Franchise- und Internetanbieter locken Kunden mit Rabatten. Alteingesessene Händler geben auf – auch in Hamburg. Vornehmlich in den Städten setzen neuartige Apothekenkonzepte mit Preisaktionen auf Schnäppchenjäger.

Hamburg. Wenn Petra Kolle ihren Kunden erklärt, wann sie die Tabletten einnehmen müssen, wie sie am besten den Blutdruck messen oder welche Ernährung bei chronischen Krankheiten empfehlenswert ist, macht sie die Beratung zwar gerne und mit Engagement. Schon als Jugendliche wusste sie, dass sie Apothekerin werden wollte, sie interessierte sich für Naturwissenschaften und schrieb gute Noten in Bio und Chemie. Inzwischen aber denkt die Hamburgerin auch öfter mal darüber nach, dass sie immer mehr Patienten hilft, die ihre Medikamente im Internet bestellen oder bei der Discountapotheke nebenan, um günstigere Preise zu bekommen. „Für Apotheken, die seriös und mit guter Beratung arbeiten, wird es immer schwieriger“, sagt die 53-Jährige, die nicht nur Inhaberin der St. Cosmas-Apotheke in der Endoklinik ist, sondern auch im Vorstand der Hamburger Apothekerkammer sitzt.

Online-Versender wie mycare und DocMorris, aber auch Discountanbieter wie Apo-Rot oder Easy-Apotheken mischen derzeit eine Branche auf, die über Jahrzehnte sehr gut verdiente. „Heute aber haben wir Mitglieder, die noch nicht einmal mehr ihren Kammerbeitrag bezahlen können“, sagt Petra Kolle und berichtet von Kollegen, die ihre Apotheke aufgeben.

Allerdings warnen Insider, dass sich viele Apotheker in den Verhandlungen mit den Krankenkassen auch arm rechnen, um höhere Honorare zu fordern. In den Einnahmestatistiken sieht die Lage der Apotheken auch nicht so dramatisch aus: Immerhin lag 2012 das durchschnittliche Betriebsergebnis einer Apotheke in Deutschland bei 105.000 Euro. Wo liegen also die Gründe für das Wehklagen? Haben einige Inhaber sich auf den Erfolgen ausgeruht, zu wenig investiert, oder haben sich die Umstände für Arzneihändler so geändert, dass wirtschaftliches Arbeiten teilweise unmöglich wird?

Tatsächlich ist die Branche stark in Bewegung: Vornehmlich in den Städten setzen neuartige Apothekenkonzepte mit Preisaktionen auf Schnäppchenjäger. Und auf dem Land geben immer mehr Apotheken auf, weil Ärzte wegziehen, keine Nachfolger bereitstehen oder die Klientel wegstirbt. Bundesweit ist derzeit mit 20.921 Apotheken der niedrigste Stand seit 1994 erreicht worden, informiert die Vereinigung der Apothekerverbände und Kammern, Abda. In Hamburg gibt es nur einen leichten Rückgang: Gab es 2010 noch 453 Apotheken, waren es im vergangenen Jahr noch 436 und heute nur noch 431 Standorte. Allerdings haben die einzelnen Geschäfte mehr Patienten zu versorgen als anderswo. Bundesweit zählen Apotheken im Schnitt 3900 Kunden, in Hamburg sind es 4100.

Die Apothekerkammer verweist als Grund für die schlechtere finanzielle Lage auf die Einsparungen im Gesundheitssystem. „In den vergangenen neun Jahren sind die Honorare für die Apotheken bei verschreibungspflichtigen Medikamenten nicht gestiegen“, sagt Petra Kolle. Zugleich hätten aber die Löhne und die Mieten zugelegt.

Mithilfe der Erträge aus den Arzneimitteln hätten früher nicht kostendeckende Aufgaben wie die Herstellung von Rezepturarzneimitteln oder der Apothekennacht- und -notdienst finanziert werden können, ergänzt Reinhard Hanpft, Geschäftsführer der Apothekerkammer Hamburg. Erst in diesem Jahr habe sich die Berechnung der Honorare wieder zugunsten der Apotheken entwickelt. Das Abgabeentgelt für verschreibungspflichtige Arzneimittel stieg im Januar um 25 Cent auf 8,35 Euro pro Packung. Die Abda hatte eine deutlich höhere Vergütung gefordert.

Zugleich drängt immer mehr Online-Konkurrenz auf den Markt: 3000 Internetapotheken haben in Deutschland eine Versandhandelserlaubnis. 2012 erlöste die Branche im Internet 1,3 Milliarden Euro. Bezogen auf das gesamte Apothekengeschäft entfällt auf den Versandhandel aber bisher nur ein Umsatzanteil von drei Prozent.

Günstige Easy-Apotheke wächst in Hamburg

Neu im Markt ist auch die preisaggressive Easy-Apotheke. Dieser Anbieter setzt auf eine Art Franchisesystem, weil größere Ketten mit eigenen Filialen den Apotheken verboten sind und bietet den angeschlossenen Apothekern eine Werbe- und Einkaufsgemeinschaft. Weil die alteingesessenen Apotheken bei dem Branchenneuling immer wieder Verstöße in Sachen Werbung und Preisgestaltung entdeckt haben wollen, stand der Easy-Verbund schon 50-mal vor Gericht, in einigen Fällen kam es zu Verurteilungen. Es ging dabei etwa um das Verteilen von Ein-Euro-Gutscheinen oder das Ausschenken von Sekt zur Eröffnung, das die Platzhirsche dem neuen Wettbewerb ankreideten. Inzwischen zählt Easy bundesweit 75 Standorte und expandiert auch in der Hansestadt.

Nach den Standorten in Bramfeld und Nedderfeld will die Easy-Apotheke bald gut eine Handvoll weitere Geschäfte in und um Hamburg eröffnen, sagte Geschäftsführer Lars Horstmann dem Abendblatt. Neben „normalen“ Geschäften setzt Easy auf Fertigbaumodule, die etwa auf Parkplätzen an Einkaufszentren aufgestellt werden können, ab 2014 auch in Hamburg.

Schon seit Längerem setzt auch die Apo-Rot-Apotheke in Hamburg-Rotherbaum auf günstige Angebote – schließlich sind die Preise für rezeptfreie Apothekenware schon seit neun Jahren freigegeben. Nach eigenen Angaben bieten die Hamburger, die auch eine Online-Apotheke betreiben, rezeptfreie Medikamente zwischen 25 und 55 Prozent günstiger als die Verkaufsempfehlung an.

Bei der Recherche für diesen Artikel warben die Hamburger etwa mit dem Angebot, 150 Gramm des Schmerzgels Voltaren für 9,99 Euro zu verkaufen. 16,40 Euro empfiehlt der Hersteller als Preis für das Medikament. 70 Gramm Meditonsin gegen Erkältung gab es für 11,99 Euro. Die Verkaufsempfehlung des Herstellers liegt hier bei 18,71 Euro. Zum Vergleich: Bei der Easy-Apotheke liegt der Internetpreis für die Menge Meditonsin bei vergleichbaren 11,95 Euro, die Packung Voltaren ist mit 9,90 Euro ähnlich preiswert wie bei Apo-Rot.

Ähnlich wie die Easy-Apotheke lockt auch der niederländische Anbieter DocMorris mit Niedrigpreisen. Mehrmals entschieden die Gerichte, zuletzt am Mittwoch, dass auch ausländische Internetanbieter in Deutschland bei rezeptpflichtigen Medikamenten keine Rabatte gewähren dürfen. DocMorris war wegen der Streitigkeiten vom Mutterkonzern Celesio verkauft worden. Jetzt hat der Pharmaanbieter neue Pläne: Celesio will die europäische Apothekenmarke Lloyds ausbauen. Bereits zum Jahresende sollen in Europa 100 Pilotapotheken unter der Dachmarke Lloyds firmieren, sagte kürzlich Celesio-Vorstand Stephan Borchert. Zwei Lloyds-Apotheken sollen noch dieses Jahr in Deutschland eröffnen – am 23. Oktober auch in Hamburg-Poppenbüttel. Das neue Konzept setze nicht wie DocMorris auf günstige Preise, sondern auf Beratung, unterstrich Borchert. So können sich die Lloyds-Kunden an einer „Health Bar“ über Gesundheitsthemen informieren.

Handelskonzern Otto organisiert Lieferservice für Arzneien

In neuen Dienstleistungen für Apotheken sieht auch der Handelskonzern Otto eine Chance. Mit VitaBote hat Otto einen Arzneimittellieferdienst in Hamburg gestartet. Kunden in der Hansestadt können über die Website www. vitabote.de Medikamente und Gesundheitsartikel im Internet bestellen – beliefert werden sie innerhalb weniger Stunden von ihrer lokalen Apotheke. Dieser Service ist bisher einzigartig in Deutschland, heißt es bei Otto.

Zu den innovativen Anbietern gehört auch die Domino-Apotheke in Lokstedt. Sie hat bei dem Couponportal Groupon kürzlich einen Gutschein über 20 Euro, „anrechenbar auf rezeptfreie Medikamente und Kosmetika in drei Filialen der Domino-Apotheke für zehn Euro“ angeboten. Für eine Stellungnahme zu der Aktion war der Inhaber für das Abendblatt jedoch nicht zu sprechen. Pioniere müssen in dem altehrwürdigen Berufsstand einiges aushalten, wenn sie neue Wege beschreiten. Für viele Apotheker gilt es als unfein, anderen Anbietern Kunden abspenstig zu machen. Doch auch Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, hält nichts von Stillstand in der Branche. „Wir müssen mit Argumenten und Ausdauer diskutieren und nicht Schmähungen, Beleidigungen oder Wehklagen von uns geben“, mahnt er seine Hamburger Kollegen.

Siemsen, der zudem Inhaber der Neuen Eilbeker Apotheke ist, setzt selber übrigens auch auf ein besonderes Profil: Er verkauft nicht nur Medikamente, sondern bietet umfangreiche Gesundheitsinformationen im Internet an, ist über eine Apotheken-App zu erreichen und weitet das Sortiment auch mit Trinkwassersprudlern, Tierarzneien oder dem Anmessen von Kompressionsstrümpfen aus.