Der Angeklagte hatte die Körperteile in Müllsäcken am Bahnhof Harburg versteckt. Aber am Tod von Ahmet K. will er nicht schuld sein.

Stade. In Handschellen wird Orhan Y. , 54, von den Gerichtsdienern in den großen Verhandlungssaal des Stader Landgerichts gebracht. Schmächtig, in schwarzem Trainingsanzug, die braunen Augen hinter dicken Brillengläsern, blickt er zu Boden. Schützend hält sein Verteidiger, Rechtsanwalt Philipp Napp, eine Jacke vor sein Gesicht. Er soll auf keinem Foto zu sehen sein. Als die Anklage verlesen wird, wirkt er abwesend. Es geht um Totschlag. Doch dieser Begriff des Rechts gibt nicht wieder, wie grausam die Tat wirklich war.

Am 22. Mai dieses Jahres soll er seinen Mitbewohner Ahmet K. in deren gemeinsamer Buchholzer Wohnung erschlagen, zerstückelt, sodann die Leichenteile in blaue Plastikmüllsäcke verpackt und in Buchholz sowie in einem Gebüsch in der Nähe des Harburger Bahnhofs abgelegt haben.

Wenige Tage später ist er am Harburger Bahnhof schwer verletzt aufgefunden worden. Die Stichverletzungen hatte er sich selbst zugefügt, wie sich schnell herausstellte. Zur Sache äußern wolle er sich nicht, ließ der Angeklagte gestern durch seinen Anwalt ausrichten. Wohl aber eine Erklärung abgeben, was ebenfalls Philipp Napp übernahm. Nein, er habe Ahmet K. nicht getötet. Das hätten andere getan. Orhan Y. sah sich bei diesen Worten zum ersten Mal im Saal um, richtete sich in seinem Stuhl auf und blickte Richter Behrend Appelkamp an.

"Ich kam in unsere Wohnung, Ahmet war schon tot", trug Napp aus der Erklärung seines Mandanten vor. Eine Frau und ein Mann seien bei der Leiche gewesen, beide mit Messern bewaffnet. Ahmet sei bereits zerstückelt und zerteilt gewesen. Das Pärchen hätte ihn, Orhan Y., dazu gezwungen, die Leichenteile in Plastiksäcke zu packen. "Ich war wie in Trance, wusste gar nicht, was ich tat", hieß es in der Erklärung.

Dann sei er dazu gezwungen worden, die Müllsäcke an einer Buchholzer Brücke abzulegen. Die Frau habe auf Türkisch zu ihm gesagt: "So sind die Männer, er hat es verdient." Danach sei er "wie taub" gewesen, habe nicht mehr leben wollen, hat mit niemandem aus Angst vor den Tätern gesprochen. Dann, als er ein paar Tage später am Harburger Bahnhof war, habe er sich verfolgt gefühlt, zwei Personen seien auf ihn zugekommen, er sei hingefallen und habe sich mit seinem Messer verletzt. "Ich wollte nicht mehr leben, dachte im Krankenhaus, dass ich sterbe." Ahmet K. sei wegen seiner vielen Frauengeschichten umgebracht worden, ist sich der Angeklagte sicher. Sein Mitbewohner habe Beziehungen zu mehreren Frauen in der Türkei unterhalten, sei übers Internet mit ihnen in Kontakt getreten, habe einigen sogar die Ehe versprochen. Außerdem habe K. Schulden gehabt. Zu seiner Familie habe K. nur wenig Kontakt gehabt, habe sich mit Sohn und Töchtern zerstritten. Die hätten den Lebenswandel des Vaters, der sich 2004 von seiner Frau getrennt hatte, abgelehnt.

"Ich fühle mich schuldig. Ich konnte seinem Sohn Baris nicht sagen, was mit Ahmet passiert war", ließ der Angeklagte berichten. Das bestätigt Baris Zeki K., 22, der während des Verfahrens sowohl als Zeuge als auch als Nebenkläger auftritt. "Wir hatten unseren Vater tagelang vermisst, er hatte sich sonst jeden Tag übers Internet und per Telefon bei meiner Familie in Deutschland und in der Türkei gemeldet", so Baris K. Er übernahm die Suche, fragte Y. immer wieder, wo sein Vater abgeblieben war, nahm Handy, Laptop und Papiere seines Vaters an sich und übergab sie der Polizei. Orhan Y. habe sich in Widersprüche verstrickt, habe immer wieder merkwürdige Angaben gemacht.

Baris K. schüttelt den Kopf, schaut den mutmaßlichen Täter ungläubig an. "Er sieht so aus, als ob er keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Er wohnt schon einige Jahre mit ihm zusammen, die beiden kennen sich sehr gut, es kann nicht sein", sagt er, und in seinen Augen schwimmen Tränen.

Anwalt Napp ist skeptisch: "Der von der Staatsanwaltschaft behauptete Tatablauf ist bisher Spekulation, möglicherweise liegt der Schlüssel der Tat in völlig anderen Bereichen. "Die Verteidigung sieht nach Aktenlage kein Tatmotiv", sagt Napp dem Abendblatt.

Der Angeklagte bestätigte unterdessen in seiner Erklärung, dass Baris K. nach seinem Vater gefahndet habe. "Er hat wie ein Detektiv gefragt." Und er habe ihn bedroht, "die ganze Verwandtschaft könnte dich töten". Der Prozess wird fortgesetzt.