Damit sie Veränderungen der Nordsee live dokumentieren können, wollen Forscher vor Helgoland eine Station für zehn Messgeräte installieren.

Helgoland. Bis zu sieben Windstärken, zwei Meter hohe Wellen und dazu auch noch Regen - das Wetter hatte Prof. Philipp Fischer und seinem Team zuletzt einen Strich durch die Rechnung gemacht. Um ihr 100 Kilo schweres Prunkstück von Bord des Schiffes mit einem Kran ins Wasser zu hieven und zum Meeresboden herabzulassen, hätten sie sicher ankern müssen und ruhigen Seegang gebraucht. "Zu gefährlich", entschied Fischer.

Mittlerweile sind die Bedingungen besser, deshalb wollen die Meeresbiologen vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven heute einen neuen Versuch starten, um 700 Meter nördlich von Helgoland den ersten Unterwasser-Datenknoten der Nordsee zu verankern - und diesen über Strom- und Datenkabel mit der Insel zu verbinden. Geht alles gut, sollte ab 14 Uhr die Leitung stehen. "Damit können wir erstmals Veränderungen in der Nordsee das ganze Jahr über lückenlos verfolgen - und zwar live", sagt Fischer.

Bisher war das nur eine Utopie. Zwar haben AWI-Forscher durch regelmäßige Messungen vor Helgoland seit 1962 herausgefunden, dass die Wassertemperatur dort bis heute im Mittel um 1,7 Grad gestiegen ist, womöglich infolge des Klimawandels. Und seit einigen Jahren erfassen sie gemeinsam mit Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums Geesthacht mit dem System COSYNA auch viele andere Parameter. So werden durch Messungen von Radarsystemen, Bojen und im Meer verankerten Pfählen neben der Wassertemperatur etwa auch Strömung, Salzgehalt, pH-Wert und Wassertrübung gemessen. Doch diese Geräte hätten mehrere Nachteile, sagt Fischer.

Die Pfähle etwa ließen sich nur dort einrammen, wo das Sediment des Meeresbodens genug Halt biete, und es dürfe nicht tiefer sein als 30 Meter, weil die Spitzen der Pfähle aus dem Wasser ragten. Die eisigen Temperaturen im Winter verkrafteten die Armaturen nicht, deshalb müssten die Forscher sie im Herbst herausziehen - und anschließend monatelang auf Messungen verzichten. Pfähle und Bojen verschickten ihre Messergebnisse zwar regelmäßig per Funk, aber dabei erreichten sie nicht ansatzweise die Datendurchsatzraten einer einfachen DSL-Leitung. Ein weiteres Manko: Die Armaturen seien auf bestimmte Sensoren und damit auf bestimmte Messungen beschränkt.

Aus all diesen Gründen hätten sie bisher nur punktuell Daten erheben können, sagt der Meeresbiologe. "Das reicht aber nicht, um natürliche Veränderungen in der Nordsee, etwa saisonale Zyklen, von unnatürlichen Veränderungen etwa infolge des Klimawandels zu unterscheiden. Wie sich gezeigt hat, sind die Veränderungen des Ökosystems der Nordsee viel komplexer, als das wir uns auf wenige Messungen in größeren Intervallen beschränken könnten." Es sei zwar nun relativ klar, wie sich die Wassertemperatur verändert habe. "Zu den meisten anderen Veränderungen, etwa zur Plankton-Konzentration und zu Fischgemeinschaften, haben wir aber noch viel zu wenig Daten", sagt Fischer.

Weil sich dieses Problem Meeresforschern weltweit stelle, würden an immer mehr Orten sogenannte Meeresobservatorien eingerichtet. Das AWI will ein solches Netz aus Beobachtungsstationen auch in der Arktis - zwischen Grönland und Spitzbergen - installieren, das per Kabel mit Stromnetzen an Land und mit dem Internet verbunden sein soll. Noch ist das jedoch eine kühne, 120 Millionen Euro teure Vision. Realität wird dagegen ab heute der Unterwasser-Datenknoten vor Helgoland. Er soll die Messungen im Projekt COSYNA ein großes Stück voranbringen.

Vereinfacht dargestellt handelt es sich um eine 1,20 Meter lange Mehrfachsteckdose, die Philipp Fischer und seine Taucher auf einem zwei mal zwei Meter breiten Trägergerüst montieren werden. An ihr lassen sich bis zu zehn Messgeräte (auch Kameras, die Fische und Quallen filmen) anschließen, die bis zu 80 Meter entfernt positioniert werden können und die sich über das Internet steuern lassen. Dabei handele es sich um ein offenes System, sagt Fischer: "Es könnte auch ein Kollege aus den USA mit einem speziellen Sensor anreisen und Versuche durchführen."

Ein Notstromaggregat sorgt dafür, dass der Datenknoten bis zu sechs Stunden ohne Strom von Helgoland auskommen kann. Das ist nötig, weil die 1000-Volt-Verbindung aus Sicherheitsgründen abgeschaltet wird, wenn die Forscher an der Apparatur arbeiten.

Zunächst wird der Datenknoten in zehn Meter Tiefe montiert, er sei aber für Tiefen bis zu 300 Metern und für starken Seegang ausgelegt, sagt Fischer. Mit dem System seien sie nicht nur flexibler bei der Wahl des Standorts, sondern auch unabhängig vom Wetter und den Jahreszeiten: "Für die Messungen ist es egal, ob ein Sturm tobt oder Winter ist. Das Tolle ist, dass wir nun auch unter diesen Bedingungen Veränderungen in der Nordsee erfassen können." Das erste Einsatzgebiet haben die Forscher ausgewählt, weil sie dort nah beieinander gleich mehrere wichtige Bestandteile des Ökosystems Nordsee vorfinden, etwa Schlick- und Sandböden und Braunalgenfelder. Alle Daten werden in die vom Helmholtz-Zentrum Geesthacht betriebene COSYNA-Datenbank einfließen. Weil diese öffentlich ist, können sich Forscher weltweit an der Analyse beteiligen. Das sei auch nötig, sagt Philipp Fischer: "Wir werden so viele Daten sammeln - das können wir alleine gar nicht bewältigen."