Bis zu 60 Prozent des Öls im Golf von Mexiko wird auf den Grund sinken . Dem Meer droht akuter Sauerstoffmangel

New Orleans. Das riesige Ölleck am Meeresboden im Golf von Mexiko ist verstopft. Doch damit hat das Grauen noch kein Ende. Nach offiziellen Angaben strömten seit dem 20. April 670 000 Tonnen Rohöl in den Golf. Etwa ein Viertel davon wurde abgefangen oder an der Wasseroberfläche verbrannt. Bleibt eine halbe Million Tonnen (gut 580 Millionen Liter), die in die Umwelt gelangten. Die großen Ölteppiche sind zwar verschwunden. Doch ein Teil des Öls und seine Abbauprodukte werden dem Meer weiter zusetzen.

"Die Havarie ist weit draußen im Meer passiert. Man weiß bislang wenig darüber, wo das Öl geblieben ist. Bislang gibt es vor allem Untersuchungen nach Tankerunglücken in Küstennähe", sagt Jörg Feddern, Meeresbiologe bei Greenpeace. "Wir sind mit unserem Schiff ,Arctic Sunrise' auf dem Weg in den Golf, um zusammen mit Wissenschaftlern verschiedener Forschungsinstitute dieser Frage nachzugehen."

Fest steht: Das ausgetretene Rohöl namens Mississippi Canyon Block 252, kurz MS252, hat einen relativ niedrigen Schwefelgehalt und einen recht hohen Anteil von Kohlenwasserstoffen (Alkanen), die gut durch Bakterien abgebaut werden können. Es ist etwas weniger giftig als andere Rohöle, da sein Gehalt an PAKs (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) niedriger ist als im Durchschnitt. Diese Schadstoffe sind extrem langlebig, sie reichern sich deshalb in der Nahrungskette an.

Ein Teil des - relativ leichten - Rohöls hat das Meer längst verlassen. "In den ersten Tagen nach solch einer Havarie können bis zu 30 Prozent des ausgetretenen Öls verdampfen", so Feddern. Die kürzesten unter den Kohlenwasserstoffketten sind ohnehin gasförmig. Langkettigere, an der Oberfläche schwimmende Substanzen werden durch das Sonnenlicht zerteilt (Photooxidation). Hierbei entstehen wiederum kleinere, gasförmige Moleküle, etwa Propan und Butan, die verdunsten.

Die größte Reinigungswirkung dürften jedoch Öl abbauende Bakterien haben. "Es sind die richtigen Mikroben vor Ort, sie ernähren sich seit Jahrtausenden von Kohlenwasserstoffen", sagt Martin Krüger vom Arbeitsbereich Geomikrobiologie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Vor allem in den oberen Meeresschichten laufe der Abbau gut; Wassertemperaturen über 20 Grad seien ideal. Aber das große Fressen verschlingt viel Sauerstoff. Krüger: "Um einen Tropfen Öl abzubauen, wird der Sauerstoff von 80 bis 100 Liter Meerwasser benötigt."

Damit droht dem Meeresgebiet akuter Sauerstoffmangel. Er könnte jetzt zum größten Problem werden und werde aufmerksam beobachtet, so der Mikroben-Experte. "Wenn große Bereiche sauerstoffarm sind, so haben sesshafte Organismen und das Plankton schlechte Karten. Sie sterben ab, sinken zu Boden. Ihr biologischer Abbau zehrt dann zusätzlich Sauerstoff."

Fehlt Sauerstoff im Wasser, treten andere Bakterien auf den Plan. Auch sie fressen ein bisschen Öl, arbeiten aber 100-mal langsamer als die Sauerstoff liebenden Kollegen. Zudem produzieren die sogenannten anaeroben Bakterien giftige Stoffwechselprodukte, allen voran Schwefelwasserstoff. Er setzt den Meeresbewohnern weiter zu. Doch selbst wenn - etwa durch künstliche Belüftung - ausreichend Sauerstoff vorhanden wäre, gäbe es einen zweiten Engpass: Das Meer ist von Natur aus recht nährstoffarm. Der Bakterienschar fehlen wichtige Nährstoffe, vor allem Stickstoff und Phosphat.

Es spreche einiges dafür, dass sich derzeit noch große Ölfahnen einige Meter unterhalb der Wasseroberfläche befinden, fürchtet Jörg Feddern. Ein Indiz seien winzige Öltröpfchen, die in Krebslarven gefunden wurden. Die Larven treiben frei im Wasser.

Weiteres Öl ist bereits in den ersten Tagen verwittert. Sonne, Wind und Wellen machten aus den aufschwimmenden Ölfilmen ein rot-braunes, puddingartiges Gemisch, das die Fachwelt Mousse nennt. Es ist dicker und klebriger als Rohöl. Die Naturgewalten zerren weiter am Pudding, bis sich schließlich etwa münz- bis linsengroße Teerklumpen bilden. Die meisten sinken zu Boden. Einige werden an die Küsten angespült und ärgern dort Strandläufer, wenn sie an den Fußsohlen kleben. An den 1030 Kilometer verschmutzten Stränden seien insgesamt einige Zigtausend Tonnen Öl und dessen Abbauprodukte angelandet, schätzt Feddern.

Teerklumpen sind generell schwer abbaubar, vor allem dann, wenn sie mit einer Kruste aus Sandkörnern und anderen Kleinteilen umgeben sind. Krüger: "Einige werden vollständig von Sediment überdeckt und damit vom Sauerstoff abgeschlossen. Dann kann der Abbau Jahrhunderte dauern." Passiert dies an Stränden, so bilden sich sogenannte Teermatten. "Sie halten ewig", so Greenpeace-Biologe Feddern. "Nur einzelne, im Sediment lebende Würmer und Muscheln durchbohren die Schichten und bringen den für den Abbau notwendigen Sauerstoff hinein."

Etwa 40 bis 60 Prozent des nicht abgefackelten oder aufgefangenen Öls wird letztendlich am Meeresboden enden, schätzt Krüger. Die Mengen, die von Tieren und Pflanzen aufgenommen werden, seien bei dieser Massebilanz vernachlässigbar, so Krüger. Aber natürlich geht die Ölpest nicht spurlos an den Meeresbewohnern vorbei.

Nehmen Vögel, Meeressäuger, Fische, Krebse oder Muscheln sehr viel Öl auf, so sterben sie und sinken zu Boden. Sind die Mengen geringer, so dringen sie in die marine Nahrungskette ein. Feddern: "Filtrierer wie Muscheln lagern die Schadstoffe ein und geben sie an ihre Fressfeinde weiter. Untersuchungen nach der ,Exxon-Valdez'-Katastrophe vor Alaska haben gezeigt, dass Seeotter und einige Entenarten sich deutlich schlechter vermehren, weil sie über ihre Nahrung schleichend vergiftet werden. Sind Muscheln nur kurz den Schadstoffen ausgesetzt, können sie sich in frischem Wasser sauber spülen. Nach ein paar Wochen haben sich die PAKs aber im Fettgewebe eingelagert."

Austern und Muscheln seien besonders anfällig, weil ihr Stoffwechsel die PAKs nur schlecht abbauen kann, betont die US-Fischereibehörde. Krustentiere (Garnelen, Krabben) haben eine mittlere Abbaukapazität, bei Fischen ist sie recht hoch. Dennoch ist die Fischerei im Golf noch großflächig verboten, angelandetes Meeresgetier wird überprüft. Beide Maßnahmen müssten weitergeführt werden, fordert Feddern. "Nach der Bohrinselhavarie Ixtoc 1979 blieben einige Areale vor Texas zwei Jahre lang für die Fischerei gesperrt."