Umschlag von Kernbrennstoffen sei nicht mit nachhaltiger Politik vereinbar. Hamburg und Niedersachsen halten Alleingang für unmöglich.

Bremen/Hamburg. An der Nordsee droht ein Hafenkrieg um Atomtransporte mit hoch radioaktivem Material. Im Januar will die rot-grüne Mehrheit in der Bremischen Bürgerschaft ein Gesetz verabschieden, mit dem diese Transporte über die eigenen Seehäfen untersagt werden. Dabei geht es letztlich nicht nur um den Transport neuer Brennelemente, sondern auch um 21 Castor-Behälter, die ab 2014 aus England kommen könnten.

Die Behörde von Hamburgs Wirtschafts- und Verkehrssenator Frank Horch (parteilos) machte am Freitag auf Abendblatt-Anfrage klar, dass er nichts hält von der Sonderrolle, die Bremen für sich reklamiert. Seine Sprecherin Susanne Meinecke: "Wenn Bremen diese Entscheidung trifft, würde sich das Problem nur verlagern. Wir sind verpflichtet, den Atommüll, der aus Deutschland stammt, wieder zurückzunehmen. Wenn sich alle Häfen so positionieren wie Bremen, würde das geltende Bundes- und EU-Bestimmungen konterkarieren."

Auch der niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsminister Jörg Bode nimmt Bremen den Kurs übel: "Die Rückführung der deutschen, von uns verursachten nuklearen Abfälle ist eine nationale Aufgabe, der sich einzelne Bundesländer nicht entziehen dürfen, denn auch Bremen hat über Jahrzehnte vom günstigen Strom aus der Kernenergie profitiert." Für Bode steht das Vorgehen von Bremen "auf tönernen Füßen", er pochte darauf, dass Bundesrecht Landesrecht bricht: "Im Zweifel wird hier seitens Bremen Augenwischerei gegenüber den eigenen Bürgern betrieben." Das Bundesumweltministerium wollte zu Rechtsfragen nicht Stellung nehmen: "Wir warten das Gesetzgebungsverfahren ab."

Der Streit um Atomtransporte zwischen Hamburg und Bremen hat eine Vorgeschichte. 2009 hatte die Bremer Polizei einen Lkw auf der A 1 gestoppt, der auf einem völlig durchgerosteten Container einen Behälter mit hochgiftigem Uranhexafluorid transportiert hatte - den er im Hamburger Hafen aufgenommen hatte. "Dieser Container hätte niemals auf das Schiff kommen dürfen", sagte damals eine Sprecherin der Bremer Polizei. Und natürlich hätte er nach dieser Logik das Schiff und den Hafen auch nie verlassen dürfen. Die Fraktion der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft hatte kurz darauf ermittelt, dass pro Jahr 239 Atomtransporte durch die Hansestadt fahren beziehungsweise hier umgeschlagen werden. Im Mai 2011 hatte sie beantragt, den Hafen für Atomtransporte zu sperren. Immerhin: Der Antrag wurde in der Bürgerschaft nicht abgelehnt, sondern in die Ausschüsse für Umwelt und Wirtschaft überwiesen. Trotz rechtlicher Bedenken des Senats werden die Ausschüsse Anfang 2012 eine Expertenanhörung durchführen, dabei auch das Bremer Gutachten prüfen. "Unsere Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen", sagte SPD-Umweltexpertin Monika Schaal dem Abendblatt.

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Eine für die grüne Bundestagsfraktion erstellte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in den vergangenen zehn Jahren jährlich mehrere Hundert Atomtransporte mit Kernbrennstoffen in Deutschland abgewickelt werden, ihr Gefahrenpotenzial gilt als größer als bei allen anderen der rund 10 000 Transporte im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomenergie. Abgewickelt werden diese Transporte weitgehend über Niedersachsen und die beiden größten deutschen Häfen Hamburg und Bremen, gefolgt von Rostock.

Der Bremer Gesetzentwurf versucht angesichts der eindeutigen Bundeszuständigkeit auch nicht die Masse der Transporte mit Radioaktivität zu verbieten. Vielmehr beschränkt sich der Gesetzentwurf ausdrücklich auf Kernbrennstoffe im Sinne des Paragrafen 2, Absatz 1, Satz 2 des Atomgesetzes des Bundes (AtG). Basis ist ein knapp 100 Seiten starkes Gutachten der Berliner Anwaltskanzlei Gaßner, Groth, Siederer & Coll., das dieses Vorgehen empfiehlt. Hintergrund für den Bremer Alleingang sind auch die drohenden Castor-Transporte aus England. Ab 2014 sollen aus der Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield drei oder vier Transporte mit hoch radioaktivem Müll über einen deutschen Hafen angelandet werden. Ob sie ins Zwischenlager Gorleben oder Ahaus in Nordrhein-Westfalen gebracht werden, ist offen. Es handelt sich dabei um Abfälle aus der Aufarbeitung der Brennelemente deutscher Kernkraftwerke. Die Bundesrepublik hat sich völkerrechtlich verpflichtet, den Müll zurückzunehmen. Andererseits ist mit massenhaftem Widerstand von Kernkraftgegnern zu rechnen.

Das deutsche Atomrecht würde es auch zulassen, Transporte aus Sellafield in Häfen benachbarter Staaten wie Frankreich zu löschen. Aber diese Länder haben schon abgewinkt, der Eurotunnel steht nicht zur Verfügung. Darum läuft es auf eine Entscheidung vor allem zwischen Hamburg, Bremen und Bremerhaven sowie den niedersächsischen Häfen Emden, Cuxhaven, Wilhelmshaven und Nordenham hinaus.

Die Drucksache 18/96 der Bremischen Bürgerschaft ist also eine Kampfansage an alle anderen Nordseehäfen. Das "Gesetz zur Änderung des Bremischen Hafenbetriebsgesetzes" erweitert das Gesetz um einen Absatz, der es ausschließt, künftig weiter Kernbrennstoffe in den Bremer Häfen umzuschlagen. Dabei beansprucht Bremen entsprechend dem Gutachten eine Sonderrolle: "Der Umschlag von Kernbrennstoffen ist mit den landespolitischen Vorstellungen von Nachhaltigkeit und Vorsorge im Interesse auch künftiger Generationen nicht vereinbar." Was die völkerrechtliche Verpflichtung zur Rücknahme der Abfälle aus England angeht, sehen die Gutachter kein Problem, "weil bislang verschiedene deutsche Häfen für den Umschlag von Kernbrennstoffen offen stehen".

Genehmigen muss die Atomtransporte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter. Die Anträge stellt der jeweilige Transporteur, der auch Routenvorschläge unterbreitet. Im Falle der Transporte aus Sellafield ist das die Nuklear Cargo + Service GmbH (NCS), die Tochter eines französischen Transportkonzerns. Vor der Genehmigung holt das Bundesamt für Strahlenschutz auch die Meinung der Kommission Sicherung und Schutz kerntechnischer Einrichtungen (KoSiKern) ein, ein Gremium der Innenministerkonferenz, das laut Innenministerium in Hannover aber nur beratende Funktion hat. Das BfS wiederum betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass es keinen eigenen Handlungsspielraum hat: "Werden alle Voraussetzungen erfüllt, muss das BfS die Genehmigung erteilen, es handelt sich um einen gebundenen Verwaltungsakt."