Ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge sollen die Lecks der gesunkenen Ölplattform schließen. So etwas hat noch niemand versucht

Grenztechnologie. Als solche bezeichnet Dr. Christian Bussau die Technik, die auf Bohrinseln eingesetzt wird. "Sie ist absolut einzigartig, hoch spezialisiert und eigentlich nur noch mit der Technologie in der Raumfahrt zu vergleichen", sagt der Biologe und Ölexperte von Greenpeace. "Aber sie bewegt sich hart an der Grenze des technisch Machbaren." Und so komme es, dass die Arbeiten zum Abdichten der Lecks an der vor einer Woche nach einer schweren Explosion in Brand geratenen und zwei Tage später gesunkenen Bohrinsel "Deepwater Horizon" im Golf von Mexiko die Experten vor viele Fragen stellten. Bussau: "Für solche Unfälle gibt es keine Erfahrungswerte." Ein Wettlauf gegen die Zeit hat begonnen.

Das Öl - zurzeit etwa 160 000 Liter pro Tag - tritt nach Angaben von BP an zwei Stellen in 1500 Meter Tiefe aus: am letzten Bohrloch der versunkenen Plattform und aus einem Leck in einer Rohrverbindung, die zu dem Bohrloch führt. Die Experten hatten gehofft, dass ein automatisches Ventil-Verschlusssystem einen Ölaustritt verhindern würde - was offensichtlich nicht funktioniert hat. Jetzt sind vier sogenannte ROVs (Remotely Operated Vehicle), kabelgeführte Unterwasserfahrzeuge, im Einsatz, um das Verschluss-System zu aktivieren.

Doch ihr Einsatz ist nicht einfach. "Die Tiefe macht ihnen zwar nichts aus, aber das ausströmende Öl und Gas sind das Problem", sagt Dr. Friedrich Abegg, wissenschaftlicher Leiter des "ROV Kiel 6000" am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR). "Öltropfen können sich auf den Gläsern der Kamera festsetzen und das Objektiv verschmieren. Das kann den Einsatz unmöglich machen." Das zusätzlich austretende Gas könne einen starken, vertikalen Strom auslösen, gegen den die ein- bis eineinhalb Tonnen schweren und ein bis zwei Millionen Euro teuren Fahrzeuge anarbeiten müssten.

Doug Suttles, ein Hauptverantwortlicher für die Rettungsaktion bei BP, äußerte sich bereits skeptisch: "Die Aktion ist sehr komplex und möglicherweise nicht erfolgreich." Die ROVs sollten versuchen, das Bohrloch mit einer 450 Tonnen schweren Vorrichtung zu verschließen. "Im Prinzip versuchen sie, einen Korken in eine Champagnerflasche zu stecken", erklärte Ingenieur Richard Metcalf dazu. Noch ein heikler Punkt: "Wenn die gesunkene Plattform auf den Rohren draufliegen würde, aus denen Öl strömt, wäre das der ungünstigste Fall für die Arbeit der ROVs", sagte Abegg.

Ein weiterer Versuch, das Leck einzudämmen, würde zwei bis drei Monate dauern. Dabei müsste ein Nebenzugang zu dem Bohrloch geschaffen werden, um es zu schließen. Noch nie zuvor sei eine solche Aktion so tief im Meer ausprobiert worden, meinte Suttles. "Daher müssen wir vorsichtig sein."

Als weitere Variante könnten die BP-Experten versuchen, eine kuppelartige Konstruktion über das Bohrloch zu stülpen. Das austretende Öl könnte dann in einen Tank an die Meeresoberfläche geleitet werden.

Doch bisher behindern starke Winde und hohe Wellen alle Arbeiten - auch die der Schiffe, die versuchen, mit Chemikalien den Ölteppich auf der Meeresoberfläche einzudämmen und das Öl aufzusaugen. Etliche Schiffe mussten wegen des schweren Seegangs bisher im Hafen von Venice in Louisiana bleiben.

Auf Satellitenaufnahmen war zu sehen, dass sich der Ölteppich am Sonntag um die explodierte Ölplattform innerhalb eines Tages um die Hälfte auf mehr als 1500 Quadratkilometer vergrößert hatte. Die Ölpest bedroht die Küsten der US-Bundesstaaten Louisiana, Alabama und Mississippi.

"Das ausgetretene Öl richtet auf viele unterschiedliche Weisen Schäden in der Natur an", sagt Bussau. "Ein Teil des sehr giftigen Öls sinkt auf den Meeresboden. Dort sterben die Organismen ab. Ein weiterer Teil steigt mit der Wassersäule auf und verteilt sich so großflächig." Der Planktongürtel im Wasser, Nahrungsgrundlage aller Fische, würde so erheblich geschädigt. "Schließlich treibt das Öl auf der Meeresoberfläche und bildet einen Teppich, in dem sich landende Wasservögel verunreinigen und dadurch sterben können", so Christian Bussau.

Noch ist das ausgelaufene Öl 45 Kilometer von der Küste Louisianas entfernt. Bei der bisher schlimmsten Ölpest in der Geschichte der Vereinigten Staaten, dem Untergang des Tankers "Exxon Valdez" 1989, hatten rund 50 000 Tonnen Öl die Küste im Süden Alaskas auf einer Länge von fast 2000 Kilometern verseucht.

Die Suche nach den elf vermissten der mehr als 120 Arbeiter der 2001 gebauten Bohrplattform ist mittlerweile erfolglos eingestellt worden. Das Unglück könnte auch politische Auswirkungen haben: Erst kürzlich hatte US-Präsident Barack Obama in einer energiepolitischen Kehrtwende Ölbohrungen vor den Küsten genehmigt. Er begründete dies unter anderem mit neuen Technologien.