Staatsgerichtshof erlaubt der Hansestadt neue Rekordverschuldung unter Auflagen. Verstößt Niedersachsens Haushalt gegen Verfassung?

Bremen. Der Bremer Staatsgerichtshof hat dem Stadtstaat eine extreme Haushaltsnotlage bescheinigt und damit die im Jahr 2011 geplante Rekordneuverschuldung abgesegnet. Während die rot-grüne Koalition im kleinsten Bundesland aufatmen kann, ist offen, ob die CDU-FDP-Landesregierung im benachbarten Niedersachsen vor dem eigenen Staatsgerichtshof mit ihrer Schuldenpolitik scheitert.

In beiden Bundesländern ist in der Landesverfassung festgelegt, dass die neuen Schulden nicht höher sein dürfen als die Summe der Investitionen. Davon kann in Bremen nicht die Rede sein. Im laufenden Haushaltsjahr macht das Land 1,1 Milliarden Euro neue Schulden, dem stehen aber Investitionen von nur 464 Millionen Euro gegenüber. Das ist nicht erlaubt. Doch unter dem Strich hat Bremen Ausgaben von 4,3 Milliarden Euro - das erklärt die Notlage. Bremen ist inklusive 2011 mit 19 Milliarden Euro verschuldet.

Der Bremer Staatsgerichtshof sieht den Tatbestand einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht als gegeben an, der es etwa in einer schweren Wirtschaftskrise erlaubt, die Kreditobergrenze fast beliebig anzuheben. Vielmehr gesteht das Gericht dem Land eine "ungeschriebene Ausnahmebefugnis" zu, weil ohne die hohen Kredite und angesichts einer jetzt schon 20-jährigen Haushaltsnotlage der Stadtstaat anders "die ihm verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben" nicht erfüllen könnte.

Die Richter machten aber auch klar, dass die Erlaubnis der höheren Kreditaufnahme damit verknüpft ist, dass der Stadtstaat den mit dem Bund vereinbarten Konsolidierungsfahrplan einhält. Ab 2011 erhält Bremen neun Jahre lang eine Bundeshilfe von je 300 Millionen Euro und muss im Gegenzug in Schritten von je 120 Millionen Euro die Kreditaufnahme bis 2020 auf null reduzieren. Dann greift die 2009 in die deutsche Verfassung aufgenommene Schuldenbremse, die den Ländern jedwede Neuverschuldung verbietet.

Während Bremen mit der gestrigen Entscheidung Klarheit hat, muss der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) weiter fürchten, dass ihn der Staatsgerichtshof in Bückeburg noch ausbremst. Anhängig ist eine Klage von SPD und Grünen gegen die Haushalte der Jahre 2009 und 2010. Da hat Möllring nach Ansicht der Opposition mehr neue Schulden ins Gesetz geschrieben als notwendig, um sich für die Jahre danach ein Polster zu schaffen. Noch spannender aber ist, ob die Oppositionsparteien auch gegen den Doppelhaushalt 2012/2013 klagen, der im Dezember verabschiedet werden soll. Auch Niedersachsen will in den beiden kommenden Jahren deutlich mehr neue Schulden machen, als es der Investitionsquote entspricht. Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen aber hätte die CDU-FDP-Landesregierung kaum mit einer schwerwiegenden Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts argumentieren können. Möllring erklärt jetzt, mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse sei ein "finanzpolitischer Paradigmenwechsel" eingetreten und die alte Schuldengrenze in der Landesverfassung faktisch außer Kraft gesetzt. Dazu hat der Bund der Steuerzahler Niedersachsen am Mittwoch ein Gutachten des Staatsrechtlers Prof. Christoph Gröpl von der Universität des Saarlandes vorgestellt. Im Auftrag des Steuerzahlerbundes kommt Gröpl zu der Einschätzung; dass das "Kredit-Investitions-Junktim" der Landesverfassung unverändert gilt. Bernhard Zentgraf, Vorstand des Steuerzahlerbundes, forderte prompt die Abgeordneten des Landtags auf, das Haushaltsgesetz so nicht zu beschließen.

Gutachter Gröpl war auch Prozessbevollmächtigter von CDU und FDP im nordrhein-westfälischen Landtag im Verfahren vor dem Staatsgerichtshof in Münster Anfang dieses Jahres. Der erklärte am Ende den Nachtragsetat der rot-grünen Minderheitsregierung in Düsseldorf wegen zu hoher Nettoneuverschuldung für verfassungswidrig.

Für Zentgraf ist mit Blick auf Niedersachsen klar: "Es führt kein Weg daran vorbei, die Landesausgaben zu begrenzen." Zentgraf rechnete vor, das Land könne im kommenden Jahr mit Mehreinnahmen von 1,6 Milliarden Euro rechnen, im Jahr darauf noch einmal mit einer Milliarde mehr. Da müsse es möglich sein, die Neuverschuldung auf etwa 900 Millionen Euro zu begrenzen, weil dies der Summe der Investitionen entspreche. "Die Leichtigkeit, mit der sich die Landesregierung über die Verfassung hinwegsetzt, macht betroffen." Tatsächlich will das Land im kommenden Jahr 1,6 Milliarden neue Schulden machen, im Jahr vor der Landtagswahl werden die Mittel für den Bau von Landesstraßen ebenso aufgestockt wie für die neue Oberschule in Niedersachsen. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Hans-Jürgen Klein, spricht in diesem Zusammenhang von einem Missbrauch der Schuldenbremse: "Ministerpräsident McAllister bricht die Verfassung, um für den Landtagswahlkampf die Kasse zu füllen."

In Schleswig-Holstein ist die Finanzpolitik der schwarz-gelben Regierung dagegen zumindest juristisch nicht umstritten. Das Land stellt zwar seit 2009 verfassungswidrige Haushalte auf, in denen die Neuverschuldung die Investitionen übersteigt, hat 2010 aber als erstes Bundesland einen radikalen Sparkurs eingeschlagen. So sollen in den nächsten Jahren unter anderem 5300 Stellen (jeder zehnte Arbeitsplatz) im Landesdienst wegfallen, darunter mehr als 3500 Lehrerstellen.