Wie konnte es zu der Tragödie um den Dreijährigen im Kellerraum kommen? Der Leiter des Kreisjugendamtes versucht zu erklären.

Bad Segeberg. Was am Bussardweg in Bad Segeberg begann, hat längst nicht nur kreisweit für Entsetzen gesorgt, sondern ist mittlerweile auch deutschlandweit Gesprächsthema. Dass ein drei Jahre junger Sohn einer bereits über einen langen Zeitraum vom Jugendamt und von freien Trägern betreuten Familie in einen Kellerraum eingesperrt und dort katastrophalen hygienischen und allgemeinen Bedingungen ausgesetzt war, muss nicht nur strafrechtlich verfolgt, sondern auch in Bezug auf mögliche Versäumnisse aufgeklärt werden. Soweit herrscht Konsens in der Kreisverwaltung, beim Jugendamt und bei den Bürgern.

+++++Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Eltern von Dreijährigem+++++

Doch wie die Erläuterungen von Landrätin Jutta Hartwieg sowie Georg Hoffmann, Leiter des Kreisjugendamtes, verdeutlichten, fällt es weiterhin schwer, den beispiellosen Fall einzuordnen. "Es ist sehr aufwühlend für uns, wenn ein Dreijähriger in einem derartigen, nicht akzeptablen Zustand aufgefunden wird. Da muss jeder schockiert sein", sagte Hartwieg gestern während einer Pressekonferenz im Kreistag.

Die Beamten brachen die mit einem Laken verhängte Tür auf

Beide rekapitulierten den 17. Juni noch einmal sachlich, gleichermaßen aber sichtlich betroffen. Es habe eine "akute Kindeswohlgefährdung" gegeben, so Hoffmann. Ein Handwerker hatte Kinderstimmen gehört, die Vermieterin informiert und diese wiederum die Polizei eingeschaltet. Die Beamten hätten dann die mit einem Laken verdeckte Tür zu einem "Souterrain" aufgebrochen und das Kind gefunden.

Der Fall liegt nun bei der Staatsanwaltschaft Kiel. Diese ermittelt, ob die Eltern ihre Fürsorgepflicht verletzt haben. Doch Hartwieg und Hoffmann sind keine Richter. Sie beschreiben die Familie, die Arbeit der Betreuer und mögliche Konsequenzen. Dies klingt manchmal ein wenig abstrakt. Versäumnisse auf Seiten der Behörde oder des für diese Familie eingesetzten, nicht näher genannten freien Trägers haben beide nicht gesehen. "Wir wurden betrogen. Uns wurde etwas vorgemacht", stellte Georg Hoffmann klar.

Zwar gab es eine Vorgeschichte mit der Familie. Es wurden sogar drei Kinder im Alter von heute 13, zwölf und elf Jahren in neue Obhut gebracht. Dies sei gesondert zu betrachten. "Der Vater hatte eine Arbeit gefunden, die Familie konnte sich eine neue Wohnung leisten - und diese war in einem deutlich besseren Zustand", so Jutta Hartwieg. Das vermeintlich bessere Leben begann 2010, war offenbar aber nur von kurzer Dauer, wie Berichte aus der Nachbarschaft bezeugen. "Sie sind wieder in einen kritischen Zustand zurückgefallen", sagte Hartwieg.

Mietschulden über mehrere Monate sind bekannt, dazu soll die Mutter sogar auf offener Straße "gebettelt haben", um sich Lebensmittel für die Kinder leisten zu können. Die Familie galt zunehmend als beratungsresistent. "Aber solange es keine akute Gefährdung gibt, können wir niemanden zwingen, Hilfe anzunehmen", so Georg Hoffmann.

Ferner wird explizit getrennt zwischen finanziellen Problemen und etwa mangelndem Schulbesuch einerseits und einer Kindesgefährdung andererseits. Das mag unverständlich klingen, ist aber gesetzlich vorgeschrieben. Eltern, die bewusst täuschen wollen und die überfordert sind, können die eigentlich hohen Ziele der Betreuung für sich ausnutzen. Schließlich fußt das System der Hilfe darauf, dass Eltern in Notlage sich an die zuständigen Stellen wenden.

Die Mitarbeiter des freien Trägers bekamen stets die Kinder zu Gesicht

Elfmal im Mai und siebenmal im Juni bis zum 17. des Monats hatten die zwei zuständigen, angemessen qualifizierten Mitarbeiter des freien Trägers die Familie besucht. Stets bekamen sie die Kinder zu Gesicht. Im Nachhinein war alles ein Schein.

Und trotz mehrfacher Hinweise von Nachbarn an das Jugendamt über mögliche Missstände hätten die Betreuer nicht so einfach die Wohnung bis ins letzte Detail inspizieren dürfen. Georg Hoffmann: "Das funktioniert so nicht, wenn man eine Vertrauensbasis hat. Sonst könnten die Jugendämter nicht so arbeiten, wie es der Fall ist." Die Vermutungen, dass fahrlässig gehandelt wurde, wiesen Hartwieg und Hoffmann zurück. Dass der Personalschlüssel eventuell nicht ausreicht, ist naheliegend. Und tatsächlich werden demnächst viereinhalb neue Stellen ausgeschrieben. "Es ist aber schwierig, Menschen für Bad Segeberg und die Region zu gewinnen", berichtet Hoffmann. Andere Maßnahmen sind eingeleitet: "Wir versuchen, die Verantwortung besser zu verteilen." Kleinere Teams, besser abgestimmte Zusammenarbeit mit freien Trägern - so sollen die Ereignisse aus dem Bussardweg ein Einzelfall bleiben. Die Kinder sollen möglichst bald bei neuen Pflegefamilien untergebracht werden. Jeweils zwei Geschwister zusammen, so stellt es sich Georg Hoffmann vor.

Da es aber in Bezug auf die Unterbringung von Kindern eine Konkurrenzsituation im Hamburger Raum gibt, ist dies nicht gewährleistet. Jutta Hartwieg warnte indes, den Fall gesondert zu betrachten. "Die Erziehungsaufgaben werden immer schwieriger. Vernachlässigung gibt es auch auf sozial hohem Niveau", so die Landrätin.