Regelmäßiger Genuss von Nikotin verändert die Molekularbiologie von Gehirnzellen und erhöht so die Anfälligkeit für die stärkere Droge.

New York. Es ist eine klassische Drogenkarriere: Mit 13 die erste Zigarette, mit 18 Kettenraucher und mit 25 kokainabhängig. Dass eine solche Entwicklung nicht nur sozial bedingt, sondern Folge biologischer Prozesse ist, vermutet ein prominentes Forscherteam nach jüngsten Experimenten mit Mäusen. Es sei kein Zufall und habe wohl auch weniger als gedacht mit einer bestimmten Persönlichkeit zu tun, dass die meisten Kokainabhängigen zuvor Raucher waren, behaupten der Neurobiologe und Nobelpreisträger Eric Kandel, seine Frau Denise und acht weitere an der Studie beteiligte Forscher.

Die Zigaretten scheinen sogar schuld an dem Zusammenhang zu sein. Das regelmäßige Inhalieren von Nikotin führt zu tief sitzenden und bleibenden Veränderungen in bestimmten Gehirnzellen. "Das Nikotin öffnet dem Kokain sozusagen Tür und Tor", zitiert der Onlinedienst wissenschaft.de den 82-jährigen Kandel, der mit seiner Frau an der Columbia University in New York die Drogensucht erforscht. Epidemiologen wissen schon lange: Fast immer besteht vor einer Sucht nach Heroin oder Kokain ein längerer Konsum von Alkohol und Nikotin.

Die neuen Experimente zeigen jetzt, was dabei auf molekularbiologischer Ebene passiert. Die Forscher verabreichten Mäusen entweder zunächst über längere Zeit Nikotin und dann Kokain oder umgekehrt. Ohne Vorbehandlung mit dem Zigaretteninhaltsstoff trieb Kokain kaum eine Maus in die Abhängigkeit. Mit Nikotin als Einstiegsdroge habe sich das Suchtverhalten der Tiere drastisch gesteigert, schreiben die Forscher im Journal "Science Translational Medicine". Bei der Suche nach den Ursachen wurden sie in Nervenzellen des Striatums fündig. Hier befinden sich zum Beispiel unsere Motivationszentren, die Nuclei Accumbentes, die für Suchtreaktionen sehr wichtig sind. Sie entscheiden maßgeblich, wann unser Gehirn glücklich machende Belohnungssubstanzen wie Serotonin oder Dopamin ausschüttet und wie dringend es sie benötigt. Damit bestimmen sie aber auch die Intensität, mit der wir nach ebendieser Belohnung streben, sprich wie süchtig wir sind.

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Letztlich sind es die Zellen dieser Motivationszentren im Gehirn - ihre Molekularbiologie und ihre Vernetzung mit anderen Gehirnregionen -, die speichern, welche unserer Handlungen größtmögliche und rasche Belohnung in Form einer glücklich machenden Veränderung der Hirnchemie verspricht: die Befriedigung klassischer Triebe wie Essen, Trinken oder Sex - aber auch das Konsumieren einer Droge.

Das Team um die Eheleute Kandel entdeckte, dass Nikotin dieses molekularbiologische Gedächtnis der Zellen des Striatums entscheidend verändert. Nikotin hemmt dort ein Enzym aus der Gruppe der Histondeacetylasen. Diese Substanzen entfernen bestimmte chemische Marker (Acetylgruppen) von Histonen. Um diese Proteine ist der Erbgutstrang DNA mehr oder weniger fest wie um Kabeltrommeln aufgewickelt. Ohne Acetylgruppen binden sie sich besonders fest an die DNA, was einen wichtigen Effekt hat: In betroffenen DNA-Abschnitten können kaum noch Gene abgelesen werden.

Indem Nikotin die Enzyme hemmt, lockert es die Bindung zwischen Kabeltrommeln und DNA und macht Gene so leichter aktivierbar. Dazu zählt auch eins, das für die Kokainsucht wichtig ist. Das Gen FosB vermittelt die süchtig machende Wirkung von Kokain. Denn die Droge löst das Ablesen von FosB aus und damit eine Reaktionskaskade, die neuen Erkenntnissen zufolge in der Abhängigkeit endet. Übertragen auf den Menschen heißt das natürlich nicht, dass jeder Raucher ein Junkie wird. Aber gelegentliche Drogenkonsumenten haben ein höheres Abhängigkeitsrisiko, wenn sie Raucher sind.

Mit Veränderungen auf oder neben der DNA beschäftigt sich die Epigenetik. Epigenetische Schalter - wie etwa Acetylgruppen an den Histonen - entscheiden über Eigenschaften einer Zelle, indem sie diese regelrecht umprogrammieren. Die Bedeutung der Epigenetik für das Suchtverhalten untersucht das Team des Psychiaters Eric Nestler von der Mount Sinai School of Medicine in New York. Nestler behauptet, Sucht sei "größtenteils ein epigenetisches Phänomen". Und er lieferte in zwei Studien, veröffentlicht in den Journalen "Science" und "PNAS", Belege dafür. Kokain verändere "dramatisch" die epigenetischen Schalter in den Nervenzellen unserer Motivationszentren, schreibt Nestler. Das führe "zu langfristigen Veränderungen des Gehirns" und in die Drogenabhängigkeit.

Die beiden Erics aus New York hoffen nun auf neue Wege zur Bekämpfung der Drogensucht. Nestler denkt an Medikamente, die Nervenzellen Abhängiger in den Zustand zurückprogrammieren, den sie vor der Sucht hatten. Kandel überlegt, ob man mit einem gezielten Gegenmittel den bahnenden Effekt des Nikotins kompensieren könne.