Zum Fall des dreijährigen “Kellerkindes“ aus Bad Segeberg schweigen die Verantwortlichen weiter. Der Kinderschutzbund kritisiert Vorgehen.

Bad Segeberg. Die Kreispolitiker fordern Konsequenzen aus dem Skandal um das "Kellerkind" in Bad Segeberg. Der Jugendhilfeausschuss befasst sich am 18. Oktober auf einer Sondersitzung mit den Vorkommnissen am Bussardweg 14 und den Folgen. Aber schon vorher wird ein Sonderausschuss des Kreistages versuchen, die Angelegenheit aufzuklären. Das fordert zumindest die CDU, die einen Antrag auf Bildung des Ausschusses stellt. "Wir sind entsetzt über die nicht ausreichenden Informationen", sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Claus-Peter Dieck, der gleichzeitig politischer Stellvertreter der Landrätin ist. Rücktrittsforderungen kommen aus den Reihen der CDU jedoch noch nicht. "So weit können wir nicht gehen, ohne ein klares Bild der Sachlage zu haben."

Die FDP hat einen offiziellen Antrag auf Akteneinsicht gestellt

Der Dreijährige war im Juni in einem verwahrlosten Kelleraum des Mehrfamilienhauses am Bussardweg in Bad Segeberg aufgefunden worden. Der Fall hat inzwischen für bundesweites Aufsehen gesorgt, weil den Jugendschützern im Haushalt der Familie trotz regelmäßiger Besuche nichts Ungewöhnliches aufgefallen war. Das Kind war von einem Handwerker entdeckt worden, der das Wimmern gehört hatte.

Die Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Schleswig hat nicht nur in politischen Kreisen für Erschütterung gesorgt: "Im Jahr 2010 ist durch familiengerichtliche Entscheidung die Verantwortung für den Aufenthalt des Jungen und seiner weiteren vier Geschwister auf das Jugendamt des Kreises Segeberg übertragen worden", heißt es darin. Jetzt fragen sich nicht nur die Politiker: Warum haben Landrätin Jutta Hartwieg und Jugendamtsleiter Dr. Georg Hoffmann weder die Politiker, noch die Öffentlichkeit darüber informiert.

"Wir sind entsetzt", sagt Grünen-Politiker Arne Hansen, Vorsitzender der Kreistagsfraktion. "In einem solchen Fall kann man sich nicht auf Paragrafen zurückziehen; wir benötigen klare Ansagen." FDP-Kreistagsabgeordneter Wolfgang Schnabel hat einen offiziellen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Er will wissen, welchen Bericht der vom Jugendamt beauftragte freie Träger dem Amt gegeben hat.

Die Fragen könnten sofort beantwortet werden, aber die Betroffenen schweigen. Landrätin Jutta Hartwieg hat sich krankgemeldet, Jugendamtsleiter Georg Hoffmann will vor der in einem Monat stattfindenden Sondersitzung überhaupt nichts mehr sagen, der beauftragte freie Träger, die "WiegmannHilfen" aus Kaltenkirchen, berufen sich auf die gesetzlich festgeschriebene Schweigepflicht. "Wir würden gerne Stellung beziehen, aber uns sind leider die Hände gebunden", sagt der betriebswirtschaftliche Leiter Heiner Voß. Sozialpädagogische Mitarbeiter des 1999 von Brigitte Wiegmann gegründeten Unternehmens für ambulante Jugendhilfemaßnahmen hatten im Auftrage des Jugendamtes die Betreuung der Familie im Segeberger Bussardweg übernommen. Sie hatten nicht bemerkt, dass der Dreijährige im Keller eingesperrt worden war.

Der Kinderschutzbund Schleswig-Holstein spricht von einer "Gratwanderung", auf der sich Sozialpädagogen befinden. Aber der stellvertretende Landesvorsitzende und Geschäftsführer für die Kreise Segeberg und Ostholstein, Bernd Heinemann, sagt auch deutlich: "Ich bin für unangemeldete Besuche, weil das Kindeswohl über dem Elternwohl steht." Jugendamtsleiter Hoffmann hatte unangemeldete Hausbesuche abgelehnt, um das Vertrauensverhältnis zu den Eltern am Bussardweg nicht zu zerstören. Bernd Heinemann sieht es anders: "Wenn Verwahrlosung im Raum steht, muss man anders vorgehen. Es gibt Eltern, die können schauspielern." Der Kinderschutzbund fordert mehr Mitarbeiter für die Jugendämter, weil überforderte Eltern ein zunehmend "gigantisches Problem" für die Gesellschaft darstellten. "Es gibt zu viele Kinder, die auf der Strecke bleiben", sagt Bernd Heinemann.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel richten sich ausschließlich gegen die Eltern des Kindes. Ihnen wird Kindesmisshandlung und Verletzung der Fürsorgepflicht vorgeworfen. Nach bisherigen Erkenntnissen liegt kein Verdacht vor, dass sich die Kreisverwaltung ebenfalls strafbar gemacht haben könnte. "Wir haben kein Verfahren gegen die Mitarbeiter des Jugendamtes eingeleitet", sagte Oberstaatsanwältin Birgit Heß.

Das allerdings könnte sich ändern: Gestern Mittag ist bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des Jugendamtes in der Segeberger Kreisverwaltung und die "WiegmannHilfen" in Kaltenkirchen eingegangen. Harald Hallerbach aus einem Ort in der Nähe von Köln ist im Internet auf den Fall aufmerksam geworden, die Anzeige schickte er per Fax nach Kiel. Er begründet die Anzeige unter anderem mit der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht nach Paragraf 171 Strafgesetzbuch. "Wir gehen jeder Strafanzeige nach", sagt dazu Oberstaatsanwältin Heß.

Die Ermittler müssen auch klären, was die Nachbarn wussten

Die Segeberger Polizei hatte bereits im Juni nach der Entdeckung des verwahrlosten Kindes die Ermittlungen in diesem Fall übernommen. Sie befragt die Zeugen und sichtet Akten der Segeberger Kreisverwaltung. Nach Informationen der Norderstedter Redaktion des Abendblattes stellt das Jugendamt seine Unterlagen bereitwillig zur Verfügung. Die Ermittler werden auch klären müssen, ob die Nachbarn in dem Mehrfamilienhaus tatsächlich nichts von dem eingesperrten Kind in dem Keller mitbekommen haben.

Vermutlich wird die Polizei außerdem Angaben von Zeugen nachgehen, die in der "Segeberger Zeitung" von gravierenden Versäumnissen des Jugendamts berichtet hatten. Zwei Frauen berichteten von Hinweisen über Verwahrlosung, Gewaltattacken und sexuelle Übergriffen auf die Kinder ans Jugendamt. Ein Hinweis sei jedoch versickert. In einem zweiten Fall sei die Anruferin ermahnt worden, keine falschen Behauptungen aufzustellen.