Stockholm trägt als erste Stadt den Titel Europäische Umwelthauptstadt. Beim Blick auf die Stadtstruktur zeigt sich ein Mosaik aus grün.

Ein eiskalter Wind fegt die letzten Blätter von den Bäumen im städtischen Nationalpark. Die ersten Schneeflocken fallen. Im Herbst ist Schwedens Hauptstadt Stockholm, die in diesem Jahr als erste Titelträgerin Europäische Umwelthauptsstadt (englisch: Green Capital) ist, eher eine gelbe denn eine grüne Kapitale. Die Nachmittagssonne unterstreicht dies, sie spiegelt sich auf dem Wasser und in den Fenstern der historischen Fassaden und verleiht der Altstadt einen Goldanstrich.

Beim Blick auf die Stadtstruktur zeigt sich ein Mosaik aus grün (Wälder/Parks), blau (Wasser) und grau (Gebäude). Es ist eines der Qualitätsmerkmale, die Stockholm zur Umwelthauptstadt machten. Ein anderes ist die Citymaut, die die Stadt eingeführt und damit den Straßenverkehr und die Lärmbelastung der Anwohner deutlich reduziert hat. Zudem besitzt die Stadt ein gut ausgebautes Fernwärmenetz, das fast 80 Prozent der Bürger versorgt.

"80 Prozent der Wärme gewinnen wir aus erneuerbaren Energien. Wir nutzen dazu Holzabfälle, weltweit gesammelte Olivenkerne, Öl aus Kiefern und auch Müll", sagt Jenny Dahlberg vom Betreiber Fortum. Der finnische Energieversorger hat in Stockholm zudem das wohl weltgrößte Netz zur Gebäudekühlung geschaffen. Wärmepumpen nutzen dazu die umliegenden Gewässer, "sie sind während des ganzen Jahres am Grund ungefähr vier Grad kalt", sagt Dahlberg.

Im fast fertiggestellten Vorzeige-Stadtteil Hammarby Sjöstad wird sogar die Wärme des Abwassernetzes per Wärmepumpe verwertet, sie heizt Gebäude. Der konsequente Ausbau des Fernwärmenetzes habe den größten Beitrag zum Klimaschutz geleistet, betont die Stadtverwaltung. Die Umrüstung von Ölheizungen auf Fernwärme habe seit 1990 insgesamt 593 000 Tonnen Treibhausgase eingespart, das Kühlnetz vermeide jährlich 50 000 Tonnen CO2 - zum Vergleich: Der jährliche Treibhausgasausstoß Schwedens liegt bei 63 Millionen Tonnen.

Seit einigen Jahren pilgern Stadtentwickler aus aller Welt nach Hammarby Sjöstad. Er liegt südlich der Innenstadt und steht auf ehemaligen Industrie- und Hafenflächen, nicht auf der grünen Wiese. 8000 Wohnungen sind dort bereits entstanden, 11 000 sollen es bis zum Endausbau 2017 werden. Das Ökokonzept des Stadtteils hat das Ziel, die Umweltbelastungen zu halbieren. Basierend auf diesen Erfahrungen soll ein neuer Stadtteil nordöstlich des Stadtzentrums jetzt noch einen Schritt weitergehen: Auf dem Areal des Projekts Stockholm Royal Seaport reiht sich eine Baustelle an die nächste. Einige Flächen sind bereits vorbereitet und planiert, an anderen Stellen werden Verkehrswege gebaut.

Der neue Stadtteil zwischen den Fährterminals und einem Grüngürtel mit schwedischer Wildnis, der das Terrain nahezu umschließt, soll den Vorgänger Hammarby Sjöstad noch in den Schatten stellen. Stockholm Royal Seaport soll 12 000 Wohnungen und 35 000 Arbeitsplätze beherbergen und vom Jahr 2030 an ohne fossile Energieträger auskommen. Das Stockholmer Zentrum sei per Fahrrad in acht Minuten ereichbar, versichern die Projektplaner des Stadtteils.

Der Grüngürtel, der die Stadt durchzieht, hat den Status eines städtischen Nationalparks und ist streng geschützt. Er besteht zum einen aus Freiflächen mit lockerem Baumbestand, zum anderen aus schwedischer Wildnis mit Birken, Nadelbäumen, Feuchtgebieten. Drei königliche Residenzen mit weitläufigen Parks und Wäldern liegen in diesem Terrain und verhinderten über Jahrhunderte, dass die Stadt in die grüne Lunge hineinwuchs. Sie ist ein Naturreservat inmitten der Stadt, in der 100 verschiedene Vogelarten brüten.

"Wegen der Grünbereiche und der Stockholmer Inselwelt denken Touristen, dass wir sehr naturfreundlich sind. Aber die Stadt könnte viel mehr tun. Das sieht man auch daran, dass die Natur in den Broschüren zur Umwelthauptstadt kaum vorkommt", sagen Maria Bergström und Linda Silfverberg von Stockholms größtem Umweltverband, Naturskyddsföreningen (Naturschutzverein). "Viele Bereiche sind nur deshalb grün, weil sie zu bergig sind, um sie zu bebauen", sagt Bergström.

Die Stadt rühme sich, dass sie für ihre Entwicklung ehemalige Industrieflächen nutze, doch gleichzeitig wachse der Druck auf die Grüngebiete, ergänzt Silfverberg. Dies gelte erst recht, seit eine rechtskonservative Regierung die Geschicke Stockholms lenkt.

Der Naturschützerin ist vor allem ein großes Straßenprojekt, eine Westumgehung der Stadt, ein Dorn im Auge. Und der City-Flughafen Bromma. "Seit Jahren gibt es Stimmen, den Flughafen der Geschäftsleute, der viele Menschen mit Lärm belastet, zu schließen. Das wäre ein perfekter Platz, um auf einem recycelten Gelände einen neuen ökologischen Vorzeige-Stadtteil zu bauen."