Im Quartier am Fährterminal sollen 15 000 Apartments entstehen

Stockholm. Mitten in der schwedischen Metropole Stockholm ist auf rund 150 Hektar Fläche ein ökologisches Vorzeige-Stadtviertel entstanden: Hammarby Sjöstad. Sein Vorbildcharakter verdankt es vor allem den Kreislaufsystemen: Müll und Abwasser sollen genutzt werden, um möglichst viel Energie und Rohstoffe aus den Abfallstoffen zu gewinnen, die in dem Viertel anfallen. So wird zum Beispiel das Abwasser zentral aufbereitet und die Restwärme zum Heizen genutzt. Aus den organischen Stoffen wird Biogas gewonnen, mit dem Gasherde oder Fahrzeuge betrieben werden. Der restliche Klärschlamm soll langfristig als Dünger dienen. Um den Autoverkehr zu verringern, wurde eine Straßenbahn gebaut, eine Fährverbindung zur City und ein Carsharing-System eingerichtet. Im Sommer werden die Bürogebäude mit Hilfe eines Wasserkreislaufs gekühlt.

Der neue Stadtteil ist noch nicht einmal fertiggestellt, da gilt bereits die Devise: Hammarby Sjöstad war gestern. Denn inzwischen gibt es ein Stadtentwicklungsprojekt mit Umweltzielen, die noch höher gesteckt sind: Stockholm Royal Seaport. Im neuen Quartier am Fährterminal im nordöstlichen Bereich der Innenstadt sollen im kommenden Jahrzehnt zwischen 10 000 und 15 000 Apartments und etwa 30 000 Arbeitsplätze entstehen.

Das wichtigste Projektziel ist der Klimaschutz. "Der Kohlendioxid-Ausstoß unserer Einwohner soll im Jahr 2020 bei höchstens 1,5 Tonnen pro Kopf liegen", sagt Daniel Carlsson-Mard vom Projektmarketing. "Stockholms Zielmarke für 2020 liegt bei drei Tonnen, derzeit sind es 3,4 Tonnen." Damit sind die Stockholmer schon besser als der schwedische Durchschnitt (4,6 Tonnen CO2/Person) und weit vor den Deutschen (9,7 t CO2/Person). Anno 2030 soll der neue Stadtteil dann komplett ohne fossile Energien auskommen - und weltweit Maßstäbe setzen, heißt es selbstbewusst im Internetauftritt der Stadt. Sie hat sich dieses Ziel für das Jahr 2050 vorgenommen.

Wie auch Hammarby Sjöstad wird Stockholm Royal Seaport auf ehemaligen Industrie- und Hafenflächen errichtet. Das Projekt folgt damit der in den 1980er-Jahren eingeführten Stadtpolitik, innenstadtnahe Wohnsiedlungen und Grünflächen zu schaffen und dafür aufgegebene Industrieflächen zu nutzen. "Sie bieten den Vorteil, dass die Infrastruktur schon da ist, haben jedoch den Nachteil, dass die Grundstücke möglicherweise mit Schadstoffen belastet sind und saniert werden müssen", sagt Carlsson-Mard. Doch habe auf dem Terrain des Projekts keine Schwerindustrie residiert, sondern eher kleine Industrie- und Gewerbebetriebe.

"Wir planen hier eine komplette neue City mit hoher Lebensqualität", schwärmt der PR-Fachmann. Durch den neuen Stadtteil werden Metros, Biogasbusse und Straßenbahnen fahren. Zudem ist er vom National Urban Park umgeben, einem städtischen Nationalpark. Die nach schwedischen Gesetzen streng geschützte Natur biete den Bewohnern beste Freizeitmöglichkeiten, verspricht Carlsson-Mard. "Aber die Nähe zum Park führte bereits dazu, dass wir die im ersten Bauabschnitt geplanten Gebäude, welche direkt am Parkrand stehen, umplanen mussten. Die Bebauung musste um 15 bis 20 Meter zurückweichen. Außerdem dürfen wir die erste Häuserreihe nur fünf und nicht wie bisher geplant sechsstöckig bauen."

Naturschützerin Maria Bergström mag den Aussagen der Werbestrategen und den Hochglanzprospekten nicht trauen: "Die Wohnungen werden zu teuer, es ist ein Stadtteil für die obere Mittelklasse. Und das Umweltprofil könnte noch geschärft werden. Solche Projekte sind oft Marketing-Instrumente, um an die begehrten stadtnahen Flächen heranzukommen, in Stockholm, aber auch in anderen Städten." Immerhin hat sie das Beispiel Hammarby Sjöstad durchaus überzeugt. Allerdings habe das Quartier bereits ein wenig an ökologischer Qualität eingebüßt, sagt die Mitarbeiterin von Stockholms größtem Naturschutzverband. "Der Stadtteil war fast ohne Parkplätze geplant worden. Nach vier Jahren unter konservativer Stadtregierung sind jetzt Tausende Plätze entstanden."

"Die Städte von morgen sind kompakt und gleichzeitig grün", betonte EU-Umweltkommissar Janez Potocnik kürzlich auf der Umwelthauptstadt-Konferenz 2010 in Stockholm. "Es gibt bereits gute Beispiele, vor allem in Skandinavien, wo das Planen und Bauen vorbildlich sind", lobte der Gast aus Brüssel.