Der heute 58-Jährige sagt: Seit meiner Zeit im Awo-Kinderheim am Haidkamp bin ich auf einem Auge fast blind. Sexueller Missbrauch, Schläge und Essensentzug waren an der Tagesordnung.

Pinneberg. Heinz B. ist heute 58 Jahre alt. Er lebt mit seiner Familie an der Schlei. Von 1961 bis 1962 verbrachte der gelernte Bürokaufmann als Neunjähriger ein Jahr im Awo-Kinderheim in Pinneberg. Er erinnert sich an viele Einzelheiten aus dem streng geregelten Heimalltag. Zum Beispiel an die Schulbaracke neben dem Heim und ganz besonders an seinen Lehrer.

"Einmal hatte ich meine Hausaufgaben vergessen. Ich musste nach vorne kommen. Der Lehrer hatte eine ganz besondere Art, uns zu bestrafen. Ich stand in gebückter Haltung, und die ganze Klasse begann zu singen: ,Es klappert die Mühle am rauschenden Bach'. Und bei Klipp Klapp sauste der Rohrstock auf mein Hinterteil, was natürlich höllisch wehtat." Nach der Schließung der Heimschule ging Heinz B. auf eine öffentliche Schule in Pinneberg. "Da das Heim sehr verrufen war, wurden wir von anderen Kindern gemieden."

Ab 15 Uhr hieß es für die Heimkinder täglich: Gartenarbeit. Übers Jahr bestellten die Kinder einen riesigen Nutzgarten. Ihre komplette Arbeit protokollierten sie in den Gartenbüchern, einige davon liegen der Pinneberger Zeitung vor. "Das war sehr schwere körperliche Arbeit", erinnert sich Heinz B., "zählte aber im Rückblick nicht zu den wirklich schlechten Erlebnissen."

Einmal sei er mit seinem Freund Willy aus dem Heim abgehauen nach Hamburg. "Wir wurden natürlich geschnappt und vom Heimleiter mal wieder mit Essensentzug bestraft." Das sei eine übliche Strafe gewesen. "Vor Hunger habe ich sogar altes Brot geklaut." Wurde er dabei erwischt, setzte es wieder Strafen. Noch heute liege in seinem Auto stets ein trockener Brotknust. "Für den Fall, dass es mal nichts mehr zu essen gibt und ich hungern muss", sagt Heinz B.

Zu den Aufgaben des damals Neunjährigen gehörte am Haidkamp das Tiere füttern in den Stallungen. "Ich habe oft Tierfutter gegessen, weil ich nichts anderes bekommen habe." Er habe sich gerne in den Ställen aufgehalten, "weil ich die Tiere, die leider regelmäßig geschlachtet wurden, sehr geliebt habe", erzählt Heinz B. "Dieser Stall wurde für mich auch Ort der ersten sexuellen Erfahrung". Heinz B. erinnert sich verschwommen an Erzieher Heinz R. "Es gelang ihm, mich festzuhalten und einzuschüchtern. Er zwang mich, ihn mit der Hand zu befriedigen. Dann ließ er mich frei."

Die Erinnerungen an den Heimleiter sind ganz klar: "Ich saß einmal mit einem seiner Söhne in der Badewanne, als plötzlich das Licht ausging. Ein paar große Jungs schütteten dem Heimleiter-Sohn Seifenpulver über den Kopf. Der bekam das Zeug in die Augen und schrie wie am Spieß. Auf einmal kam sein Vater rein, schrie auf mich ein, beschimpfte mich als Sauhund und Dreckskerl, zerrte mich aus der Wanne und schlug auf mich ein. Ich kroch in meinen Schlafsaal in der ersten Etage und heulte mich in den Schlaf."

Einmal habe er einem Neuen die Funktion des manuell betriebenen Speisenaufzuges erklärt. "Der Heimleiter kam um die Ecke, dachte wohl, dass ich an dem Aufzug rumspiele, und knallte mir ohne Vorwarnung seine Pranke aufs Auge. Danach schmerzte und tränte mein rechtes Auge. Es war so schlimm, dass ich von der Gartenarbeit befreit wurde und im Bett liegen durfte. Ich bekam einen kühlen Waschlappen aufs Auge gelegt." Die Schmerzen seien schließlich so unerträglich geworden, dass eine Erzieherin mit ihm zur Uni Klinik Kiel gefahren sei. "Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich neben einer tierischen Angst vor den ganzen Ärzten in ihren weißen Kitteln auch höllische Schmerzen hatte und permanent während der Untersuchung geweint habe. Die Folge der Verletzung: "Ich bin seit damals auf dem rechten Auge fast blind."