“Neues vom Nachbarn“: Der Journalist aus Henstedt-Ulzburg ist durch Europa gefahren und hat in jedem Land einen Menschen interviewt.

Norderstedt. Eine Audienz beim Fußballgott - dafür würde so mancher Fußballfan alles aufs Spiel setzen, was ihm heilig ist. Oliver Lück brauchte nichts aufs Spiel zu setzen, um dem bedeutendsten aktiven Fußballer nahe zu kommen. Ganz nahe. Und siehe da: Der Fußballgott ist, genau betrachtet, nicht viel mehr als ein schüchterner junger Mann, der seine Beine auch beim Gespräch nicht stillhalten kann. Und zu verstehen ist Lionel Messi auch kaum, weil er die Angewohnheit hat, sehr leise zu sprechen, fast zu flüstern. Aber das ist egal: Viel zu sagen hat der beste Fußballer der Welt ohnehin nicht.

Die Begegnung mit dem "kleinen Finger Gottes" ist eine von 26 Geschichten in Oliver Lücks gerade erschienenem Buch "Neues vom Nachbarn, 26 Länder, 26 Menschen." Messi ist die bekannteste Person, die der Journalist aus der Gemeinde Henstedt-Ulzburg vorstellt, die interessanteste ist sie nicht. Da gibt es knorrigere Typen, die mitten im Leben stehen und deren Lebensleistung facettenreicher und unterhaltsamer sind. Von 2008 bis 2010 - mit einer Unterbrechung - war Oliver Lück mit seinem VW-Bulli in Europa unterwegs, um Menschen zu sammeln. Begleitet wurde er von seiner Hovawart-Hündin Locke, die zu Beginn der Reise noch ein Welpe war.

Der Lücksche Wohnraum im Obergeschoss des Elternhauses in Ulzburg wirkt wie eine Loftwohnung: Ein großer Raum für Oliver, seine Ehefrau und seinen sechs Monate alten Sohn. Ehebett neben Kinderbett, Badewanne neben den Küchengeräten, PC-Bildschirm auf dem Esstisch. Locke überall. Gemütlich, aber nicht von Dauer. "Wir bauen um", sagt Oliver Lück. "Das Schlafzimmer kommt nach oben." Auf den ersten Blick wirkt diese Wohnung zwar gemütlich, aber im Augenblick noch mehr wie ein vorübergehender Aufenthaltsraum für einen Weltenbummler und Menschensammler.

Der blaue VW-Bulli, Jahrgang 1991, 330 000 Kilometer, steht im Carport und ist zurzeit nicht einsatzbereit. Das Getriebe! Aber Ersatz kommt, der Bulli gibt sich noch längst nicht geschlagen. Wäre ja auch gelacht, nach all den Strapazen, die er auf der Tour durch Europa einigermaßen unbeschadet überstanden hat. Und 330 000 Kilometer - das ist für einen Bulli-Diesel gerade mal die Einfahrquote. Da geht noch vieles!

Im Mai 2008 haben sich Oliver Lück und Klein-Locke in diesen Bulli gesetzt und sind zunächst gen Osten gefahren. Nach Tschechien, in die Slowakei, Polen, dann nach Litauen, Lettland, Estland, hoch nach Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark. Das Ziel waren nicht die Länder, sondern die Menschen. Eine Reise ohne Plan, bei der Oliver und Locke mit journalistischem Gespür und durch manche Zufälle Menschen kennengelernt haben, über die es sich zu berichten lohnt. Zum Beispiel den Goldwäscher aus dem Dorf Inari, 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, der drei Monate zuvor den Fund seines Lebens gemacht hat: 193 Gramm Gold. Seine dreijährige Enkelin musste den Brocken Gold, der größte, er jemals in Finnland gefunden wurde, mit beiden Händen halten, so groß war er. 40 000 Euro gab es dafür. "Als Riku, geboren 1951, den Schatz seines Lebens fand, schrie er nicht vor Freude, er jubelte nicht mal kurz. Er steckte sich eine Zigarette an und dachte nach. Dann startete er seinen Bagger wieder und buddelte weiter."

Oliver Lück hat die Menschen, denen er begegnet ist, genau beobachtet. Er schreibt klassische Reportagen, vermischt Beobachtetes, Erzähltes und Wissenswertes zu feinen Geschichten, die leicht verdaulich und niemals zu lang sind. Von manchen Menschen hätte man gerne mehr erfahren, über einige hätte er ein ganzes Buch schreiben können. Zum Beispiel darüber, wie Bernsteinfischer in Litauen die Wellen überlisten. Oder über den Mann, der ein normales Leben an einem unnormalen Ort führt: Jacek Lech, der in Oswiecim geboren und aufgewachsen ist und dort als Touristenführer arbeitet. Die Stadt in Südpolen hatte früher mal für fünf Jahre einen deutschen Namen: Auschwitz. "Darf man in Auschwitz lachen oder einen Apfel essen?", fragt Oliver Lück. Jacek antwortet weise: "Auschwitz ist der größte Friedhof der Welt, und manche Menschen möchten hier in Ruhe gedenken. Man sollte also aufeinander achten. Doch jeder sollte auch seinen eigenen Weg finden, wie er an diesem Ort sein möchte."

Oliver Lück mag ein Abenteurer sein, ein Hasardeur ist er nicht. Seine Begegnungen in fremden Ländern sind ungeplante Zufallsergebnisse, aber ohne festen Boden unter den Füßen ist er mit Locke nicht auf Reisen gegangen. Die finanzielle Basis seiner Reise war ein Abkommen mit "Spiegel online" über zwei Reisereportagen pro Monat von unterwegs. Außerdem verschickte er Reportagen nach Exposé-Vorlage für verschiedene deutschsprachige Magazine und Zeitschriften, für die er schon vorher als freier Mitarbeiter geschrieben hatte. Die "Zeit" zum Beispiel druckte im Reiseteil eine Reportage über den Chilibauern André Curutchet aus dem Baskenland. Im seinem Buch "Neues vom Nachbarn" erscheint die neu geschriebene Version dieser Reportage unter dem Titel "Im Namen der Schote". Mit Laptop und mobilem Internet lassen sich Reportagen und Fotos auch aus dem fernen Lappland in die Welt schicken. Da Oliver Lück auch vorher schon ein gefragter und viel beschäftigter Schreiber und zwischendurch auch stellvertretender Chefredakteur einer Sportzeitung war, gab es eine finanzielle Grundausstattung. Und Geldautomaten gibt es schließlich überall auf der Welt. "Die Idee, aus den Begegnungen und Interviews ein Buch zu machen, kam übrigens erst unterwegs", sagt Oliver Lück. Von fünf angeschriebenen Verlagen hatten drei Interesse, das Buch zu veröffentlichen.

Von März bis November 2010 gingen Lück und Locke auf den zweiten Teil der Reise. Frankreich, Spanien Portugal, Italien, Schottland, Irland, Wales, Belgien und andere Länder wurden angefahren, interessante Menschen überall aufgespürt. Peter Urdl, der im österreichischen Thal ein Arnold-Schwarzenegger-Museum eröffnet, Stuart Drummond, der sich im wahrsten Sinne des Wortes zum Affen gemacht hat, um im englischen Hartlepool zum Bürgermeister gewählt zu werden. Erfolgreich übrigens. Der VW-Bulli und Hund Locke waren häufig die "Türöffner" für Begegnungen mit Menschen.

Und wie war das mit Messi? Der konnte mit Locke und Bus nicht überzeugt werden. Aber Oliver Lück hatte ihn bereits 2005 und später noch einmal interviewt, kannte also seine Entourage und schrieb sie von unterwegs an - er bekam einen Termin mit Lionel Messi in Barcelona. Auch wenn Messi wenig zu sagen weiß, allein die Beschreibung seines Verhaltens beim Interview ist allemal lesenswert. Dann ist da noch die Frau in Lettland, die 30 Flaschenpostbriefe gefunden hat und aus Treibgut Kunstwerke anfertigt, der Mann aus Dänemark, der seit 1977 kein "Roskilde Festival" ausgelassen hat oder der erste schwarze Flößer in Oberbayern und sein Lebenslauf.

Wer mehr über Oliver Lück und sein Buch erfahren möchte, hat dazu am Freitag, 11. Mai, in der Galerie "Sarafand", Schultwiete 2, in Henstedt-Ulzburg Gelegenheit. Um 19.30 Uhr beginnt der Autor mit seiner Lesung.

Oliver Lück "Neues vom Nachbarn - 26 Länder, 26 Menschen", Rowohlt-Verlag GmbH, 317 Seiten, 9,99 Euro.