Berlin. Der Autor und Doktorand Johannes Hinrich von Borstel hat Wissenswertes über unser wichtigstes Organ in ein Buch verpackt.

100.000-mal schlägt das Herz pro Tag, pumpt dabei etwa 8500 Liter Blut durch den Körper. Funktioniert das problemlos, beschäftigt man sich nur selten mit dem eigenen Herz. Dabei lohnt es sich für jeden, mehr über sein wichtigstes Organ zu wissen, findet Johannes Hinrich von Borstel. Auf der Bühne bei sogenannten Science-Slams präsentiert der Doktorand regelmäßig Ergebnisse der Herzforschung – humorig verpackt für Nichtmediziner. In seinem im Oktober erschienen Buch „Herzrasen kann man nicht mähen“ erklärt er, warum eine Trennung genauso schlimm sein kann wie ein Herzinfarkt, wie man das Herz am besten zu zweit trainiert und warum unter 30-jährigen Urlaubern häufiger mal das Herz flattert.

Hamburger Abendblatt: Wissen wir nicht schon genug über das Herz?

Johannes Hinrich von Borstel: Die meiste medizinische Fachliteratur zum Herz ist ziemlich trocken und deswegen nicht unbedingt etwas für jedermann – das wollte ich ändern. Das Herz ist unser treuester Begleiter und dafür wissen wir sehr wenig darüber. Und es gibt Dinge, die sich zu beherrschen lohnen. Beispielsweise, wie man jemanden nach neuesten Empfehlungen reanimiert, der vor einem auf der Straße umkippt.

Was berichten Sie uns Neues?

Von Borstel: Es geht auch um aktuelle Forschung. Zum Beispiel, dass sich bei frisch verliebten Pärchen, die sich in die Augen sehen, die Herzfrequenz angleicht. Ich vermute, dass das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin etwas damit zu tun hat, das eine beruhigende Wirkung hat und das gegenseitige Bindungsgefühl stärkt.

Und was passiert mit dem Herz nach einer dramatischen Trennung?

Von Borstel: Da kann es zum Broken-Heart-Syndrom kommen, an dem man sogar sterben kann. Auch wenn das sehr selten passiert. Es kommt beispielsweise bei übermäßigem Stress wie eben Verlust oder Trennung von geliebten Menschen, Naturkatastrophen oder wie aktuell bei Terroranschlägen vor – aber auch bei erfreulichen Ereignissen wie einem Lottogewinn soll es schon aufgetreten sein. Das EKG sieht bei diesen Patienten ähnlich aus wie bei einem Herzinfarkt. Im Krankenhaus fällt aber meist auf, dass es kein Infarkt ist, sondern, dass die linke Herzkammer nicht mehr korrekt arbeitet. Zur genauen Ursache gibt es viele spannende Forschungsansätze, aber bisher noch keine gesicherte Theorie.

Sind die Herzwochen, die noch bis zum 30. November laufen, sinnvoll, um über solche Dinge aufzuklären?

Von Borstel: Auf jeden Fall, denn nur so kann man die Menschen sensibilisieren und Berührungsängste zur eigenen Pumpe abbauen. Bei der Reanimation zum Beispiel müssen sich viele überwinden, vor allem, weil es Überwindung kostet, einen Fremden zu beatmen. Solche Tage bieten die Gelegenheit aufzuklären, dass man das gar nicht mehr zwangsläufig muss. Es gibt neue Leitlinien. Danach wird in der Laienreanimation nur noch die Herzmassage empfohlen.

Was ist in diesem Fall zu tun?

Von Borstel: Ganz einfach: Oberkörper des anderen frei machen, ist er normal gewichtig, liegt der Druckpunkt zwischen den Brustwarzen – die Between-the-nipples-Methode. Bei massivem Übergewicht lohnt es sich, die Spitze des Brustbeins zu suchen, zwei bis drei Fingerbreit in Richtung Kopf den Handballen aufzulegen und 100- bis 120-mal in der Minute zu drücken. Würde man hier die Between-the-nipples-Methode verwenden, bestünde die Gefahr, beim Drücken auf dem Bauch zu landen. Sicher ist sicher.

Und was, wenn man sich da verzählt?

Von Borstel: Um im Takt zu bleiben, kann man in seinem Kopf ein paar Lieder abspulen, die sehr gut dazu passen. Zum Beispiel „Quit Playing Games (With My Heart)“ von den Backstreet Boys oder „Highway to Hell“ von AC/DC. Für Traditionalisten gäbe es auch noch den Radetzkymarsch.

Woran merkt man, dass die Reanimation etwas bringt?

Von Borstel: Wenn die Gesichtsfarbe der Person, die vor einem liegt, langsam wieder rosig wird, ist man auf einem guten Weg.

Bei der Reanimation kann es besonders bei älteren Menschen dazu kommen, dass eine Rippe durch den Druck bricht. Ist Ihnen das auch schon passiert?

Von Borstel: Ja, bei meiner ersten Reanimation mit 15 Jahren am Hauptbahnhof Hannover. Das war schon ein einschneidendes Erlebnis, denn wenn so eine Rippe bricht, hört man das nicht nur, das spürt man auch. Aber es war zurückblickend auch eine wichtige Erfahrung, denn die Frau hatte damals auf einmal wieder einen Herzschlag. Ich sage immer: Bei der Reanimation ist eine gebrochene Rippe kein Beinbruch.

Wie reagiert man, wenn es schief geht?

Von Borstel: Leider kann man nicht jedes Leben retten – trotzdem kann jeder Chancen verteilen. Bei meinem ersten Einsatz im Rettungswagen ist ein Mann mit Herzinfarkt verstorben. Darauf vorbereitet wurde ich tatsächlich nicht groß. Da halfen mir Gespräche mit meinen Kollegen. In besonders schweren Fällen gibt es auch immer die Möglichkeit, zum Beispiel mit einem Notfallseelsorger zu sprechen.

Welche Maßnahmen gibt es neben Sport, gesunder Ernährung, Alkohol- und Tabakverzicht, damit es gar nicht erst zum Herzinfarkt kommt?

Von Borstel: Häufig Sex haben.

Stammt diese Theorie von Ihnen?

Von Borstel: Ja, diese These habe ich tatsächlich selbst aufgestellt. Sex macht eben mehr Spaß, als sich beim Joggen in Wind und Wetter draußen abzurackern. Und es ist ein super Herztraining. Die Hormone, die dabei ausgeschüttet werden, schützen vor zahlreichen Krankheiten. Zum Beispiel eben Oxytocin oder Endorphine, das sind körpereigene Schmerzmittel. Auch das Stresshormon Adrenalin spielt eine Rolle, es lässt das Herz schneller schlagen, beim Sex mehr als 120-mal pro Minute, das ist wie Fitnesstraining fürs Herz. Es gibt auch ein paar Studien dazu, dass zum Beispiel dreimal Sex pro Woche frühzeitige Herzerkrankungen um die Hälfte reduziert – und da reden wir von Durchschnittssex.

Ist das wirklich für jeden gesund?

Von Borstel: Bei einem kranken Herzen ist das nicht ideal, da rät man von zu viel Belastung ab. Der Herzinfarkt ist tatsächlich auch eine der häufigsten Todesursachen beim Sex. Das passiert allerdings recht selten.

Gibt es noch mehr, was den einen gut tut und den anderen schadet?

Von Borstel: Ja, etwa Urlaub. Viele Menschen unter 30 leiden nach den Ferien am sogenannten Holiday-Heart-Syndrom. Das sind alkoholinduzierte Herz-Rhythmus-Störungen, sprich: Es wurde zu viel gebechert, die Abbauprodukte von Alkohol können das Herz stören.

Was passiert dann?

Von Borstel: Es kann zu Herzrasen und unregelmäßigem Herzschlag kommen. Unbehandelt kann es sogar zu Gefäßverstopfung führen, oder die Pausen zwischen den Herzschlägen sind so lang, dass die Person einfach umkippt.

Was wird in solchen Fällen unternommen?

Von Borstel: Bei Herzinfarkten werden zum Beispiel Medikamente zur Blutverdünnung gespritzt – etwa Aspirin. Das Herz muss dann weniger stark arbeiten, um das Blut zu pumpen, und es beugt auch Thrombosen vor. Aspirin kommt bei solchen Herznotfällen ziemlich häufig zum Einsatz. Aber auch wenn es frei verkäuflich ist, sollte man es nicht öfter ohne ärztlichen Rat nehmen – nicht gut für die Magenschleimhaut.

Was liegt sonst noch im Rettungswagen, um dem Herz zu helfen?

Johannes Hinrich von
Borstel, Autor des
Buches „Herzrasen
kann man nicht mähen
– Alles über unser
wichtigstes Organ“
(Ullstein Buchverlage,
304 Seiten, 16,99
Euro)
Johannes Hinrich von Borstel, Autor des Buches „Herzrasen kann man nicht mähen – Alles über unser wichtigstes Organ“ (Ullstein Buchverlage, 304 Seiten, 16,99 Euro) © imago/VIADATA

Von Borstel: Sauerstoff, Infusionen und Wärmedecken für den Patienten. Wichtig ist natürlich auch das EKG für uns Rettungssanitäter. Ein Merkspruch aus dem Rettungsdienst lautet: „Siehst du den Kirchturm, ist der Friedhof nicht weit“. Wenn bei einem Infarkt Sauerstoffmangel auftritt, sehen die Intervalle der EKG-Linie wie eine Kirche mit Kirchturm aus. Das bedeutet: Es muss sofort gehandelt werden, der Patient schwebt in Lebensgefahr. Klar ist der Spruch etwas makaber, aber vieles kann man sich so besser merken, einen Infarkt erkennen und sofort handeln.

Was sollten Nichtmediziner auf keinen Fall vergessen?

Von Borstel: Bei der Reanimation 100- bis 120-mal in der Minute drücken. Oder noch besser: Immer mal wieder den Erste-Hilfe-Kurs auffrischen.