Warum die „Kulturelle Landpartie“ im Wendland stets Zigtausende begeistert – und weshalb ein Mühlenpark dafür trotzdem nicht öffnet.

„Ich lese gern Ihre Artikel im Hamburger Abendblatt. Zur ,Kulturellen Landpartie‘ bin ich im Wendland und würde mir gern Ihren Mühlenpark ansehen. Ist das möglich?“ Das schrieb mir vor einigen Tagen eine Leserin. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele solcher Briefe ich schon bekommen habe, seit ich diese Kolumne schreibe – fast viereinhalb Jahre, jede Woche, macht, Pi mal Daumen, etwa 225 „Briefe aus der Mühle“. Und ich freue mich über jeden Leserbrief. Besonders natürlich, wenn er auch Lob enthält. Beifall ist nicht nur das liebste Brot des Künstlers, sondern auch des Kolumnisten. Ich weiß aber wirklich nicht, wie oft ich den Wunsch nach einem Besuch in unserem kleinen Mühlenpark im Wendland schon ablehnen musste.

Das hat, an erster Stelle, mit dem Wunsch nach Privatheit zu tun. Vor allem bei meiner Frau Anke. Die war schon schwer davon zu überzeugen, überhaupt in der Kolumne erwähnt zu werden. Sie wollte partout „nicht in die Zeitung“, wie das schön heißt. Obwohl ich selber Journalist bin – oder weil? So richtig überzeugt war Anke erst, als ich sie einmal über mehrere Kolumnen nicht erwähnt hatte und sofort Leserinnen (!) anfragten: „Ist was mit Anke?“ Da war sie dann doch gerührt und überzeugt.

Nun leben wir nicht ein einsames Leben auf unserem Mühlengrundstück

Aber als dann auch Anfragen kamen, ob ich nicht einmal ein Bild von ihr veröffentlichen könnte, winkte sie gleich ab: „Bitte nicht!“ Ich kann das verstehen. Zitiert zu werden ist eine Sache. Öffentlich identifizierbar zu sein, wenn man keine öffentliche Funktion hat, eine ganz andere. Ich bin seit 46 Jahren Journalist, gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen. Mit meinem Namen, meinem Gesicht, für Meinungen in politischen Leitartikeln zum Beispiel. Übrigens: Anke, eine moderne selbstbewusste Frau, hat bei unserer Heirat ihren Namen behalten, ist also auch nicht über mich öffentlich identifizierbar.

Nun leben wir nicht ein einsames Leben auf unserem Mühlengrundstück. Freunde besuchen uns, Nachbarn. Immer gibt es einen privaten Bezug – auch wenn Freunde eigene Freunde mitbringen. Die Nachbarn aus dem Dorf zeigen Verwandten gern mal unseren Mini-Park. Die dürfen das – sogar wenn wir nicht da sind. Dazu muss ich sagen, dass die Besucherzahl schon deshalb überschaubar ist, weil unser Dorf so mini ist wie unser Mühlenpark. Es gibt nur sieben Familien, uns eingerechnet.

Aber halt, Ausnahmen bestätigen hat die Regeln

Manchmal halten Ausflügler an, die der Zufall zu uns führte. Manche fragen: „Dürfen wir mal rumgehen, nur von außen, und gucken?“ Die führe ich, man ist ja nicht unhöflich, auch gern mal rum. In den Kolumnen habe ich noch nie geschrieben, wo die Mühle im Wendland ist, nicht mal die Namen von Nachbardörfern erwähnt. Wir haben auch schon Mühlenfeste mit mehr als 100 Gästen gefeiert. Manche kamen sogar aus Berlin, Köln, Leipzig oder Bonn. Städte, in denen Anke oder ich mal berufliche Stationen hatten.

Wenn ich einmal den letzten „Brief aus der Mühle“ schreibe, gibt es ein Foto von Anke und mir in unserem Mini-Park. Versprochen. Vielleicht sogar einen Tag des offenen Gartens. Bislang haben wir entsprechende Anfragen stets abgewiesen. Womöglich habe ich auch nur Angst vor den kritischen Blicken anderer Hobbygärtner. Ich stelle mir das schlimmer vor als den Besuch von Schwiegermüttern. Da muss auch alles picobello sein. Meine alte Freundin und Kollegin Paula Almqvist, selber begnadete Gärtnerin und Kolumnistin, hat in dem wunderbaren Büchlein „Und wer gießt bei dir?“ über die schlaflosen Nächte vor ihrem ersten eigenen Tag des offenen Gartens berichtet. Schrecklich. In der Nacht zuvor hat sie noch in Panik das Wasser eines kleinen Teiches ausgetauscht. Ich glaube, das könnte mir auch passieren.

Die mittlerweile 29. „Kulturelle Landpartie“

Jetzt haben sich wieder Freunde angesagt. Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten findet nämlich die mittlerweile 29. „Kulturelle Landpartie“ statt. Bis zu 80.000 Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet werden erwartet. Fast so viele wie zu einem Konzert der Rolling Stones in Hamburg. Nur verteilt über mehrere Tage und 107 Ausstellungsorte mit etwa 1000 einzelnen Veranstaltungen. Wenn die Künstler und Kunsthandwerker ein „Fest des Lebens und der Sinne“ feiern, ist das auch nicht so laut wie bei den Stones. Garantiert. Es gibt Malerei und Skulpturen in ehemaligen Ställen und Bauernhöfen, Theater und Musik in alten Scheunen und Bio-Essen auf alten Höfen. Das zwölftägige Event hat seine Wurzeln im politischen Widerstand gegen das Atommülllager Gorleben und ist das größte selbst organisierte Kulturfestival Deutschlands. Anteilige Erlöse fließen in die Kasse der Gorleben-Gegner. Am schönsten sind Rundtrips per Fahrrad. Unter www.kulturelle-landpartie.de gibt es Programme und Routen.

Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth