Ein Rahlstedter Ingenieur hat eine geothermische Heizung erfunden, die manche Winterprobleme der Bahn lösen soll. Erste Tests in Hamburg laufen.

Hamburg. Nur wenige graue Eisplacken sind vom vielen Schnee der vergangenen Tage geblieben, längst zeigen die Thermometer in der Stadt wieder Werte deutlich über null an. "Das ist zu warm für uns", sagt Wolfgang Feldmann. Kälte, Schnee und eben vereiste Eisenbahnstrecken - das ist jetzt ein Szenario, das er sich noch einmal gut vorstellen könne, sagt er und grient freundlich unter seinem dichten Schnurrbart. So eine Wetterlage eben wie um die Weihnachtszeit, als die Bahn irgendwann resignierend empfahl, bei Fernreisen nun besser auf Bahnreisen zu verzichten. Nicht selten waren es vereiste Weichen, die zu den vielen Verspätungen geführt hatten. Während etliche Reisende frierend an den Bahnsteigen warten mussten, war auch der 62-jährige Ingenieur aus Rahlstedt so wie heute draußen: An den Gleisen der Hamburger Hafenbahn am Rossdamm testet er die weltweit erste Weichenheizung ihrer Art, die mit Erdwärme und völlig ohne zusätzliche Pumpen oder elektrische Schaltungen arbeitet. "Im Prinzip funktioniert das mit diesen kleinen Rohren", sagt Feldmann und greift dazu in ein Bündel fingerdicker, grüner Leitungen, die dort im Hafen aus der Erde lugen. Ein System, das er in den vergangenen beiden Jahren entwickelt hat. Gemeinsam mit dem Unternehmen Pintsch Aben Geotherm, einem großen Hersteller von Eisenbahntechnik, wurde nun der erste Prototyp gebaut, der an der Hamburger Hafenbahn optimiert wird und dort nach den ersten Kältetests schon beeindruckt hat, wie Alexander Schwertner, Sprecher der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA), sagt: "Es funktioniert grundsätzlich, und wir können uns vorstellen, sämtliche Weichen später einmal auf Geothermie umzustellen."

Dabei sind Weichenheizungen eigentlich nichts Ungewöhnliches. Allein auf dem gut 375 Kilometer langen Gleisnetz der Hamburger Hafenbahn sind gut 600 der 800 Weichen beheizt, damit die Container auch im Winter aus dem Hafen kommen. Die Wärme stammt von elektrischen Heizstäben ähnlich wie bei der Bahn AG, die ihre rund 60 000 verkehrswichtigen Weichen ebenfalls heizt. Aus gutem Grund: Schnee und Eis können an den schweren Stahlkonstruktionen den Stellvorgang schon bei wenigen Minusgraden blockieren. Gigantische Ausfälle wären die Folge.

Aber auch gigantische Energiemengen sind nötig, um die Gleise so warm zu halten. Eine Weiche verbraucht etwa so viel Heizenergie wie ein normaler Haushalt, schätzt die HPA. Für alle Hafenbahnweichen bedeutet das den Verbrauchswert eines kompletten Dorfes. Weit größer noch ist der Energieverbrauch und damit CO2-Ausstoß bei den elektrischen Weichenheizungen der Bahn. Allein dafür braucht man wohl schon ein kleines Atomkraftwerk, schätzt Feldmann.

Die Erdwärme-Heizung braucht hingegen nichts.

Und sie ist wartungsarm, arbeitet selbsttätig ohne Technik, die erst eingeschaltet werden müsste. Bei den Kälteeinbrüchen der vergangenen Tage dauerte es in einigen Fällen erst einige Stunden, bis Weichenheizungen anliefen, wie die Bahn einräumte. Doch nicht nur für genervte Bahnkunden wäre die Erdwärme-Heizung eine Lösung. Das System, so sagt Feldmann, ließe sich auch für Gehwege, Bahnsteige, Bushaltestellen, Auffahrten und sogar besonders gefährliche Straßenabschnitte einsetzen.

Wie die Erdwärme genau arbeitet, wie sie aufgebaut ist - das will er in seinem Büro in Rahlstedt zeigen. In dem hellen Raum stehen große Regale mit Büchern und Aktenordnen. Dazwischen historische Kursbücher, Lektüre über Dampflokomotiven und das Modell einer großen roten Lok der Canadian-Pazific-Eisenbahngesellschaft. Als Erinnerung an eine Tour durch die Rocky Mountains, wo er eine solche schwere Lokomotive selbst ein kleines Stückchen steuern durfte, nachdem er mit den kanadischen Eisenbahnleuten über seine Weichenheizung debattiert hatte. "Das war schon gewaltig", sagt er. Zumal für einen Eisenbahnfan wie ihn. Seinen Eltern, zwei promovierte Musikwissenschaftler, war schon aufgefallen, als er fünf Jahre alt war, dass ihn eher Lokomotiven als Noten interessieren. In Hamburg machte Feldmann sein Abitur, studierte dann Maschinenbau mit Spezialisierung auf Schienenfahrzeuge in Hannover.

Später arbeitete er in großen Firmen, auch in der Forschung, immer aber im Bereich Eisenbahntechnik. Und tüftelte neue Systeme aus. "Der hohe Verbrauch von Energie hat mich dabei oft beschäftigt, und dann setze ich mich hin und schaue, wie man etwas ändern kann", sagt Feldmann. Irgendwann kamen so die ersten Ideen für neue Weichenheizungen; viele Tests, Experimente und gelegentlich auch Fehlschläge folgten. Bis die HPA sich entschloss, einen Prototyp mit einem Verfahren aus einer Kombination aus Erdwärme und Kohlendioxid zu testen. Ein Verfahren, das inzwischen auch vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird.

Feldmann räumt auf einem Beistelltisch einige Zeitschriften zur Seite, darunter kommt ein massiger, rostiger Metallblock zum Vorschein. "Hier: Das ist der Gleitstuhl einer Weiche", erklärt er. Im Prinzip gehe es darum, dass dort Schnee schmilzt, bevor er zusammengepresst wird und so die Weiche blockieren kann. Die Heizung besteht aus einem geschlossenen Kreislauf aus mehreren kleinen Leitungen, die wie Sonden bis zu 50 Meter tief ins Erdreich reichen. Schon ab 10 Meter Tiefe ist es dort deutlich wärmer als an der Oberfläche: ein Effekt, der in den oberen Erdschichten bis etwa 20 Metern vor allem durch Sonneneinstrahlung oder auch wärmere Grundwasserschichten erzeugt wird. Wärme aus dem Erdkern ist erst in viel tieferen Schichten wirksam.

Der Boden funktioniert dabei quasi wie eine Sonnenbatterie: Die Kraft des Gestirns reicht aus, um ihn bis in die Tiefe aufzuwärmen. Auch im Winter bleibt er warm und kühlt nur sehr langsam ab. Am kältesten ist es dort im Mai - wenn die Sonne schon wieder wärmt. Schon ab einem Meter Tiefe ist Erdreich in Norddeutschland daher immer frostfrei. Diesen Unterschied macht sich Feldmann zunutze. In den Rohren ist Kohlendioxid unter hohem Druck von 40 Bar eingebracht. Zum Vergleich: ein Autoreifen ist etwa auf 2,5 Bar aufgepumpt. Unter diesem Druck verdampft das Kohlendioxid bei zehn Grad in der Tiefe, steigt als warmes Gas hoch, durchströmt Wärmeplatten an der Weiche und schmelzt so Eis und Schnee. In der Kälte kondensiert das Gas wieder und fließt flüssig an der Rohrinnenwand zurück in die Tiefe. Dort wird es aufgewärmt, steigt als Gas wieder hoch. "Ein ewiger Kreislauf, der völlig von allein beginnt, sobald es oben kalt wird", sagt Feldmann. Kein Strom, keine komplizierte Technik, keine Wartung. "Eben ganz simpel", sagt der Ingenieur. Dennoch ist der Weg zum Patent nicht einfach, weil zurzeit gerade im Bereich Erdwärme viel geforscht wird. "Man muss höllisch aufpassen, dass Patente, besonders solche, die in andere Richtungen zielen, nicht den Weg versperren."

Mit mehren Eisenbahngesellschaften hat er inzwischen verhandelt, um den Prototyp zu optimieren. Die HPA wollte dann das erste Unternehmen sein, das dieses umweltfreundliche Verfahren in der Realität einsetzt. Auch weil Hamburg in diesem Jahr europäische Umwelthauptstadt ist. "Und auf lange Sicht wird diese Heizung deutlich günstiger sein, weil keine Energiekosten entstehen", sagt HPA-Sprecher Schwertner.

Noch ist das System keine Serie, und noch arbeiten die Ingenieure an Verbesserungen, testen im Hafen ihre Mechanik. Möglichst unter harten Bedingungen. Und ein paar kalte Tage, wieder Eis und Schnee - das könnten sie dazu sie schon gebrauchen.