Berlin. Deutschland muss den Verbrauch wegen einer EU-Richtlinie bis 2025 fast halbieren. Alternativen gibt es kaum.

Die Zahlen sind gigantisch: Die EU-Kommission schätzt den jährlichen Verbrauch von Plastiktüten in der Europäischen Union auf einhundert Milliarden Stück. Im Durchschnitt nutzt jeder EU-Bürger 198, in Deutschland sind es 71. Weil acht Milliarden Plastiktaschen pro Jahr in die Weltmeere gelangen, will die EU den Verbrauch bis 2025 um 80 Prozent senken. Deutschland muss den Plänen zufolge den Tütenkonsum beinahe halbieren. Politik und Wirtschaft suchen nach Lösungen. Eingeweihten zufolge dürfte dies auf eines hinauslaufen: Die Verbraucher müssen für Tüten künftig auch im Schuh- oder Textilgeschäft Geld bezahlen.

Das Müllproblem

Allein 2010 gelangten zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer, wie australische und US-amerikanische Wissenschaftler herausfanden. Er sammelt sich vor allem in riesigen Meereswirbeln an. Laut dem Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) gebe es in weiten Teilen der Meere sechsmal mehr Plastik als Plankton. Für viele Meeresbewohner ist der Müll lebensbedrohlich. Sie verletzen oder verheddern sich und verenden. Oder sie verwechseln die schwimmenden Teile mit Futter, fühlen sich satt – und verhungern am Ende. Ein weiteres Problem ist das Mikroplastik, also winzige Plastikteilchen, an denen sich Chemikalien anlagern und über Fische dann in unsere Nahrungskette gelangen können.

Die EU-Pläne

Bis 2025 soll der Pro-Kopf-Verbrauch von derzeit 198 auf 40 Tüten sinken. Die 28 Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, mit welchen Mitteln sie das Ziel erreichen wollen. Denkbar sind ein Tütenverbot, ein Tütenpfand oder die Einführung einer Tütensteuer. Ausgenommen von den Vorschriften sind dickwandige Mehrwegtüten und sehr dünne Tüten, in denen meist Obst oder Fleisch verpackt werden.

Was Deutschland plant

Die Regierung denkt derzeit nicht daran, neue Gesetze zu erlassen. Eine Tütensteuer sei zwar nicht ausgeschlossen, „aus unserer Sicht sind freiwillige Maßnahmen aber vorzuziehen“, heißt es aus dem Bundesumweltministerium. Der Handel solle nach Lösungen suchen. Und dieser setzt offenbar auf die flächendeckende Einführung der Bezahltüte. Kunden sollen wie im Supermarkt auch in Schuh- oder Textilgeschäften für Plastiktaschen zahlen. Der Handelsverband Deutschland (HDE) arbeitet an entsprechenden Plänen, denen sich „zahlreiche Großunternehmen“ wie der Textilhändler H&M oder die Schuhkette Deichmann angeschlossen hätten. Ganz einig aber ist sich der Handel nicht. Unklar sei, wie viel die Tüten kosten sollen und ob die Mehrheit des Handels nicht doch auf eine staatliche Anordnung setze. Im Bundesverband des Textileinzelhandels jedenfalls gibt es keine einheitliche Meinung. Hauptgeschäftsführer Jürgen Dax zufolge hofften einige Mitgliedsunternehmen auf eine gesetzlich festgesetzte Tütengebühr. Dax: „Dann können die Mitarbeiter den Kunden sagen, Beschweren Sie sich in Berlin, wir können nichts dafür.“

Die Alternativen

Wirkliche Alternativen zu den herkömmlichen Einwegtüten gibt es bislang nicht. Zwar gibt es sogenannte „biologisch abbaubare“ Tüten, doch bis zu ihrem Abbau kommt es häufig gar nicht. „Selbst wenn die Tüte im Biomüll entsorgt wird, wird sie dann in der Kompostieranlage wieder herausgefischt und verbrannt“, erklärt Rolf Buschmann, Experte für technischen Umweltschutz beim BUND. Das Pro­blem: Man sieht den Tüten nicht an, ob sie biologisch abbaubar sind oder nicht. „Man müsste die Kunststoffe zumindest so kennzeichnen, dass sie eindeutig erkannt werden“, so Buschmann.

Auch Tüten aus nachwachsenden Rohstoffen sind für den BUND keine Alternative. „Bei einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von zwanzig Minuten pro Tüte ist auch das eine riesige Ressourcenverschwendung“, sagt Buschmann. Das Umweltbundesamt weist darauf hin, dass zwar für die Herstellung der Tüten CO2 eingespart und die Erdölvorräte geschont würden, trotzdem sei der Anbau der nachwachsenden Rohstoffe eine Belastung für die Umwelt. Unter dem Strich seien biobasierte Kunststoffe also nicht umweltfreundlicher als herkömmliche Kunststoffe.

Was Umweltverbände fordern

Die Kernforderung von BUND und Umweltbundesamt: Sämtliche Einwegtüten müssen kostenpflichtig sein – egal ob Papiertüten, Tragetaschen oder die dünnen Hemdchenbeutel. Irland, wo es Plastiktüten vorher umsonst gab, erhebt seit 2002 eine Umweltsteuer. Der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch ging von 328 Tüten auf 16 zurück. In Frankreich sind Einwegtüten in Supermärkten seit 2010 verboten, in Ruanda dürfen Supermärkte seit 2005 keine Plastiktüten mehr ausgeben.

„In Deutschland kosten die Tüten in vielen Geschäften schon Geld“, sagt Buschmann. „Wenn wir jetzt aus 20 Cent 22 Cent pro Tüte machen, ist der Lerneffekt gleich null. Damit es wehtut, muss eine Einwegtüte deutlich mehr kosten als jetzt.“ Der Bund fordert auch, die Einwegtüten für Kunden nicht frei zugänglich im Geschäft liegen zu haben. „Der Kunde muss danach fragen müssen, um das Hemmnis zu erhöhen.“ Auch Pfandsysteme für Einkaufskörbe seien Möglichkeiten.