Berlin. Schlaganfall-Patienten müssen so schnell es geht in eine Klinik. Dabei geht es nicht nur ums Überleben, sondern auch um Folgeschäden.

Fritz Bayer steht mit seinen 74 Jahren voll im Leben – ist Vorstand eines Sportvereins, singt im Lehrerchor, hilft, wo er kann. Dass das möglich ist, verdankt er seiner Frau und seinem Willen.

Neun Jahre ist es her, da saß der pensionierte Lehrer am Computer. Seine Frau war bei ihm und merkte, dass sein linker Mundwinkel herabfiel. „Ich bin aufgestanden und hatte plötzlich auch keinen Halt mehr im linken Bein“, erzählt Bayer. „Ich hatte doppelt Glück: Meine Frau hat bemerkt, dass etwas nicht stimmt, und mein Nachbar ist gleichzeitig mein Hausarzt.“ Der erkannte, dass es sich um einen Schlaganfall handelte, und reagierte sofort.

Wie wichtig es ist, bei den ersten Anzeichen für einen Schlaganfall schnell zu handeln, betont auch Prof. Gereon Fink, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und Experte im Bereich der Neurorehabilitation: „Jede Minute zählt.“ Bei einem Schlaganfall gehe es nicht nur um Leben und Tod, sondern auch darum, wie stark die bleibenden Schäden seien, die ein Schlaganfall-Patient davontrage, wenn er diesen überstehe.

Das sind typische Schlaganfall-Symptome

Laut aktuellen Zahlen bleibt die Hälfte der Überlebenden ein Jahr nach dem Ereignis dauerhaft behindert und ist auf fremde Hilfe angewiesen. Das A und O sei, sofort den Rettungsdienst zu alarmieren und nicht etwa erst zum Hausarzt zu gehen. „Lieber ruft man einmal zu viel die 112“, so Fink.

Zu den typischen Schlaganfall-Symptomen gehören neben dem hängenden Mundwinkel und der Taubheit einer Körperhälfte wie bei Fritz Bayer auch Lähmungen, Sehstörungen wie plötzliches Erblinden eines Auges oder ein eingeschränktes Sichtfeld, Sprach- oder Koordinationsstörungen. Gelegentlich könne es laut der Experten außerdem zu Schwindel oder Kopfschmerzen kommen.

„Ein ganz einfacher Test für Laien ist der sogenannte FAST-Test, bei dem man drei Sachen prüft“, erklärt Prof. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Vorstand der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft. „Man schaut, ob das Gesicht irgendwie verschoben aussieht, wenn man jemanden auffordert zu lächeln, ob ein Arm absinkt, wenn beide nach vorne gehalten werden, und ob beim Nachsprechen die Sprache nicht flüssig herauskommt.“ Trifft einer der drei Punkte zu und ist er akut aufgetreten, ist der Test positiv. Dann sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Schlaganfall vorliege.

Rund 300 zertifizierte Schlaganfall-Stationen in Deutschland

So war es bei Bayer, und das Rettungssystem griff schnell: „Innerhalb von zwei Stunden war ich auf der damals nächstgelegenen Schlaganfall-Station.“ Diese war allerdings noch knapp 50 Kilometer entfernt. Heute wären es nur noch gut 20 Kilometer, denn die Anzahl der sogenannten Stroke Units ist in den letzten Jahren stetig gestiegen.

Nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe, die Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite steht, gibt es aktuell rund 300 dieser zertifizierten Schlaganfall-Stationen – flächendeckend über Deutschland verteilt. Durch diese verbesserte Versorgung haben sich laut Schäbitz auch die Heilungschancen nach einem Schlaganfall in den letzten 15 Jahren kontinuierlich verbessert.

Hinzu kämen spezielle Therapien, die den Verlauf eines Schlaganfalls positiv beeinflussen. „Das ist zum einen die Lyse-Therapie, die 20 bis 25 Prozent aller Schlaganfall-Patienten an den Stroke Units bekommen, und die sogenannte Thrombektomie.“

Thrombektomie verbessert die Heilungschancen deutlich

Bei der ersten Methode bekommt der Patient nach einer Untersuchung des Gehirns eine Infusion, um die hirnversorgenden Blutgefäße zu öffnen. Denn zu einem Schlaganfall kommt es durch den plötzlichen Verschluss ebendieser wegen eines Blutgerinnsels. Die Folge: Die Sauerstoff- und Glukoseversorgung ist beeinträchtigt, und Hirnzellen sterben ab. Bei der zweiten Methode wird ein Katheter über die Leiste zum Gehirn geführt und die Verstopfung so gelöst. Das Verfahren ist relativ neu. „Seit etwa drei Jahren wird es flächendeckend genutzt, und das bei aktuell drei bis fünf Prozent aller Patienten“, so Schäbitz.

„Gerade wenn eine größere gehirnversorgende Arterie verschlossen ist, dann zieht man eine Thrombektomie in Betracht, da sie die Heilungschancen deutlich verbessert.“ Doch der Erfolg, wie gut Betroffene nach einem Schlaganfall zurück in ihr altes Leben finden, hänge nicht nur von der Akutbehandlung, sondern auch von der Größe und dem Bereich des geschädigten Hirnareals ab, so die Experten. „Das wird selbst dann gelten, wenn man noch effektivere Behandlungsmethoden entwickelt hat“, so Neurologe Fink.

270.000 Menschen in Deutschland erleiden pro Jahr einen Schlaganfall

Aber auch Neuerungen im Bereich der Neurorehabilitation hätten die Heilungschancen für Patienten in den letzten Jahren erhöht, erklärt Fink. Die Reintegration Betroffener – auch ins Berufsleben – werde immer erfolgreicher. Mit den besseren Therapiemethoden allein käme man aber nicht weit. „Die Motivation des Schlaganfall-Patienten ist nach wie vor ein extrem wichtiger Aspekt“, betont Fink. Und die ist bei jedem der rund 270.000 Menschen in Deutschland, die pro Jahr einen Schlaganfall erleiden, unterschiedlich stark.

„Ich wollte nicht krank sein. Ich habe geübt und geübt“, beschreibt Fritz Bayer seine Zeit nach dem Schlaganfall. „Ich habe Gedächtnisübungen gemacht, habe gelesen, Zusammenfassungen geschrieben und so meine Sprache und Geistesstärke wieder geschult.“ Heute kann er wieder problemlos Gespräche führen, und auch motorisch kommt er gut zurecht – wenn auch mit Einschränkungen. „Ich gehe nicht mehr automatisch, sondern setze jeden Schritt ganz bewusst“, erklärt Bayer. „Und das wirkt dann manchmal gekünstelt oder roboterhaft. Aber ohne Willen wäre das bei mir gar nichts geworden.“

Robotergestützte Systeme für die Motorik

Heute könne Patienten wie Bayer ergänzend durch Medikamente aus dem Bereich der Antidepressiva geholfen werden, so Fink. „Deren positiver Effekt auf die Lernfähigkeit des Gehirns ist unabhängig davon, ob es nach einem Schlaganfall zu einer Depression kommt oder nicht.“ Außerdem habe sich im Bereich von computerbasierten Lernprogrammen viel getan. Diese könnten mittlerweile ergänzend zu Hause ohne Therapeut genutzt werden, um unter anderem die Gedächtnisleistung, die Sprache oder auch die räumliche Wahrnehmung eines Patienten zu verbessern.

Zur Schulung der Motorik, wenn beispielsweise das Laufen wieder erlernt werden muss, seien neue, roboter-gestützte Systeme vielversprechend und zeigten gute Erfolge, resümieren die Experten. Fritz Bayer setzt erst mal weiter auf die klassische Ergotherapie, um sein Gangbild weiter zu verbessern. Seine Hoffnung: dass es vielleicht doch irgendwann wieder mit „seinem geliebten Sport“, dem Tennis, klappt. „Im Stand kann ich zwar noch spielen, aber richtiges Tennis ist das eben auch nicht.“