Bei Graf Lobkowicz: Wer einmal auf Nebenstrecken mit tschechischen Zügen fuhr, wird nie wieder über die Deutsche Bahn lamentieren ...

Melnik. Vorsintflutliche Waggons und marode Gleisanlagen jedoch haben auch ihre gute Seite: Im Bummeltempo scheppert der Zug zwischen Decin und Melnik direkt an der Elbe entlang. Viel sanfter als in Norddeutschland strömt der Fluss. Kajaks sind zu sehen, kleine Hausboote, sogar treibende Baumstämme und Schwäne. "Der Russische Bär ist keine Bedrohung", scherzt die Sitznachbarin in gebrochenem Deutsch, "sondern ein farbenprächtiger Schmetterling." Auch Uhus, Schwarzstörche, Reiher und Biber seien in den Ausläufern des Elbsandsteingebirges zu Hause. Von der Grenze bis zur Quelle im Riesengebirge sind es noch nicht einmal 100 Kilometer Luftlinie, doch schlängelt sich der Fluss mehr als 360 Kilometer durch Tschechien.

Trotz diverser Stopps und zuckelnder Geschwindigkeit erreicht der Zug pünktlich Melnik. Hier mündet die an dieser Stelle erheblich breitere Moldau in die kleinere Elbe. Gelehrte streiten, warum der Fluss fortan Labe (Elbe) und nicht Moldau (Vitava) heißt. Andernfalls würde Hamburg an der Moldau liegen. Zum Sinnieren bleibt keine Zeit; denn im Schloss wartet Fürst Jirí Lobkowicz zum Mittagessen. Wahlspruch der Familie aus dem böhmischen Uradel: Popel jsem a popel budu. Asche bin ich, Asche werde ich sein.

"Herzlich willkommen!", sagt der Fürst und streckt die Hand aus - frei von blaublütiger Attitüde. Durch liebevoll restaurierte Arkaden und uralte Gewölbe weist er den Weg durch das im 10. Jahrhundert errichtete Schloss. Nicht nur wegen des schweißtreibenden Anmarsches ist eine Schweigeminute angesagt: Ein Hauch von Ehrfurcht macht sich breit. Vor 1000 Jahren weilte hier die Heilige Ludmilla, die Großmutter Herzog Wenzels und Landespatronin Böhmens. Später ernannte Kaiser Karl IV Melnik zur königlichen Stadt. 23 Könige und Prinzessinnen wohnten in dem Schloss, bevor Georg Popel von Lobkowicz Melnik 1579 die Lehnherrschaft erhielt.

"Kaiser Karl IV brachte die Burgunderrebe hierher und verhalf dem Ort so zu Ansehen und Wohlstand", sagt Lobkowicz in perfektem Deutsch. Grund: 1948 musste die Familie Hals über Kopf vor den Sowjets fliehen. Er selbst studierte in St. Gallen Volkswirtschaft und wurde Generaldirektor der Chase Manhattan Bank in Frankreich. 1992 wurden den Lobkowicz 15 Schlösser zurückgegeben. In der Kapelle der Heiligen Ludmilla hatte zuvor die Kommunistische Partei getagt.

Damit ist es nun vorbei. Mit Millionenaufwand wird das Schloss renoviert. Da es keinen Staatszuschuss gibt, finanziert der Fürst die Sanierung auch durch Eintrittsgelder und Weinverkauf. Jährlich kommen 120 000 Besucher, 300 000 Flaschen Lobkowicz-Wein eines Jahrgangs sind stets ausverkauft. "Ich kann nicht klagen", sagt der Fürst auf der Aussichtsplattform. Kein Wunder: Ihm liegt die Elbe zu Füßen. In diesem Moment naht Lebensgefährtin Zdenka Belas. Die 31-Jährige ist Opernsängerin und organisiert das Musikfestival vom 5. bis 12. September. Mit roten Teppichen, Fackeln und namhaften Sängern wird das Anwesen zur Bühne.

Nach dem Essen bitten beide noch einmal an die Felsbalustrade. "Ich fühle mich auf einem riesigen Boot", philosophiert Fürst Jirí Lobkowicz, "und genieße das Gefühl der Weite."

Morgen: Kolin - wo die Österreicher einst Friedrich den Großen schlugen.