Berlin. Die Bioökonomie baut auf nachwachsende Rohstoffe aus der Natur. Bundesregierung steckt Milliarden in die Forschung.

Dass die Menschheit noch immer von fossilen Rohstoffen wie Erdölabhängig ist, dürfte kein Geheimnis sein: Doch auch wenn der Großteil als Benzin oder Heizöl verbrannt wird – wir verbrauchen Erdöl auch in etlichen anderen alltäglichen Bereichen – vom Gummi für Autoreifen, über Paraffine für Cremes und Lippenstifte bis hin zu Kunststoffen für PET-Flaschen, PVC-Fußböden oder Kleidung aus Polyamidfasern. Damit die Menschheit wirklich unabhängig vom Öl werden kann, reichen also nicht nur Windkraftanlagen und Elektroautos: Es müssen natürliche, nachwachsende Rohstoffe gefunden und Technologien entwickelt werden, um sie für alle diese Zwecke nutzbar zu machen. Die Idee, Kleidung und Kosmetika, Alltagsprodukte und Baumaterialien aus pflanzlichen oder tierischen Stoffen, also aus sogenannten biogenen Rohstoffen herzustellen, nennt sich Bioökonomie.

Dass das längst keine Zukunftsidee mehr ist, zeigt der taiwanesische Textilunternehmer Jason Chen. In seiner Firma Singtex fertigt er Sportkleidung – aus Kaffeesatz. Den bezieht er direkt aus Taipehs Filialen von Starbucks und der Kette 7-Eleven. In der Singtex-Fabrik wird der Kaffeesatz zerkleinert und dann mit herkömmlichen Kleidungsfasern gemischt. Das Konzept kommt an: Nike, Hugo Boss oder Patagonia sind inzwischen seine Kunden.

Erst vor Kurzem haben auf einem Weltgipfel der Bioökonomie 850 Experten aus 82 Ländern in Berlin zwei Tage lang diskutiert. Eine „biobasierte Wirtschaft“ eröffne „vielversprechende Perspektiven“, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mit erneuerbaren Ressourcen und biotechnologischen Prozessen solle genug Nahrung Energie für eine wachsende Weltbevölkerung produziert werden.

Die Suche nach Alternativen – vor allem zum Erdöl – steht noch am Anfang.

Die Bundesregierung lässt sich die Erforschung aber von 2010 bis 2016 allein 2,4 Milliarden Euro kosten. Brüssel hat mit dem Programm Horizon 2020 ganze 3,8 Milliarden Euro dafür eingeplant. Europa soll so innovativ wachsen. Auch die Wirtschaft ist angetan. Lego etwa hat dieses Jahr angekündigt, eine Milliarde Dänische Kronen in die Entwicklung biobasierter Materialien zu stecken und auch 100 Leute dafür einzustellen.

Die ersten Versuche der Bioökonomie brachten allerdings auch neue Probleme mit sich. Für Biokraftstoffe wurden hierzulande Maismonokulturen angelegt, Bauern klagten über steigende Pachtpreise. Weltweit kauften große Investoren Acker auf, weniger finanzstarke Bauern hatten allerorten das Nachsehen. Umweltschützer etwa vom WWF oder Entwicklungsorganisationen wie die Welthungerhilfe fürchten, diese Entwicklung könne sich verschärfen.

Joseph Rahall ist Umweltschützer bei der Organisation Green Scenery in Sierra Leone, einem der ärmsten Länder der Welt. Vom Agrosprit-Boom sei die heimische Landwirtschaft zerstört worden, sagt er und berichtet von Unruhen: „Es ist noch immer ein Alptraum.“

Die Verfechter der Bioökonomie wissen selbst, wo sie angreifbar sind. So betonen Vertreter der Europäischen Kommission seit Kurzem ein Prinzip wie nie zuvor: „Food first“ – Nahrung zuerst. Für Jason Chen indes hat sich die Idee der Kaffeeklamotten bezahlt gemacht, ihn möglicherweise sogar vor der Pleite im hart umkämpften Textilmarkt bewahrt. Doch nicht jedes Produkt der Bioökonomie ist so anziehend. Die Bioökonomieingenieure haben 2016 einiges zu tun.