Ohne jede Vorwarnung hört das Herz auf zu schlagen: Abendblatt-Redakteur Christoph Rind hat das erlebt. Jetzt soll ein kleines Gerät in der Brust im Notfall sein Leben retten. Eine persönliche Krankengeschichte.

Eigentlich wünschte ich mir, dass ich diese Geschichte niemals hätte schreiben können. Auch heute, mehr als ein Jahr nach dem Ereignis, kommt es mir vor, als hätte mir jemand die Geschichte nur erzählt, oder ich hätte sie geträumt in einem unruhigen Moment vor dem frühen Aufwachen an einem dunklen Morgen, wenn man plötzlich hochschreckt, die letzte Szene eines beängstigenden Traums noch im Bewusstsein, aber schon befreit durch die Gewissheit: Tatsächlich zugetragen hat sich der eben hautnah erlebte Horror Gott sei Dank nicht.

Dieser leider schon.

Zunächst zur Szene, in der sich alles abspielt. Ich sitze völlig entspannt mit vier anderen Diskussionsteilnehmern auf einem Podium in der Hamburger Handwerkskammer, in der sich 150 Teilnehmer aus der Gesundheitsbranche zu einem Kongress mit dem Themenschwerpunkt Kommunikation eingefunden haben. Die Senatorin hat zur Begrüßung Unverbindliches zur Gesundheitspolitik gesagt, der Organisator hat gesprochen, jetzt ist das Podium dran. Es geht um die Frage „Wie viel Information macht gesund?“ Oder konkreter ausgedrückt: Sind wir heute durch einen Wust von Informationen – Stichwort Internet – mehr verwirrt als gut im Bilde, fehlen uns vielleicht sogar wichtige Informationen, damit wir uns im Dickicht der Medizin, zwischen Arzt- und Klinikwahl, Medikamenten- und Vorsorgeangeboten und diversen Cashprogrammen im Sprechzimmer nicht heillos verirren.

Gerade sind die Gesprächsteilnehmer vorgestellt, jeder hat ein erstes kurzes Statement abgegeben. Da fange ich plötzlich an zu schwitzen. Ich spüre, dass meine Stirn feucht wird. Kein Wunder. 150 Leute in einem Raum, die Fenster dicht und ’ne Krawatte am Hals. Ich lockere sie und trinke in schnellen Zügen ein Glas Wasser leer. Jetzt merke ich, dass mir schwindlig wird.

Dann reißt der Faden. Auf dem Boden hinter dem Podium wache ich wieder auf. Keine Ahnung, wie lange ich bewusstlos war. Ich liege wie im Halbschlaf, denke: Warum lassen die mich nicht schlafen? Eine Frau redet ständig mit mir, fragt nach meinem Namen, wie es mir geht, ob ich sie höre. Irgendwas von Notarzt und Rettungsdienst dringt in mein Bewusstsein, aber wie durch Nebel. Ich habe keine Schmerzen, bin einfach nur müde. Dann muss ich würgen und spucke das Wasser wieder aus, ohne mich dabei groß bewegen zu können oder sonst einzugreifen. Ich denke nur, wie peinlich. Sehe, aber nur einen Augenschlag lang, hanseatisch solides Parkett, von mir besudelt. Dann die Aufforderung: Spucken Sie alles aus, halten Sie sich nicht zurück.

Am liebsten würde ich jetzt schlafen. Keine Spur von Panik. Die Hektik um mich herum ahne ich nur. Dann dringt ein Geräusch zu mir, das ich in den Folgestunden immer wieder, wie in Endloswiederholung, durchlebe: Irgendjemand zerreißt mein Hemd. Ich denke: Was soll das? Ist das nötig? Es ist eins meiner besseren, die ich meist nur unterm Jackett trage. Später weiß ich: Das Hemd war ordentlich aufgeknöpft, das T-Shirt darunter hat der Sanitäter zerstückelt. Derselbe, der mich dann anspricht: „Herr Rind, jetzt tut es einmal kurz weh.“ „Ne Injektion?“, denke ich noch. Da explodiert es in mir. Obwohl meine Augen geschlossen sind, sehe ich drei, vier oder fünf Blitze, wie ein zusammengeschnittenes Blitzlichtspektakel an einem klaren Sommerhimmel. Der Schmerzensschrei macht mich schlagartig wach. Natürlich nicht der Schrei. Es ist der Stromstoß, den der Sani mit dem Defibrillator durch mein Herz geschickt hat. Es hat nicht mehr gleichmäßig geschlagen, sondern mit einer Frequenz von über 280 Schlägen nur noch geflattert. Der Stromschlag hat es wieder in den Takt gebracht. Der damit verbundene Schmerz lässt in Sekundenschnelle schrittweise nach. Als Nächstes erinnere ich mich an die Angaben, die zwischen Sani und Notarzt hin- und hergehen. 280 Puls. Der Defi hat einen Schock empfohlen. Zustand jetzt stabil. Und der Notarzt zum Sanitäter: „Sie haben alles richtig gemacht.“ Liege ich immer noch in stabiler Seitenlage? Oder auf dem Rücken? Ich weiß es nicht mehr. Können Sie aufstehen? Man stützt mich. Dann geht’s auf die Trage und drei Etagen runter, rein in den Notarztwagen. Die Diagnose des Notarztes steht kurz darauf im Protokoll: „Bewusstseinsverlust für 5 Sekunden, dann ansprechbar, durch RTW 1 x defibrilliert, anschließend SR“. Übersetzt heißt das: Ansprechbar nach fünf Sekunden ohne Bewusstsein, dann hat der Sanitäter der Rettungswagenmannschaft (RTW) einen Elektroschock ausgelöst, der Patient wurde anschließend in den Schockraum (SR) gebracht. So nennen Mediziner den Notfallraum in der Aufnahme des Krankenhauses. Dort erfolgt sofort eine Herzkatheter-Untersuchung. Der flexible Schlauch wird über eine Einstichstelle an der Leiste über die Blutgefäße bis zum Herzen geschoben, durch ihn fließt auch ein Kontrastmittel. So kann der Arzt auf einem Bildschirm den Zustand der Gefäße am Herzen erkennen. Der Befund ist eindeutig: Die Gefäße sind frei, „jungfräulich“, wie Chefarzt Prof. Dr. Karl-Heinz Kuck in der Asklepios Klinik St. Georg scherzhaft sagt. Also kein Herzinfarkt.

Was aber hat den Crash ausgelöst?

Eine Entzündung direkt am Herzgewebe spürt man meist nicht

Eine mehr als einstündige Untersuchung am Folgetag im Kernspin bringt neue Erkenntnisse. Dort zeigt sich das klassische Bild einer Entzündung des Herzmuskels, „wie aus dem Lehrbuch“, sagt der behandelnde Röntgenspezialist. Für den Fachmann eine „aktive Myokarditis“. Ein gefährliches Leiden und dazu unberechenbar. Denn eine Entzündung direkt am Herzgewebe spürt man gewöhnlich nicht, weil es an dem lebenswichtigen Organ keine entsprechenden Nervenbahnen gibt, die durch Schmerz oder Unwohlsein dem Gehirn signalisieren: Mit deinem Körper stimmt was nicht.

Eine solche Entzündung schafft es immer wieder in die Schlagzeilen. Sie löst mysteriöse und oft spektakuläre Todesfälle aus, eine unterschätzte Gefahr für Sportler. Fünf Prozent der Todesfälle bei jungen Athleten gehen auf eine Herzmuskelentzündung zurück. Aber ich bin weder jung, 58, noch treibe ich Sport, vom Radfahren und Holzhacken am Wochenende abgesehen. Und an eine verschleppte Erkältung kann ich mich auch nicht erinnern. Die steht oft am Anfang eines Herzproblems. Dann verbreiten sich die Erreger, meist Viren, im Körper. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände durchbrechen einige die natürliche Abwehr. Erst wenn sie es über die Blutbahn zum Herzen schaffen und dort eine Entzündung auslösen, wird es gefährlich. Zwar heilen geschätzte 80 Prozent der Entzündungen aus, ohne Spuren oder Schäden, aber das infizierte Herzgewebe kann in Einzelfällen die Funktion der menschlichen Pumpe lahmlegen. Manchmal versagt das Herz dann ohne Vorwarnung wie bei René Herms, von 2003 bis 2006 der beste deutsche 800-Meter-Läufer, der 2009 tot in seiner Wohnung lag. Die Obduktion ergab: plötzlicher Herztod infolge einer Virus-Herzmuskelentzündung. Sportler belasten sich oft zu schnell nach Infekten. Wenn das Herz dann trotz Schwächung zur Hochleistung angetrieben wird, kann es zum Blackout kommen.

Grundsätzlich gilt: Wer sich schlapp fühlt oder gerade eine Erkältung oder eine Grippe durchgestanden hat, sollte sich eine Auszeit gönnen und nicht sofort nach Abklingen der Symptome wieder unter Volllast trainieren.

Ist eine Herzmuskelentzündung, die eine lebensgefährliche Situation verursacht hat, noch aktiv, sind die behandelnden Ärzte bemüht, die Erreger möglichst zu ermitteln, um sie bekämpfen zu können. Für mich bedeutet das: zwei Tage nach dem Zusammenbruch erneut ein Herzkatheter, bei dem winzige Gewebeproben aus dem entzündeten Muskel entnommen werden. Der Laborbefund ergibt eine Infektion durch sogenannte Parvoviren B19, die erst 1974 von einer australischen Virologin zufällig entdeckten Erreger der Ringelröteln. Fast jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens Kontakt mit diesen Viren. Antikörper belegen das. Größeren Schaden richten sie nur selten an. Bei mir hatten sie es geschafft. Aufgrund des Laborbefundes erhalte ich ein virenhemmendes Medikament, das ich ein halbes Jahr nehmen muss.

Bei einer wichtigen Frage sind sich die Ärzte noch nicht sicher: Wie groß ist der Schaden an meinem Herzen, den die Viren im System der Reizleitungen angerichtet haben? Denn elektrophysiologische Fehlimpulse hatten den Herzschlag aus dem Rhythmus gebracht und zu einer sogenannten Ventrikulären Tachykardie, einem hektischen Flattern, geführt, einer lebensgefährlichen Rhythmusstörung aus den Kammern. Das Ziel der Kardiologen: eine lebensgefährliche Situation dieser Art in Zukunft möglichst zu verhindern.

Dazu muss die Stelle im Herzen, die den Fehlimpuls auslöst, lokalisiert und unschädlich gemacht werden. Das geschieht mittels einer Ablation, eines Eingriffs, der ebenfalls mit einem Katheter über die Leiste erfolgt. Während unter Betäubung das Herz so stimuliert wird, dass es die Schwachstellen offenbart, verödet eine Minisonde die schadhafte Stelle bei etwa 70 Grad Hitze. Zurück bleibt eine kleine Narbe. Bei erfolgreichem Eingriff ist der Fehlimpuls damit beseitigt.

Die Ablation erfolgt am 16. Tag meines Klinikaufenthalts. Ein Fehlreiz wird aufgespürt und ausgeschaltet. Aber nur auf der inneren Herzwand, was die Spezialisten stutzen lässt. Sie hatten aufgrund der Symptome eher eine Schwachstelle auf der äußeren Herzwand erwartet. Ist dennoch wieder alles in Ordnung? Oder sollte mir zur Sicherheit doch ein Mini-Defi eingesetzt werden? Ein Metallkästchen in Streichholzschachtelgröße, das rund um die Uhr das Herz überwacht und bei lebensgefährlichen Herzschlagfolgen einen Stromimpuls abgibt, und wenn der nicht hilft, einen stärkeren Stromschlag, um das Herz wieder in den richtigen Rhythmus zu bringen. Das erscheint mir übertrieben. Nach erfolgter Ablation, viel Ruhe und noch ausstehender monatelanger Medikamentengabe soll die Herzmuskelentzündung wohl auszukurieren sein. Das Wichtigste dabei: Ruhe, Ruhe, nochmals Ruhe. Nach drei Wochen Klinikaufenthalt, drei weiteren Wochen in der Reha heißt das: noch mal einen guten Monat Auszeit vom Beruf.

Und es geht langsam bergauf. Jeder, der mal mehrere Wochen im Bett und anschließend im Schongang zugebracht hat, weiß: Es dauert, bis die alten Kräfte wieder aufgebaut sind. Weitere sechs Wochen später schleicht sich langsam der Alltag ein. Bis zu dem Morgen, als ohne jeden Anlass in einem Moment der Ruhe plötzlich wieder der Schwindel kommt. Ich schaffe es gerade noch zehn Schritte bis zum Schreibtisch einer Kollegin und ein Hingemurmeltes „Mir wird schlecht“, als ich auch schon auf dem Boden liege, ohne Kraft und im Dämmerzustand. Dann folgt ein ähnliches Szenario wie fast auf den Tag vier Monate zuvor: Notarzt, Elektro-Schockabgabe, Einlieferung als Notfall in die Herzklinik. Der Versuch, mit erneuter Ablation eine offensichtlich noch vorhandene Schadstelle am Herzen aufzuspüren, schlägt fehl. Trotz mehrstündiger Stimulation zeigt das Herz keine Auffälligkeiten. Jetzt bleibt als lebensrettende Maßnahme für die Zukunft nur: einen Defi einzusetzen.

Der Eingriff unter Betäubung erfolgt an einem Freitag. Sonntag bin ich wieder zu Hause, mit einer mittelfingerlangen Narbe unter der linken Schulter und darunter den Lebensretter, dessen Sonde über die Blutbahn in die rechte Kammer reicht und dort in der Gewebewand mit einer Art Korkenziehergewinde verankert ist.

300 solcher Defis werden innerhalb eines Jahres allein in der Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg eingesetzt. Ein Routineeingriff für die Kardiologen. Auch ein Geschäft für den Medizinbetrieb. Und ein Ausdruck unseres zwar belasteten, aber funktionierenden Gesundheitssystems, denn der Lebensretter wird ohne Rücksicht auf die Art der Krankenversicherung eingepflanzt. Kritiker geben die hohe Zahl zu bedenken. Die meisten Defis lösen niemals aus, ihre Implantation ist streng genommen also überflüssig, trotz vorheriger Prüfung der Kriterien. Hier gibt es sicher noch was zu optimieren. Aber jenseits aller gesundheitspolitisch finanziellen Überlegungen wünscht sich jeder einzelne Patient, der mit einem solchen Gerät unter der Haut lebt, nur das eine: Hoffentlich muss der Defi nicht aktiv werden.

Die Frage, ob die Implantation des Defis bei mir nötig ist oder nicht, wird einen knappen Monat später beantwortet. Nach fünf Impulsen, die ich nicht als Defi-Einsatz wahrnehme, sondern nur als kurzen Schwindel, der, nachdem ich tief einatme, verschwindet, kommt es kurz darauf im Linienbus zu einer Schockabgabe. Seitdem weiß ich, wie sich „Mich trifft der Schlag“ anfühlt. Kurz, heftig, verbunden mit einem Schmerzensschrei, der die wenigen anderen Busmitfahrer innehalten lässt.

Das magnetische Lesegerät, in der Klinik über dem Defi gehalten, offenbart auf dem Computerbildschirm sämtliche Einsätze, mit allen Einzelheiten über Zeit, Dauer und Stärke. Für mich heißt das: So oft sollte ein Defi nicht in Aktion treten. Also ein dritter Versuch einer Ablation. Und diesmal spielt das Herz bei der Untersuchung verrückt genug, dass die Kardiologen endlich eine defekte Stelle in der äußeren Herzwand entdecken – und sie veröden können.

Seitdem schlägt mein Herz ohne fühlbare Fehlfunktion. Alle sechs Monate wird der Defi ausgelesen. Der nächste Termin ist in drei Monaten. Ich spüre den Lebensretter bei jeder Bewegung meines linken Armes, so als würde dort ein Pflaster kleben, das ich vergessen habe. Aber vergessen kann ich das Teil nun mal nicht. Nur hoffen, dass es nicht anschlagen muss, es aber trotzdem tut, wenn es wirklich nötig ist.