Zwischen den Geschlechtern gibt es große Unterschiede beim Empfinden und der Bewältigung von Schmerzen - die neuen Erkenntnisse der Forschung.

Für viele Menschen gehören schlimme Schmerzen zu ihrem Alltag - in einem weit stärkeren Maß als bisher angenommen. Erstaunliches brachte die Bundesgesundheits-Erhebung zutage: Im Laufe eines Jahres hatten danach nur sechs Prozent der Frauen und zwölf Prozent der Männer keine Schmerzen. Und: Frauen erleben Schmerzen anders und vor allem intensiver als Männer, und sie reagieren anders.

In vielen Kulturen sind die beiden Aspekte Weiblichkeit und Schmerz eng verknüpft. Prof. Dr. Hartmut Göbel, Direktor der Schmerzklinik in Kiel, formuliert es so: "Frau zu sein hat schon immer mehr wehgetan, als Mann zu sein."

Dass es beim Schmerzempfinden deutliche Unterschiede zwischen Frau und Mann gibt, scheint bewiesen. So haben Frauen, die sich im Rahmen einer Geschlechtsumwandlung mit dem männlichen Sexualhormon Testosteron behandeln ließen, ohne Zögern zu Protokoll gegeben, dass sie - seit sie zum Mann geworden - weniger starke Schmerzen empfinden als zuvor in der Frauenrolle. "Testosteron scheint demnach", so Göbel, "die Schmerzempfindlichkeit zu reduzieren, während Östrogen sie steigen lässt."

Auch die Verarbeitung und Wahrnehmung von Schmerzen ist bei Frauen und Männern unterschiedlich organisiert und aktiviert im Gehirn verschiedene Areale. Bei Frauen ist es insbesondere das limbische System, das für die gefühlsmäßige Tönung von Schmerzen verantwortlich ist und das Frauen stärker als Männer die affektive und emotionale Seite von Schmerzen empfinden lässt. "Das weibliche Gehirn färbt Schmerzen mit mehr Gefühl", sagt Prof. Göbel. Bei Männern sind es dagegen die kognitiven und analytischen Komponenten der Wahrnehmung, die bei Schmerzreizen aktiviert werden.

Der Schmerzforscher Prof. Dr. Walter Zieglgänsberger vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München geht von zehn Regionen im Gehirn aus, die ein Schmerzzentrum bilden. Erst mit dem Zusammenwirken dieser Areale lässt sich Schmerz empfinden, kontrollieren und auch unterdrücken. Beispielsweise werden in einem Abschnitt des Stirnhirns die schmerzhemmenden Endorphine gebildet. "Schmerz entsteht nicht im Körper", sagt Zieglgänsberger, "sondern im Gehirn, und er ist nicht nur ein Problem, sondern auch ein Geheimnis."

Ursachen wie beruflicher oder familiärer Stress, ein gestörtes seelisches Gleichgewicht, Angst und Depressivität führen bei Frauen viel eher zu Schmerzen als bei Männern. Bei der Schmerzempfindlichkeit spielt auch die Tageszeit eine Rolle: In der Nacht und am frühen Morgen sind Schmerzen am stärksten, und im Laufe des Tages nehmen sie ab. Und was wohl jeder schon erfahren hat: Bei Aktivität und Ablenkung sind Schmerzen geringer.

Unterschiede gibt es auch bei den Mechanismen zur Schmerzbewältigung. Bei den Frauen haben emotionale und interpersonale Aspekte von Schmerzen, vor allem der Gedanke daran, die Familie nicht mehr gut versorgen zu können, große Bedeutung. Im Gegensatz dazu bevorzugen Männer problemlösende und instrumentelle Strategien. Sie geben sich gerne mutig bis heldenhaft, ignorieren den Schmerz, solange er erträglich ist, und versuchen, das Problem selbst zu lösen. "Ich habe Schulterschmerzen, und das liegt wahrscheinlich an der Bandscheibe, aber das läuft sich schon wieder zurecht" - so lassen sie sich etwa vernehmen.

Männern ist es meist peinlich, Schmerzen zu zeigen, Frauen nicht. Sie lassen sich eher helfen, berichten Verwandten und Freundinnen über Schmerzen, nehmen eher Medikamente und gehen früher zum Arzt.

Selbst bei der ärztlichen Versorgung gibt es Unterschiede. Weil es heißt, Frauen klagten sowieso immer früh und viel, kümmern sich Ärzte bei ihnen offenbar weniger darum, die Ursache der Schmerzen zu ergründen. Auch bei der Therapie werden Frauen zurückhaltender behandelt als Männer. "Wann kommen Männer denn wegen Schmerzen schon mal zum Arzt", wird oft geäußert. In der Kieler Schmerzklinik sind die Rollen so verteilt: 70 Prozent der Patienten sind Frauen, 30 Prozent sind Männer.

Ein beginnender Schmerz sollte unbedingt als Warnsignal des Körpers verstanden werden, der sich möglicherweise überlastet fühlt. In diesen Fällen hat der Schmerz auch etwas Gutes, denn er mahnt zur Korrektur, zum Beispiel wenn wir stundenlang auf einem schlecht geformten Stuhl sitzen und Rückenschmerzen auftreten. Prof. Göbel warnt davor, die Behandlung von Schmerzen auf die lange Bank zu schieben. Schmerz erzeugt Schmerz, heißt es, und das bedeutet: Ein länger nicht behandelter Schmerz wird schnell zum chronischen Schmerz, und dann ist eine Therapie schwierig und langwierig.

Von Schmerzen sind am häufigsten betroffen der Kopf, bei Frauen steht die Migräne an erster Stelle, dann folgen Nacken, Rücken und Muskeln. Gängige pharmakologische Wirkstoffe dämmen den Schmerz rasch. Bei Arzneimitteln gegen den Schmerz sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass ein Monopräparat, also ein Mittel mit nur einem Wirkstoff bevorzugt wird, und dass es im Laufe eines Monats nur an zehn Tagen eingenommen werden muss. Reicht das nicht aus, dann zum Arzt, rät Prof. Göbel.

Zu Großmutters Zeiten gab es bei Schmerzen nur eins: hinlegen und ausruhen. Heute gilt das Gegenteil: Aktivität und jede Art körperlicher Bewegung dämpfen den Schmerz und wirken ihm entgegen. Weil der Mensch aus der Balance geraten sei, komme es zu Fehlhaltungen, Muskelverspannung und Schmerzzuständen, sagt der Sportmediziner Prof. Dr. Klaus Völker (Uniklinikum Münster). "Bei körperlicher Anstrengung", so fährt er fort, "werden Stoffe wie Serotonin und Endorphin ausgeschüttet, die die Schmerzwahrnehmung reduzieren, Ängste lösen und die Stimmung des Patienten aufhellen. Körperliche Bewegung nannte Völker ein Wundermittel und fügte als ihr Leitmotiv an: "Ausdauernd vorbeugen statt andauernd leiden."

Wie bekämpft der Körper Schmerzzustände?: Mit einem schmerzhemmenden System, das in Extremsituationen wie einem Unfall dafür sorgt, dass Schmerzen verspätet oder schwächer empfunden werden - durch Bildung von Endorphinen. Das Ziel: bei Gefahr handlungsfähig zu bleiben.