Nach dem Fund von Leichenteilen in Müllsäcken hat ein Richter Haftbefehl erlassen. Der Verdacht gegen Orhan Y. erhärtet sich.

Buchholz. Ein Apartment im Wald, zwei Männer in den Fünfzigern, die sich die beiden Räume, die 47 Quadratmeter, teilten. Die den gleichen Job hatten, gleichzeitig kündigten. Die gemeinsam auf den Dom gingen und sich in der Nachbarschaft lediglich durch ein kurzes "Guten Tag" und "Hallo" bemerkbar machten. Die morgens früh das Haus verließen, selten Besucher empfingen. Zwei unauffällige Zuwanderer aus der Türkei, die ihr schmales Geld damit verdienten, den Vorplatz des Harburger Bahnhofes sauber zu halten.

Am Ende ist einer von ihnen, Ahmed K., 50, tot - zerstückelt und in Plastiksäcken an den Bahnhöfen Harburg und Buchholz abgelegt. Der andere, Orhan Y., 53, liegt mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Er hat sich selbst tief in den Oberkörper gestochen, hat mit Stichen und Schnitten in den eigenen Hals unter anderem seine Luftröhre durchtrennt. Er hat viel Blut verloren. Doch er lebt. Und er hat ein erstes Geständnis abgelegt. Noch unbeantwortet ist hingegen die Frage nach dem Motiv dieser martialischen Bluttat unter Freunden.

Die Polizeiinspektion des Landkreises Harburg hat, weil der Tatort des Tötungsdeliktes wohl in Buchholz/Nordheide (Niedersachsen) zu suchen ist, die Ermittlungen von der Hamburger Polizei übernommen und eine Mordkommission mit 15 Beamten eingerichtet. Am Freitagabend erließ das Amtsgericht Hamburg auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stade Haftbefehl gegen Orhan Y. Somit wird er nach seinem Krankenhausaufenthalt direkt in die Untersuchungshaft gebracht.

+++ SO KRIMINELL IST IHR STADTTEIL +++

Ein Justizsprecher: "Der Beschuldigte ist dringend tatverdächtig, den 50-Jährigen erschlagen zu haben." Weil er wegen seiner Verletzungen am Hals kaum deutlich sprechen kann, schrieb er seine Antworten in der Vernehmung auf einen Zettel.

Er hatte Hamburger Ermittlern bereits in seinem ersten Verhör mitgeteilt, wo sie den Rest der Leiche seines Mitbewohners finden könnten. Bis zu diesem Zeitpunkt war lediglich der Sack, der in Harburg abgelegt worden war, entdeckt worden. In ihm befanden sich die Beine des Opfers. Kopf, Arme und Rumpf lagen in Tüten und Müllsäcke gewickelt nahe der Fußgängerbrücke am Buchholzer Bahnhof.

In einem Dickicht, das sowohl vom Bahnhof als auch von einem Privatgrundstück erreichbar ist. Dort leben mehrere Asylbewerber. Wenig erhellend bei der Suche nach dem Motiv ist der Blick auf die Hintergründe der Männer. Während Orhan Y. gern erzählte, dass er bald heim zu seiner Familie fahren und seinen Lebensabend in der Türkei verbringen wolle, gab Ahmed K. in Internetforen "Single" als Familienstatus an. Seit dem 27. Mai war Ahmed K. vermisst gemeldet. Am Donnerstag fanden sich Familienmitglieder des Mannes aus dem Dorf Elbistan nahe der Stadt Maras im Hamburger Polizeipräsidium ein.

Dort wurde ihnen die Nachricht vom Tod des Verwandten überbracht, der seit mehreren Jahren im Hamburger Süden gelebt hatte. Harburg und Buchholz sind beliebte Ziele von Einwanderern aus der anatolischen Stadt Maras. Doch ob Orhan Y. und Ahmed K. Kontakte zu Kulturvereinen hatten, ob sie in Cafés oder Moscheen verkehrten, ist noch immer Gegenstand der Ermittlungen. So wird - unter anderem im ehemaligen Wohnumfeld und im früheren Kollegenkreis der Männer aus Buchholz - weiter spekuliert.

Es habe sich ein Verhältnis angebahnt, einer der beiden habe den anderen vielleicht bedrängt. Aber auch davon, dass der mutmaßliche Täter eine massive Psychose durchlebt haben könne, ist die Rede. Es könne doch sein, so lautet eine weitere These, dass Orhan Y. seinen Mitbewohner bei einem Streit unwillentlich umbrachte, panisch wurde, ihn in der Wanne zerteilte, den Körper nach und nach entsorgte. Dagegen spricht allerdings der Umstand, dass Polizei im Haus war, nachdem Ahmet K. vermisst gemeldet wurde. Fraglich bleibt zudem, wie Orhan Y. die Müllsäcke transportierte. Er hat kein Auto. Auch der Verbleib des Messers, mit dem sich Orhan Y. selbst verletzte, ist weiterhin ungeklärt. Sicher ist: Es sind noch viele Fragen offen im schaurig-spektakulären Müllsack-Fall.