Täglich rollen Gigaliner von Voigt Transport durch den Kreis Segeberg. Meyer hat für die umstritten Kolosse eine Schulung absolviert.

Gegen dieses Cockpit wirken Sitze und Armaturen einer Mercedes-S-Klasse wie eine Kleinwagenausstattung. Zwischen Windschutzscheibe, Fahrer- und Beifahrersitz reicht der Platz für eine komfortable Reise inklusive Liege für die Ruhepausen. Dazu kommen technischen Hilfen, die eines Mercedes würdig sind: eine butterweiche Automatik, Abstandswarner, Spurassistent und eine Rückfahrkamera. Ingo Meyer zündet sich die nächste Zigarette an - neben Kaugummi und RSH aus dem Radio sein Allheilmittel gegen Stress und Müdigkeit. Meyer fährt Gigaliner, auch Lang-Lkw genannt, der nicht nur mit seinem luxuriösen Führerhaus beeindruckt, sondern besonders durch seine Maße. Der mehr als 25 Meter lange Koloss rollt zweimal pro Tag durch den Kreis Segeberg. Das Hamburger Abendblatt hat Ingo Meyer bei einer Tour begleitet.

Bei Voigt Transport in Neumünster stehen drei Gigaliner für Touren bereit. Die Riesen der Landstraßen und Autobahnen nehmen an einem bundesweiten Feldversuch der Bundesanstalt für Straßenwesen teil. Das Ziel: Die Experten wollen herausfinden, ob die Gigaliner für überdurchschnittlich viele Unfälle sorgen und ob die Straßen den Fahrzeugen gewachsen sind. Fünf Jahre soll die Untersuchung dauern, das erste ist noch nicht einmal rum.

Die Route führt an Bad Segeberg vorbei zur Autobahn 1

"Der fährt sich genauso wie andere Lkw auch", sagt Ingo Meyer, als er die Zugmaschine startet. Unter den Planen auf der Ladeflächen stehen leere Rollkörbe. Stapelfeld im Kreis Stormarn heißt das Ziel. Die Route führt über die Straßen des Gewerbegebiets im Süden von Neumünster über die Bundesstraße 205 und die Autobahn 21 an Bad Segeberg vorbei zur Autobahn 1. "Die Route ist vorgeschrieben", sagt Meyer. Das Verkehrsministerium in Kiel hat penibel festgelegt, wo der Gigaliner rollen darf. Steht Meyer im Stau, kann er nur warten. Ausweichstrecken zu nutzen, ist verboten. Die zweite Route der Voigt-Riesen führt täglich nach Rendsburg. Dort haben die Lastwagen Betonteile an Bord, in Stapelfeld holt Meyer Süßwaren und andere Produkte für den Einzelhandel ab.

Durchs Gewerbegebiet lenkt Meyer den Gigaliner lässig an geparkten Autos vorbei, als säße er am Steuer eines Klein-Transporters. "Bei einem normalen Lastzug sind die Bögen, die ich fahren muss, kaum größer", sagt der 46-Jährige aus Neumünster, der seit mehr als 20 Jahren für Voigt unterwegs ist. "Die sieben Meter Unterschied bringen nichts." Tempo 80 im Führerhaus eines solchen Giganten wirken wie 30 km/h in einem Pkw. Mit dezentem Brummen aus dem 420 PS starken Motor rollt der Gigaliner auf Bad Segeberg zu. Kurz vor der A 21 stehen auf einem Parkplatz an der gegenüberliegenden Straßenseite wieder einmal die Kontrolleure von Polizei und Zoll. Auch Meyer haben sie schon mehrfach gestoppt. "Wenn man mit einem Lang-Lkw kommt, prüfen die alles ganz genau", sagt Meyer. Eine halbe Stunde kann eine Kontrolle durchaus dauern. Vor Kurzem verabschiedete sich ein Polizist mit den Worten: "Jetzt habe ich so ein Riesending auch mal gesehen." Auch Kollegen fragen immer wieder neugierig nach dem Fahrgefühl auf einem Riesen und sind verwundert, dass sich der Gigaliner vom herkömmlichen Lastzug kaum unterscheidet.

Meyer musste eine Schulung absolvieren, bevor er sich ans Steuer des Lang-Lkw setzen durfte. Vorschriften zu lernen gehörte zum Lehrprogramm. Zum Beispiel die Anweisung, dass Gigaliner genau wie Gefahrguttransporter bei Glätte einen Parkplatz ansteuern müssen. Die ohnehin chronisch überlasteten Rastplätze sind für die langen Fahrzeuge und ihre Fahrer ein Problem. Normale Stellplätze sind zu kurz. Für Meyer bleibt nur die seitliche Spur für die Schwertransporte. "Lang-Lkw" steht auf einem großen Schild am Heck des Gespanns, das aus einer Zugmaschine und dem Auflieger eines Sattelzuges besteht, der mit einer Vorderachse zum Anhänger umgerüstet wurde. "Wir haben investiert", sagt der Geschäftsführer von Voigt Transport, Jörg Braatz. 300.000 Euro hat sich das Unternehmen das Projekt Gigaliner kosten lassen. Eine Investition, die sich bislang noch nicht rechnet, weil die Groß-Lkw nur in Schleswig-Holstein auf ausgewählten Strecken fahren dürfen. Jörg Braatz würde gern regelmäßig zwei Kunden in Niedersachsen und Hessen mit den Fahrzeugen ansteuern, doch diese Bundesländer verweigern die Genehmigung. "Das ist eben Politik", sagt Braatz, der auf die Kritik an den Gigalinern mit Kopfschütteln reagiert.

Er widerspricht zum Beispiel der These, dass die Fahrzeuge die Straßen beschädigen. Gigaliner sind so schwer wie normale Lastwagen, verteilen aber das maximale Gewicht von 40 Tonnen auf mehr Achsen. "Das ist besser für die Straßen", sagt Braatz. Er hält die Fahrzeuge sogar für klimaschonend, weil sie 52 statt 34 Paletten laden können, aber nur geringfügig mehr Diesel als ein herkömmlicher Lkw schlucken. Der Verbrauch liegt bei etwa 30 Litern pro 100 Kilometer. "Das ist ein Fahrzeug für Bundesstraßen und Autobahnen", meint Braatz. "Wir wollen damit große Firmen und Industriegebiete erreichen und nicht in der Hamburger City anliefern." Deswegen müssten Straßen auch nicht für die Gigaliner, wie von Kritikern behauptet, ausgebaut werden.

Auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit Gigalinern

Doch die Kritik von der politischen Ebene geht ins Grundsätzliche. Lang-Lkw gefährden das Ziel, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu verlegen, sagt eine Sprecherin des Kieler Verkehrsministeriums. Die Landes-Grünen, die in Kiel mitregieren, fürchten zudem ein großes Unfallrisiko beim Überholen und halten die Gigaliner für kontraproduktiv beim Kampf für den Klimaschutz. Inzwischen beschäftigt sich sogar das Bundesverfassungsgericht mit den Fahrzeugen. Schleswig-Holstein und das grün regierte Baden-Württemberg klagen gegen den Feldversuch, der per Verordnung des Bundesverkehrsministers am 1. Januar gestartet wurde. Die beiden Landesregierungen pochen darauf, dass bei dieser Entscheidung auch die Bundesländer mitreden müssen.

Ingo Meyer lenkt in Stapelfeld den 25-Meter-Koloss rückwärts an die Laderampe. "Das muss man ein bisschen üben", sagt der 46-Jährige, der beim Rangieren aus der geöffneten Tür und in die Spiegel schaut. Die gesetzlich vorgeschriebene Kamera am Heck, die ihm Bilder auf das Armaturenbrett liefert, braucht er nicht. "Entweder man kann das", sagt Meyer. "Oder man kann das nicht."