1100 Meter unter der Meeresoberfläche treiben gigantische Ölschwaden mit der Unterwasserströmung durch den Golf von Mexiko

Golf von Mexiko. Allein die Bilder des Roboter-U-Boots "Sentry" aus den Tiefen des Golfs von Mexiko wirken bedrohlich. Während in 800, 1000 oder in 1490 Metern unter dem Meeresspiegel nur das übliche Graublau des Wassers zu sehen ist, erinnert die orangebraune Brühe in 1100 und 1200 Metern eher an naturtrüben Fruchtsaft, der gerade verfault. Als der Wissenschaftler Richard Camilli und seine Kollegen vom US-amerikanischen Woods-Hole-Meeresforschungsinstitut von einem Forschungsschiff aus ein Gestell mit verschiedenen Messgeräten in diese Tiefen ließen, bestätigten die über Kabel an die Oberfläche übermittelten Daten den Verdacht: Dort unten schwebt eine gigantische Wolke aus Öl.

Im Juni 2010 war sie mindestens 35 Kilometer lang, an einigen Stellen zwei Kilometer breit, 200 Meter hoch, und sie stammt eindeutig aus der havarierten Bohrung der "Deepwater Horizon". Vor allem ein Detail in der aktuellen Online-Veröffentlichung des Fachmagazins "Science" stimmt nachdenklich: Die Forscher finden in der Tiefe praktisch keine Hinweise dafür, dass Mikroorganismen die Ölwolke nennenswert abbauen. An der Oberfläche mögen die Ölteppiche zwar verschwinden, zumindest in den Tiefen des Golfs von Mexiko aber dürfte die orangebraune, giftige Brühe noch etliche Monate lang das Ökosystem Meer beeinflussen.

Die Forscher bestimmten den Anteil der aromatischen Kohlenwasserstoffe

Die Forscher hatten bereits Ende Mai und damit rund einen Monat nach der Explosion der Ölbohrinsel von der US-Küstenwacht die Erlaubnis erhalten, wenige Hundert Meter neben der Unglücksstelle das Wasser in der Tiefe genau zu untersuchen. In der Zeit vom 19. bis 28. Juni kamen dann das automatische U-Boot und die an einem Kabel hängenden Messinstrumente zum Einsatz. Beide waren mit einem Massenspektrometer ausgerüstet, mit dem sich die Konzentration verschiedener chemischer Substanzen nachweisen lassen.

Rohöl enthält normalerweise ein Gemisch verschiedener Kohlenwasserstoffe, ungefähr ein Prozent besteht aus bestimmten aromatischen Verbindungen wie Benzol und Toluol, die sich relativ einfach bestimmen lassen. Genau diese "BETX-Fraktion" (Benzol, Toluol, Ethylbenzol, Xylol) untersuchten die Forscher daher genauer.

Unterwasserströmungen tragen die Wolke jeden Tag rund 6,7 Kilometer weiter. Aus der BETX-Konzentration an einer Stelle der Ölwolke konnten die Forscher so ausrechnen, dass die havarierte Bohrung die Wolke jeden Tag mit 6400 Litern BETX fütterte. Da aus dem Bohrloch nach Annahmen der Forscher jeden Tag aber 8,4 bis 9,9 Millionen Liter Öl austraten, die ein Prozent BETX enthielten, landeten also nur sechs bis sieben Prozent dieser Substanzen in der Wolke. Wo der große Rest verblieb, wissen die Forscher nicht.

Eine weitere Rechnung beweist, dass die Wolke tatsächlich aus der havarierten Bohrung stammt: Alle natürlichen Quellen im gesamten nördlichen Teil des Golfs von Mexiko liefern an einem Tag zusammen nämlich nur 2200 Liter BETX.

In dieser Tiefe wird die Rohöl-Wolke nur sehr langsam zersetzt

Neben BETX maßen die Forscher auch Methan im Umfeld der Unterwasserwolke, das ebenfalls in Erdöl reichlich vorkommt. 35 Kilometer von der Unglücksstelle entfernt gab es aber nur 53 Prozent weniger Methan als 5,8 Kilometer entfernt. Daraus schlossen die Forscher, dass die Wolke sich in 1200 Meter Tiefe noch viel weiter ausdehnt, als es die Messungen zeigen. Diese mussten nämlich in 35 Kilometer Entfernung vom Bohrloch abgebrochen werden, weil Hurrikan "Alex" aufzog.

In dieser Entfernung aber hatte der Sauerstoffgehalt in der Wasserschicht mit der Ölwolke kaum abgenommen. Da Rohöl zwar durchaus von Mikroorganismen im Wasser abgebaut wird, diese dabei aber Sauerstoff verbrauchen, der kaum aus anderen Wasserschichten nachgeliefert wird, folgerten die Forscher: Im kalten Wasser der Tiefe wird das Öl nur sehr langsam zersetzt. "Es könnte also viele Monate dauern, bis die Mikroorganismen die Ölwolke signifikant abbauen", schreiben die Wissenschaftler in ihrem Bericht.

Für die Organismen der Tiefsee sind das schlechte Nachrichten. Gerade die BETX-Fraktion ist nicht nur sehr giftig, sondern löst auch Krebs aus. Ohnehin ist über die Auswirkungen von Ölwolken in größeren Wassertiefen praktisch nichts bekannt. Tiefseeforscher dürfte die "Deepwater Horizon"-Katastrophe noch länger beschäftigen.