Die New Yorker Professorin Elke U. Weber sprach in Berlin darüber, wie man dazu bereit wird, Grenzen zu überwinden und Gewohnheiten zu ändern.

Berlin. Zum Jahrestag des Mauerfalls stellen Spitzenforscher aus aller Welt in Berlin auf der Konferenz "Falling Walls" Ideen vor, die vielleicht einmal zu wissenschaftlichen Durchbrüchen führen - und uns künftig Grenzen überwinden lassen, die bisher den gesellschaftlichen Fortschritt beschränken. Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte die Lösungsansätze, insbesondere die Präsentation von Elke U. Weber, 54. Weber ist Ko-Direktorin des Center for Decision Sciences an der Columbia University in New York. Dort untersucht die deutsche Wirtschaftspsychologin, mit welchen Tricks sich die Abneigung gegenüber Veränderungen überlisten lässt, sodass wir bereit sind, neue Wege einzuschlagen. Ihre Erkenntnisse nahm Merkel zum Anlass, die Schuldenkrise Europas aufzugreifen und zu einem veränderten Handeln aufzufordern: "Diese Krise ist unsere Chance, den Wendepunkt zu finden." Das Abendblatt sprach mit Weber auch über persönliche Grenzen.

Hamburger Abendblatt:

Frau Prof. Weber, warum fällt es so schwer, schlechte Gewohnheiten zu ändern?

Elke U. Weber:

Es gibt viele Dinge, die wir tun könnten, doch unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt. Deshalb konzentrieren wir uns auf Herausforderungen, die unser Leben unmittelbar betreffen. Seinen Job zu behalten oder eine gute Ehe zu führen erscheint uns wichtiger, als Energie zu sparen. Auf das Naheliegende zu achten ist ein Überbleibsel aus Urzeiten, als der Mensch es sich nicht leisten konnte, langfristig zu planen, sondern jeden Tag damit beschäftigt war, zu überleben. In den heutigen technisierten Gesellschaften ist ein solches Verhalten aber problematisch: Die Art und Weise, wie wir jetzt etwa mit Energie umgehen, wird Auswirkungen auf das Klima in 50 Jahren haben.

Aber eigentlich ist doch klar, dass Veränderungen Vorteile haben können: Wenn wir Energie sparen, hilft das dem Klima; wenn wir abnehmen, fördert das unsere Gesundheit.

Weber:

Das sagt uns die Vernunft - aber wir fühlen es nicht. Häufig handeln wir aber erst, wenn wir etwas fühlen, etwa, wenn wir erkranken. Solange etwaige Vorteile von Veränderungen nicht spürbar sind, bleiben wir lieber bei gewohnten Abläufen. Auch das ist evolutionär begründet: Was sich bewährt hat, kann nicht schlecht sein. Wir wiederholen Abläufe also immer wieder, bis sie zu Automatismen werden.

Wie lassen sich solche Automatismen überwinden?

Weber:

Zum Beispiel indem man schlechten Gewohnheiten die Grundlage entzieht, also von vornherein Situationen vermeidet, von denen man weiß, dass sie unwiderstehlich sind. Man kauft im Supermarkt keine Süßigkeiten mehr, sodass man zu Hause gar nicht erst in Versuchung kommt zu naschen. Man stellt den Wecker möglichst weit neben das Bett, um ihn nicht so schnell ausstellen zu können. Man besorgt sich einmal Stofftaschen, um im Supermarkt nicht immer neue Plastiktüten kaufen zu müssen.

Solche Maßnahmen sind leicht umsetzbar. Wie aber sollten wir vorgehen, wenn wir etwa einen neuen Beruf erlernen wollen? Hier besteht ebenfalls die Gefahr, letztendlich im Istzustand zu verharren.

Weber:

Eine berufliche Neuorientierung erscheint zunächst einmal abstrakt. Da hilft es, wenn man sich die Vorteile konkret vor Augen führt, und zwar im Detail. Man kann zum Beispiel einen Aufsatz schreiben mit dem Titel: "Wo könnte ich in fünf Jahren stehen, wenn ich jetzt eine Fortbildung oder ein Aufbaustudium beginne?" Das kann sehr motivierend wirken und zudem verhindern, dass man zu einem späteren Zeitpunkt abbricht.

Welchen Einfluss hat die Umwelt auf Veränderungen des Einzelnen?

Weber:

Insbesondere das soziale Umfeld ist sehr wichtig. Im Zusammenspiel mit anderen Menschen fällt es uns fast immer leichter, Dinge anzupacken, die wir sonst nicht tun würden. Man sollte sich also eher mit einem Freund zum Joggen verabreden, als sich nach der Arbeit alleine aufraffen zu müssen.

Wie lassen sich schlechte gesellschaftliche Gewohnheiten verändern?

Weber:

Eine Möglichkeit ist Zwang: Der Staat kann den Handlungsspielraum gesetzlich einschränken, also etwa das Rauchen in öffentlichen Gebäuden verbieten oder veranlassen, dass in der Innenstadt nur noch schadstoffarme Autos fahren dürfen. Eine zweite Möglichkeit - die in vielen Ländern besser funktioniert - besteht darin, Menschen ein neues Verhalten zu erleichtern und andere Optionen unangenehm zu machen. Man möchte, dass Menschen häufiger mit dem Rad fahren? Dann sollte man verteilt über die Stadt Leihstationen etablieren, an denen sich Menschen günstig und unkompliziert ein Rad borgen können. Man möchte, dass Menschen eher die Treppe nehmen als den Aufzug? Dann sollte man schöne Treppenhäuser bauen, mit Aussicht nach draußen. Solche Maßnahmen können nicht nur vom Staat ausgehen, auch private Unternehmen können etwas bewirken, wenn sie erkennen, dass Veränderungen sich auszahlen. Wenn die Mitarbeiter sich etwa mehr bewegen, bleiben sie eher leistungsfähig.

In Ihrem Vortrag haben Sie erzählt, dass Sie vor zwei Wochen entschieden haben, Vegetarierin zu werden. Wie setzen Sie diese Veränderung um?

Weber:

Es hilft, dass mein Mann und ich das gemeinsam beschlossen haben. Es hilft auch, meine Entscheidung öffentlich gemacht zu machen, weil dadurch ein gewisser Druck entsteht: Wenn mich Freunde jetzt mit einem Steak erwischen, ist das peinlich. Wir bewahren kein Fleisch mehr als Reserve im Gefrierschrank auf. Und neben dem Herd steht jetzt ein vegetarisches Kochbuch.