seinem Körper nicht abstößt. Er darf kein rohes Fleisch essen, nicht im Garten arbeiten, um sich keine Infektionen einzuhandeln. All diese Einschränkungen stören ihn nicht. "Ohne Transplantation wäre ich heute tot", sagt er. Es vergeht kein Tag, ohne dass er an seinen Spender denkt. "Danke", sagt er dann leise.