Der Berufsstand will sich stärker auf den Patienten konzentrieren. „Wir wollen dem Patienten anbieten, sich dauerhaft an seinen Apotheker zu binden.“ Mediziner und Kassen reagieren verschnupft.

Berlin. Die Zeiten von Sonnenbrillen, Magnetfeldmatten und Badekappen soll vorbei sein. Das haben sich die Apotheker fest vorgenommen. Spätestens bis 2030 wollen sie ihre Regale umsortieren und in den meisten Fällen auch ihre Apothekenräume umbauen. Dann soll es keinen Wettbewerb mehr geben um die breiteste Produktpalette in den Auslagen. Sondern vor allem einen Wettbewerb um Patienten.

Der Beschluss dazu kam am Mittwoch in Berlin: Die mehr als 100 Delegierten auf der Mitgliederversammlung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) stimmten nach fast einjährigen internen Beratungen für ein Strategiepapier, das einen Paradigmenwechsel auf den Weg bringt für die knapp 20.700 Apotheken in Deutschland. „Apotheke 2030“, lautet der Titel des achtseitigen Zukunftsentwurfs. Und wenn es nach den Apothekern geht, dann wird sich in den nächsten rund 15 Jahren viel verändern – nicht nur für den eigenen Berufsstand, sondern auch für Patienten, Ärzte und Krankenkassen.

Aber der Reihe nach: Die Unzufriedenheit unter den Apothekern ist seit Jahren groß. Onlinehandel, der Rückgang der Zahl der Apotheken, stark schwankende Betriebsergebnisse, die Misere der Landapotheker – all das hat für Unmut gesorgt und für Verunsicherung. „Die Verunsicherung führte dazu, dass viele Apotheker auf ein breites Angebot mit bunter Warenwelt gesetzt haben“, sagt ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Viele Apotheken seien zu einer Art „Gesundheitskaufhaus“ geworden. Aber nun wollen die Apotheker umsteuern. „Wir wollen nicht einfach Vertriebsstrang für Gesundheitsprodukte sein“, sagt Schmidt. Zwar hätten die Apotheker auch weiterhin nicht vor, in die Therapieentscheidung der Ärzte einzugreifen. Aber: „Wir werden eine aktivere Rolle übernehmen für die Sicherheit der Arzneimitteltherapie.“ Es geht um mehr Verantwortung und um mehr Verbindlichkeit.

„Wir wollen dem Patienten anbieten, sich dauerhaft an seinen Apotheker zu binden, in etwa so wie an einen Arzt“, erklärt Schmidt. Die Neuausrichtung sei gerade für chronisch Kranke interessant. „Neben dem herkömmlichen Betrieb für die Laufkundschaft werden die Apotheker regelmäßige Patientengespräche in der Apotheke anbieten – mit vorheriger Terminabsprache.“ Da könne beispielsweise einmal im Monat in separaten Beratungszimmern darüber gesprochen werden, wie die vom Arzt verschriebenen Medikamente wirkten, ob sie richtig angewendet würden und wie ihre Wirkung durch eine entsprechende Lebensweise noch verbessert werden könne. „Dabei wird die gesamte Medikation des Patienten, einschließlich der Selbstmedikation, kontinuierlich analysiert“, heißt es im Strategiepapier.

„Wer über Jahre dieselben Medikamente braucht, könnte auch ohne Arztbesuch in Zukunft sein Wiederholungsrezept bei uns bekommen“, sagt Schmidt. „Da könnten wir die Ärzte entlasten.“ Es gehe vor allem um eine bessere Koordinierung der Arzneimittelversorgung, bisher laufe noch viel zu viel schief. „Immer noch sterben Menschen, weil sie mit den verschiedenen Medikamenten, die sie nehmen, nicht zurechtkommen.“

Was die Apotheker vorhaben, ist eine Großreform, die am Gefüge des gesamten Gesundheitssystems rüttelt. Denn mit einer engeren Patientenbindung und mehr Einflussnahme auf die Medikation kommen sie an die Grenzen der Kompetenzfelder der Ärzte. So strebt Schmidt gegenseitige Konsultationen mit den Medizinern an. „Wir wollen, dass die Ärzte uns als Experten zurate ziehen, wenn es um die Arzneimittel-Therapiesicherheit für den Patienten geht“, sagt der Apotheker-Präsident. „Auch wenn es Vorbehalte geben sollte – wir warten mit unserer Neuausrichtung nicht auf die Erlaubnis der Ärzte.“ Tatsächlich reagieren die Ärzte zurückhaltend auf die Zukunftspläne der Apotheker. Beide Seiten arbeiteten vor Ort bereits gut zusammen, sagt Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. „Klar ist aber auch, dass die Grenzen zu den Kernkompetenzen des jeweils anderen nicht aufgeweicht werden sollten.“ Der niedergelassene Arzt kenne den Patienten in allen Facetten und könne ihn am ehesten davon überzeugen, sinnvolle Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. „Er weiß auch am besten, welche Medikamente der Patient braucht.“

Nicht nur für die Zusammenarbeit mit dem Arzt, auch für die Vergütung der Apotheker sowie für die Ausbildung des Nachwuchses dürfte der Umbau des Berufsbilds Konsequenzen haben. Denn hinter den geplanten Neuerungen stecken auch handfeste finanzielle Interessen. „Neben der bisherigen Grundvergütung, die sich an der abgegebenen Packung orientiert, brauchen wir eine zweite Vergütungssäule“, fordert Schmidt. Nötig sei eine Gebührentabelle ähnlich wie bei Ärzten, über die neue Leistungen wie die Patientengespräche abgerechnet werden könnten.

Bisher erhalten Apotheker pro abgegebene Packung eines verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittels 8,51 Euro, von denen sie 16 Cent an einen Finanzfonds zur Vergütung von Nacht- und Notdiensten abführen. Zusätzlich bekommen sie für jede Packung drei Prozent des Apothekeneinkaufspreises, sie müssen aber an die gesetzlichen Krankenkassen einen Rabatt von derzeit 1,80 Euro zahlen.

Die Kassen sperren sich nun dagegen, die Apothekervergütung aufzustocken. „Zu den Kernaufgaben eines Apothekers gehört die gute Beratung der Patienten, und dafür werden sie bereits heute gut bezahlt“, sagt Florian Lanz, Sprecher des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung. „Beispielsweise verbleiben bei der Abgabe einer Packung des Krebsmittels Glivek 253 Euro bei der Apotheke, bei der Abgabe eines Asthma-Sprays sind es 8,29 Euro. Hinzu kommen gegebenenfalls noch Spät- und Nachtzuschläge.“

Tatsächlich sieht die Finanzlage der Apotheken in den Statistiken vergleichsweise komfortabel aus: Nach den aktuellen Zahlen der Apothekerverbände lag das durchschnittliche Betriebsergebnis im vergangenen Jahr bei gut 124.000 Euro. Davon muss der Apotheker die Altersvorsorge und die Steuern abziehen. Solche satten Summen und höhere kommen vor allem in städtischen Apotheken mit reichlich Laufkundschaft vor. In den Landapotheken dagegen ist die Lage schwierig.

Apotheker-Präsident Schmidt kündigt auch eine Reform des Pharmaziestudiums an: Nach seiner Einschätzung müssten die bisher acht Hochschulsemester um mindestens ein weiteres Semester aufgestockt werden, in dem die Studenten Gesprächsführung und patientengerechte Sprache erlernen könnten. „Darüber werden wir in der zweiten Jahreshälfte Gespräche mit Hochschulvertretern aufnehmen.“

Aus der Großen Koalition kommen Signale der Zustimmung: CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn begrüßt, dass die Apotheker sich nach jahrelangen Debatten über die Rolle des Heilberuflichen und die Rolle des Kaufmännischen in ihrem Berufsalltag nun über ihr Zukunftsbild klar würden. Sie hätten großes Fachwissen angesammelt, das gerade für die Behandlung älterer Patienten mit vielfältigen Beschwerden und einem umfangreichen Medikamentenmix wertvoll sei. „Es ist wichtig, dass die Ärzte größere Bereitschaft zeigen, sich dieses Wissen verstärkt zunutze zu machen“, sagt Spahn. Die Ärzte sollten dies nicht als Kompetenzverlust verstehen, sondern als Bereicherung. Er spricht sich dafür aus, dass Apotheker auch bei der Arztvisite im Krankenhaus hinzugezogen werden sollten. „Beide Berufe sind aufgerufen, selbst miteinander eine engere Zusammenarbeit zu vereinbaren.“