Ein Fahrer wendet im Gotthardtunnel, ein anderer steuert in den Main: Blindes Vertrauen in die Technik rächt sich. Wer gestresst am Steuer sitzt, gilt als besonders gefährdet.

Die schwedischen Touristen landen im norditalienischen Carpi statt auf der berühmten Insel Capri. Ein Autofahrer wendet mitten im zweispurigen Gotthardtunnel. Ein junger Mann steuert seinen voll besetzten Kleinwagen an der Anlegestelle einer Autofähre bei Offenbach in den Main. Sie alle folgten blind den Anweisungen ihrer Navigationsgeräte. "Viele vertrauen dem Gerät mehr als dem gesunden Menschenverstand", sagt der Verkehrssoziologe Alfred Fuhr.

Der Braunschweiger Verkehrspsychologe Fritz Meyer-Gramcko macht die mangelnde Fähigkeit vieler Autofahrer, Karten lesen und sich ohne technische Hilfsmittel orientieren zu können, für die immer häufigeren Zwischenfälle verantwortlich, bei denen Navis ihre technikgläubigen Fahrer ins Unglück locken. "Und wer diese Kompetenzen noch besitzt, verliert sie, wenn er sich nur noch auf das Gerät verlässt", sagt Meyer-Gramcko.

Der Lkw-Fahrer, der seinen 7,5-Tonner fünf Kilometer weit in den Arnsberger Wald steuerte, bis er auf einem matschigen Weg stecken blieb, und der Mann aus dem niedersächsischen Soltau, der Verkehrsschilder und Sperrbaken ignorierte, bis er mit seinem Lieferwagen in einer Baustelle festsaß - beide ließen es ihrem "virtuellen Beifahrer" gegenüber am nötigen Misstrauen fehlen. "Es gibt die fatale Tendenz, sich auf das Fahrerassistenzsystem zu verlassen", sagt Meyer-Gramcko. "Diese entbinden den Menschen aber nicht von seiner Verantwortung als Fahrzeugführer."

Die Navigationsgeräte funktionierten halt meistens tadellos und so entstehe ein "Vertrauensverhältnis" zum Fahrer, sagt der Verkehrssoziologe Fuhr vom Automobilclub AvD. Er sieht hinter den häufig skurrilen Vorfällen aber meistens eine ganze Fehlerkette. Viele Fahrer seien gestresst und abgelenkt und verließen sich dann ganz automatisch auf ihr Navi. Keime bei ihnen ein erster Verdacht, sich auf Abwegen zu befinden, vermuteten sie zunächst einmal eine Umleitung. Werde ihnen irgendwann klar, dass sie sich verfahren hätten, könnten sie oft nicht mehr umdrehen und müssten weiterfahren.

Meyer-Gramcko weist darauf hin, dass die Geräte mitunter falsch bedient oder eingestellt würden. "Der Umgang mit diesen Systemen stellt eine logische Herausforderung dar, die in Fahrschulen unterrichtet werden sollte", sagt der Verkehrspsychologe. Die meisten Fahrlehrer unterwiesen ihre Schüler aber heute schon in die Fahrerassistenzsysteme, heißt es bei der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände. Im Grunde zeigten sich bei den Navi-Zwischenfällen, deren Zahl sich mit der massenhaften Verbreitung der Geräte häuft, die menschlichen Defizite des Fahrers, wie Selbstüberschätzung oder schlichte Bequemlichkeit, meint Fuhr. "Die Vorbereitung auf eine Reise, die Planung der Route und das Studieren der Karte, fällt völlig weg", sagt der Verkehrssoziologe. "Durch die Navigationsgeräte sind die Menschen virtueller unterwegs und nehmen die reale Welt außerhalb des Fahrzeugs nur noch über Sensoren wahr." Der Fahrer werde im Straßenverkehr ohnehin von Informationen überflutet, von denen er nur einen Bruchteil verarbeiten könne, sagt der Psychologe Meyer-Gramcko: "Wir Menschen sind ja eigentlich nur für Geschwindigkeiten von sechs Stundenkilometern gebaut."