Die Forscher entdeckten, wie Zellen altern, und was passiert, wenn diese Reaktion aus dem Ruder läuft. Ihre Erkenntnisse beflügeln die Alters-, Krebs- und Stammzellforschung.

In jeder Zelle tickt eine molekulare Uhr und manche Zellen können diese Uhr immer wieder aufziehen. Die drei US-Biologen Elizabeth Blackburn (61), Carol Greider (48) und Jack Szostak (57) entdeckten, was die Zelle altern lässt und was passiert, wenn diese Reaktion aus dem Ruder läuft. Dafür wurden sie gestern mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt. Das Preisgeld von knapp einer Million Euro teilen sich die drei.

"Ihnen gelang eine epochale Entdeckung", sagte Prof. Jörg Hacker dem Abendblatt. Der renommierte Molekularbiologe, noch Präsident des Robert-Koch-Instituts, wird im Frühjahr 2010 Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften. "Die Telomer- und Telomerase-Forschung ist eines der wichtigsten Gebiete. Es liefert wichtige Ansätze für Therapien gegen Krebs und die Stammzellforschung."

Der Weg dahin war weit. Die heutige Telomer-Forschung, so schrieben die beiden Nobelpreisträgerinnen vor gut zehn Jahren in "Spektrum der Wissenschaft", fuße auf Experimenten, die in den Dreißigerjahren durchgeführt worden sind. Unabhängig voneinander und an jeweils anderen Organismen erkannten die US-Biologen Barbara McClintock (Universität von Missouri) und ihr Landsmann Hermann Muller (Universität Edinburgh), dass bestimmte Endabschnitte der Chromosomen diesen Stabilität verleihen. Gingen die "Schutzkappen" verloren, veränderte sich die Struktur der Chromosomen dramatisch. "Erhalt und korrekte Weitergabe der Erbinformation und somit das Überleben der Zellen waren nicht mehr gewährleistet." Wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, variiert von Zelltyp zu Zelltyp, von Zelle zu Zelle. Deshalb altern Menschen nicht über Nacht, sondern die Haut erschlafft allmählich, wir ergrauen langsam.

1982 entdeckten Elizabeth Blackburn und Jack Szostak, dass eine bestimmte DNA-Sequenz in den Telomeren die Chromosomen vor der Degenerierung schützt. "TTAGGG", so lauten die Buchstaben, die jetzt mit dem Nobelpreis geehrt wurden. Nur zwei Jahre später, Weihnachten 1984, identifizierten Elizabeth Blackburn und ihre damalige Doktorandin Carol Greider das Enzym, das die Telomere bildet. Heute wird dieses Enzym, die Telomerase, auch "Unsterblichkeitsenzym" genannt.

Es steht auch im Mittelpunkt der Forschungen der Körber-Preisträgerin 2008, Prof. Maria Blasco vom Spanischen Krebsforschungszentrum (CNIO) in Madrid. Sie befasst sich dabei mit der "dunklen Seite" der Telomerase: Denn das Enzym hält die Krebszellen bei 90 Prozent aller Krebsformen am Leben, weil es die Telomere immer wieder verlängert, sodass die Zellen nicht absterben, erläuterte sie auf dem Wissenschaftsforum von Abendblatt und NDR 90,3. Wenn sie das Enzym bei Mäusen ausschaltete, dann bekamen die Tiere trotz krebserregender Tinkturen keinen Hautkrebs - aber sie starben früh an Herzversagen.

Inzwischen haben Forscher gelernt, diese Struktur im Erbgut zu nutzen, um das Risiko für Herzinfarkt zu bestimmen oder bei Blutkrebs "eine Prognose zu machen, wie weit die Krankheit bei einem Patienten fortgeschritten ist", berichtete der ehemalige UKE-Mediziner Prof. Tim Brümmendorf auf dem Wissenschaftsforum. Dazu nutzen die Forscher eine einfache Technik: Die Telomere bestehen aus kleinen, sich wiederholenden Schnipseln von Nukleinsäuren. Und gegen jedes Schnipsel kann man ein Anti-Schnipsel basteln, das mit einem fluoreszierenden Molekül beladen wird. Nachdem Schnipsel und Anti-Schnipsel sich verbunden haben, werden sie bestrahlt, dann sieht man quasi kleine Glühwürmchen. Je mehr sie leuchten, desto länger ist das Telomer.

Von einem gezielten Eingriff, um die Alterungsprozesse in den Zellen zu stoppen oder Krebs zu heilen, sind die Forscher noch weit entfernt. Doch eines wissen die Forscher bereits jetzt: Der Lebensstil verändert die Aktivität der Telomerase. So scheint psychischer Stress ihr Wirken ungünstig zu beeinflussen - der 100. Nobelpreis der Medizin ist also auch eine Aufforderung zu mehr Gelassenheit.