Deutscher und europäischer Krankenkassenverband fordern zentrale Zulassungsstelle für Hochrisiko-Medizinprodukte in Europa.

Hamburg. Die Verwendung von minderwertigen Brustimplantaten sorgte vor zwei Jahren weltweit für Aufsehen. Die französische Firma PIP (Poly Implant Prothèse) hatte jahrelang billiges Industrie-Silikon statt des zugelassenen höherwertigen Silikons für die Brustimplantate verwendet. Die Folge: Viele Implantate bekamen Risse und das ausgetretene Silikon verursachte Entzündungen und Schwellungen im umliegenden Gewebe. Weltweit waren 300.000 Frauen die billigen Silikonkissen eingesetzt worden.

Das Nutzen-Risiko-Verhältnis soll in klinischen Studien geprüft werden

Um Patienten vor minderwertigen Medizinprodukten zu schützen, hat der Verband der Ersatzkassen zusammen mit der europäischen Dachorganisation der Kranken- und Sozialversicherungsträger, der AIM (Association Internationale de la Mutualité), die zurzeit in Hamburg tagt, zentrale Forderungen aufgestellt. Sie wollen schärfere Kontrollen für bestimmte Medizinprodukte und eine zentrale Zulassungsstelle für Hochrisiko-Medizinprodukte in Europa. Gemeint sind damit Produkte der sogenannten Risikogruppe drei. Dazu zählen neben den Brustimplantaten zum Beispiel auch Herzkatheter, künstliche Hüft-, Knie- oder Schultergelenke, Stents, Spiralen zur Verhütung und Herzschrittmacher.

„Wir wollen bei Hochrisikoprodukten das gleiche Verfahren wie bei der Zulassung von Arzneimitteln“, sagte Christian Zahn, Vorsitzender des Verbandes der Ersatzkassen (vdek), am Mittwoch in Hamburg. Zu einem sicheren Zulassungsverfahren gehöre der Nachweis des Nutzen-Risiko-Verhältnisses anhand von klinischen Studien, mehr Transparenz durch die Errichtung einer zentralen Datenbank, die Einführung einer verpflichtenden Haftpflichtversicherung und eine Stärkung der Rechte der Patienten. In den klinischen Studien müssten Fragen beantwortet werden, die für den Patienten relevant sind, zum Beispiel, ob ein neues Medizinprodukt die Beschwerden besser lindert als der aktuelle Behandlungsstandard oder wenigstens genau so gut wirkt.

„2012 hat das Europäische Parlament beschlossen, die europäischen Richtlinien für Medizinprodukte zu ändern und daraus eine Verordnung zu machen“, sagte Zahn. Doch dann habe die EU-Kommission nur eine Änderung der Richtlinien beschlossen, die eine Prüfung des Produkts im Rahmen eines CE-Zertifizierungsverfahrens und eine geringe Ausweitung der Rechte und Kontrollpflichten vorsehe.

Nach Meinung der gesetzlichen Krankenkassen reicht das nicht aus. Sie setzen sich weiterhin für ihre ursprünglichen Forderungen ein und wollen, dass die Zulassungsstelle für diese Hochrisiko-Medizinprodukte an der Europäischen Arzneimittelagentur angesiedelt wird.

Dabei soll sich dieses verschärfte Verfahren nicht nur auf die Risikogruppe drei beschränken, die ungefähr zwei Prozent des jährlichen Gesamtumsatzes von Medizinprodukten ausmacht, sondern, so Zahn, „auf alles, was dauerhaft in den Körper implantiert wird“. Dazu zählen auch Produkte der Risikogruppe 2b, wie zum Beispiel Magenbänder. Für Pflaster, Hörgeräte oder andere Medizinprodukte sollen dagegen weiterhin nationale Regelungen gelten.

Eine Entscheidung des Europäischen Parlaments soll im Frühjahr 2014 fallen. Bis dahin laufen noch die Beratungen mit EU-Kommission, EU-Parlament und dem Europäischen Rat, in dem auch die Bundesregierung vertreten ist. Diese agiert nach den Worten Zahns zurzeit zurückhaltend und stellt sich schützend vor die deutsche Medizinprodukte-Industrie. Sie „verspielt derzeit ihre Chance, Medizinprodukte auch in Deutschland sicherer zu machen“, sagte Zahn. Die Bundesregierung solle ihre Position überdenken. Patienteninteressen müssten Vorrang haben vor den Interessen der Industrie.

Aber auch auf nationaler Ebene in Deutschland ist nach Ansicht der Kassenvertreter ein Umdenken nötig. „Wir fordern die Begrenzung der Erprobung von neuen Medizinprodukten auf spezielle Behandlungszentren“, sagte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek. Sie sollen den Nutzen und Schaden des Produkts und der Behandlungsmethode unter optimalen Bedingungen untersuchen.

Zudem müssten für langlebige Implantate Medizinprodukte-Register eingeführt werden, um Erkenntnisse über Risiken und Nebenwirkungen bei Daueranwendungen zu gewinnen. Ein gutes Beispiel dafür sei das Endoprothesenregister, das vor zwei Jahren in Deutschland eingeführt wurde. Diese Einrichtung hat das Ziel, die Haltbarkeit von künstlichen Knie- und Hüftgelenken zu ermitteln, indem von allen Patienten der Zeitpunkt der Implantation, die Art der Prothese und der Zeitpunkt eines Wechsels dokumentiert werden. Durch die Ergebnisse dieses Registers könnten den Patienten künftig Leid und Schmerzen durch Wechseloperationen an Hüfte und Knie erspart werden, sagte Elsner.