Dazu Tipps, was Verbraucher selber machen können. Verschwendung von Lebensmitteln hat gigantische Ausmaße angenommen.

Hamburg. Thomas Schaack wollte vor einigen Tagen an einem Bäckerstand eine Laugenbrezel kaufen. "Es ist aber billiger, wenn Sie drei nehmen", sagte die Verkäuferin. "Ich möchte aber nur eine." - "Das ist aber teurer für Sie." - "Tut mir leid, bitte nur eine." - "Na ja, wie Sie wollen."

Schaack, Umweltbeauftragter der Nordelbischen Kirche, setzte sich durch. Aber er erfuhr, wie leicht einem Lebensmittel aufgeschwatzt werden, die am Ende womöglich in der Tonne landen.

Die Verschwendung von Lebensmitteln hat gigantische Ausmaße angenommen. Nach einer Studie der Universität Stuttgart für das Bundesernährungsministerium landen in Deutschland jedes Jahr 11 Millionen Tonnen Nahrungsmittel in Müll, Biotonne, Kompost oder Ausguss. Der größte Anteil, 61 Prozent, geht zu unseren Lasten: Die privaten Haushalte werfen jährlich 6,7 Millionen Tonnen weg - 82 Kilo pro Person, eine Einkaufsquittung über 235 Euro. Mehr als die Hälfte davon wäre vermeidbar. Weil vieles auf dem Weg vom Feld zum Esstisch vernichtet wird, gehen pessimistische Schätzungen sogar von bis zu 20 Millionen Tonnen aus. Der Filmemacher Valentin Thurn hat in seinem Streifen "Taste the waste" diese Fakten in erschreckende Bilder umgesetzt. Zehn Prozent aller verpackten Lebensmittel werden ungeöffnet weggeworfen. Kartoffeln bleiben liegen, weil sie zu klein, zu dick oder nicht rund genug sind. Weil unsere Brotregale auch um 18.30 Uhr noch gefüllt sein müssen, produzieren die Bäcker 500 000 Tonnen Brot für den Abfall. Was in Europa und Nordamerika im Müll landet, würde dreimal reichen, um alle Hungernden auf der Welt zu ernähren.

+++ Doppelt gebackene Kartoffel +++

+++ Frittata mit Spaghetti +++

+++ Scheiterhaufen +++

+++ Hier zeigt Kirche Engagement gegen Lebensmittelverschwendung +++

Für einen Christen wie Martin Rößler, Theologischer Referent im Kirchenkreis Hamburg-Ost, sind solche Zahlen schwer auszuhalten. Schließlich ist der sorgsame Umgang mit Lebensmitteln ein ureigenes christliches Thema. Es geht dabei um die Bewahrung der Schöpfung, den göttlichen Auftrag, die Erde zu schützen und zu ehren.

So verweist Martin Rößler auf Martin Luther, der fest glaubte, dass Gott den Menschen mit "Acker, Vieh und allen Gütern; mit allem, was nottut für Leib und Leben, reichlich und täglich versorgt". Rößler formuliert es aus heutiger Sicht so: "Essen soll nicht nur satt machen, sondern ist ein Symbol für das Gegebensein des Lebens."

Doch die Wertschätzung unseres täglich Brotes hat drastisch abgenommen. Umweltpastor Schaack sagt: "Der Anteil des Einkommens, den wir für den Erwerb von Lebensmitteln ausgeben, lag nach dem Zweiten Weltkrieg noch bei ungefähr 50 Prozent, jetzt sind es elf Prozent. Was billig ist, wird auch billig behandelt. Nur was man als rares Gut begreift, wird auch besonders geschätzt." Nur Fleisch sei noch relativ teuer - und damit wertvoll.

Es gab eine Zeit, da wurde gegessen, was auf den Tisch kommt. Rößler hält die Wertschätzung von Lebensmitteln durchaus für ein Generationsproblem: "Unsere Eltern scheuen sich, etwas wegzuwerfen, weil sie ganz andere Erfahrungen gemacht haben. Wir und noch mehr unsere Kinder sind im Gefühl aufgewachsen, dass alles, was man zum Leben braucht, da ist. Wir können froh sein, dass uns die Erfahrung von Hunger erspart geblieben ist. Aber diese Dankbarkeit müsste Hand in Hand gehen mit einer größeren Verantwortung für die Fülle, in der wir leben."

Umso wichtiger sei es, das Bewusstsein zu schärfen. "Wir dürfen uns nicht mehr von der Maxime leiten lassen, das Billigste sei auch das Beste. Wir müssen die Menschen überzeugen, dass es sinnvoller ist, weniger, aber dafür bessere Waren einzukaufen, am besten ökologisch und ethisch sinnvoll produziert." Aber das fällt schwer, wenn Discounter sich mit Billigwaren unterbieten, wenn das Geld nicht so locker sitzt.

Umweltpastor Schaack spricht noch einen anderen Aspekt an. "Das Erschreckende ist", sagt er, "dass wir mit der Verschwendung von Lebensmitteln im Grunde kein Problem haben. Das System aus Produktion und Handel kann gut mit dem Zustand leben. Zugespitzt könnte man sagen: Das System funktioniert deshalb so gut, weil wir so viel wegwerfen. Was sagt das über uns, dass wir bereit sind, so zu leben?"

In erster Linie zeigt es, dass sich unser Verhältnis zu Lebensmitteln entfremdet hat. Für manche scheint es sogar ein befreiendes Gefühl zu sein, den Kühlschrank leer zu räumen. Wurst, Käse, deren Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, weg zu werfen. Denn dann kann man mit Genuss neu auffüllen.

Dieses Verhalten hinterfragen Anzeigen der Bundesregierung. Dort starren uns Brot, Käse und Äpfel als traurige Gesichter an. "Zu gut für die Tonne", weisen sie auf unseren Umgang mit Lebensmitteln hin. "Wir leben in einer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft", sagt Ministerin Ilse Aigner. "Jeder von uns kann seinen Beitrag leisten." Die Kirchen sind mit an Bord. Auch sie wollen nicht taten- und hilflos bei der Verschwendung zuschauen. So gibt es in Hamburg viele Initiativen auf örtlicher Ebene. In Schleswig-Holstein läuft seit Februar die landesweite Kampagne "Bewusst einkaufen kann jeder" der Nordelbischen Kirche, die Verbraucher zu verantwortungsvollerem Umgang mit Nahrungsmitteln auffordert.

Aber es gibt auch kleine Veranstaltungen, wie die des "Ökumenischen Forums HafenCity". Zum Thema "Essen im Eimer - was ist uns unsere Nahrung wert" diskutierten Ulrich Ketelhodt, Fachreferent für Landwirtschaft und Ernährung im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt, und Markus Böcker, Leiter des neuen Edeka-Markts HafenCity.

Die Fragen der Zuhörer zeigte die große Verunsicherung unter den Verbrauchern: Was können wir gegen die Spekulation mit Lebensmitteln unternehmen? Müssen wir wertvolle Agrarflächen für Biosprit opfern? Was können wir überhaupt tun? Ulrich Ketelhodt appellierte an die Eigenverantwortung: "Wir sind alle Verbraucher." Und wir machen alle die gleichen Fehler: Falsche Einkaufsplanung, falsche Lagerung und natürlich der übervorsichtige Umgang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum. Ketelhodt gab seinen Zuhörern Nachdenkenswertes auf den Weg: "Unser Lebensstil kommt in die Krise. Noch können wir uns den Überfluss leisten."

Hier setzt die Kirche an. Martin Rößler sagt: "Was schon für den gesunden Menschenverstand ein Problem ist, ist es für einen evangelischen Christen erst recht. Lebensmittel, die wir wegwerfen, fehlen an anderen Orten."

Das Ernährungssystem ist ein globales Phänomen. "Wir haben im Grunde keine lokal funktionierende Landwirtschaft mehr", erklärt Schaack, "außer vielleicht im Ökolandbau. In der konventionellen Landwirtschaft gibt es, besonders bei der Tiermast, enorme Abhängigkeiten von Futtermittelproduzenten. Die europäische Landwirtschaft nutzt weltweit pro Einwohner der EU 2000 Quadratmeter Land mehr als die Fläche, über die sie eigentlich verfügt, vor allem, um irgendwo Futtermittel zu produzieren."Und diese Flächen stehen den Bauern in Entwicklungsländern nicht mehr zur Verfügung für den Anbau eigener Lebensmittel und die Versorgung ihrer Familien.

Aber diese weltweite Fehlentwicklung lässt sich nicht mal eben umkehren. "Es ist nicht so, dass das Brötchen, was ich wegwerfe, auch nach Afrika hätte geschickt werden können. Aber eine Milliarde Menschen auf der Welt leiden zeitlebens Hunger. Denen müssen wir Respekt entgegen bringen", sagt der Umwelpastor.

Diese Schieflage ist auch die Quelle des Engagements der Hilfsorganisation "Brot für die Welt" beim Diakonischen Werk. Linda Corleis ist Bildungsreferentin für "Brot für die Welt" in Hamburg. Sie versucht, die Menschen für die globalen Ungleichgewichte zu sensibilisieren. "Dramatische Zahlen wie jene 15000 Liter Wasser, die zur Herstellung von einem Kilo Rindfleisch verbraucht werden, oder die 145 Liter Wasser, die eine Tasse Kaffee 'kostet', machen jeden betroffen."

"Brot für die Welt" fordert, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft in der Entwicklungszusammenarbeit mehr berücksichtigt wird: "Die Kleinbauern sind es, die die Ernährung der Menschen weltweit sichern. Doch dafür brauchen sie Zugang zu Land, Wasser, Saatgut, Dünger und Vermarktungschancen. Wir müssen dafür sorgen, dass das fruchtbare Land der lokalen Bevölkerung und nicht den Großkonzernen zur Verfügung steht."

"Niemand is(s)t für sich allein", titelt die Ernährungskampagne von "Brot für die Welt". Der Zusammenhang zwischen der Armut, unserem Konsumverhalten und den Spielregeln des Welthandels liegt auf der Hand: "Erst wenn wir weniger wegwerfen, der Handel und die Wirtschaft die Lebensmittelnachfrage besser steuern und die Besitzverhältnisse der Flächen in den armen Ländern gerecht geregelt werden, haben die Kleinbauern weltweit mehr Land für den Anbau von Grundnahrungsmitteln und müssen nicht mehr hungern. Unser Tun und Handeln hat also ganz konkrete Auswirkungen."

Einen Versuch, vor Ort etwas zu ändern, übernehmen in Hamburg die Tafeln. Mehr als 600 Freiwillige sammeln bei Läden, Bäckereien und Supermärkten Lebensmittel ein, die sonst im Müll landen würden. 12 000 Haushalte in Hamburg sind bereits auf dieses Zubrot angewiesen.

Wolfgang Völker vom Referat Arbeitslosigkeit und Existenzsicherung stellt fest, dass die Nachfrage wächst. "Die Lebensmittel, die wir zur Verfügung stellen, schaffen den Bedürftigen wenigstens Spielräume", sagt Völker. "Etwa, sich eine HVV-Karte zu kaufen oder einem Kind mal einen Kinobesuch zu ermöglichen." Tafeln, stellt er klar, können die Armut nur lindern, sie aber nicht grundlegend bekämpfen. Deshalb mutet es fantastisch an, wenn Völker sein Ziel definiert: "Die Tafeln müssten Teil einer sozialpolitischen Bewegung werden, die dafür sorgt, dass sie sich selbst überflüssig machen." Zwar lebt die Tafel davon, dass Lebensmittel"entsorgt" werden, aber letztlich können sie die Verschwendung nicht stoppen.

Das Ziel muss sein, dass Menschen frühzeitig für das Problem sensibilisiert werden. Am besten schon als Kind.

Diese Aufgabe übernimmt das Haus am Schüberg in Ammersbek. Seit nunmehr zehn Jahren vermittelt der Kirchenkreis Hamburg-Ost in diesem Bildungszentrum Nachhaltigkeit und Einsatz für die Umwelt, oder eben die "Bewahrung der Schöpfung", und wurde dafür von der deutschen Unesco-Kommission ausgezeichnet. Zu den Schwerpunktfeldern des Bildungsreferenten Thomas Schönberger gehört auch die Ernährung. Er sagt: "Wir müssen die Lebensbedingungen so erhalten, dass Generationen nach uns mindestens die gleiche Chance haben. Wir wollen das Bewusstsein wecken, dass die Verfügbarkeit von Lebensmitteln nicht selbstverständlich ist. Die Lebenserfahrung hat uns geprägt: Wir kennen keinen Mangel."

Das Projekt Kita-Ökoplus führt zum Beispiel die Kleinsten an das Überlebensthema heran: "Kinder lernen von klein auf den respektvollen, bewussten und schonenden Umgang mit Lebensmitteln." Bereits 25 Kindertagesstätten beteiligen sich an dem Programm. Die Kinder pflanzen auf eigenen Beeten, lernen den Umgang mit Komposttonnen und verarbeiten selbst geerntete Lebensmittel. Schönberger hofft, "dass die Kinder ihre Eltern erziehen und eine Haltung annehmen, die sie später einmal verteidigen".

Auch die Katholische Schule Blankenese möchte Kindern ein Gefühl dafür geben, was es heißt, Gemüse selber anzubauen. Die Grundschule hat ein Stück Ackerfläche auf dem Schäferhof in Wedel gepachtet und lässt die Schüler aus ersten bis dritten Klassen regelmäßig Gemüsepflanzen säen und ernten. Eine Gartenpädagogin gibt Tipps zum Umgang mit Pflanzen.

Geht es nach Thomas Krätzig, ist ein veränderter Umgang mit Tieren, Pflanzen und der Umwelt unerlässlich. Der Gemeindeberater hat vor einem Jahr Luthers Zitat "Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen" wörtlich genommen und die Aktion "Reformation der Apfelbäume" ins Leben gerufen. Alles im Gedanken der Nachhaltigkeit.

Im vergangenen Herbst wurden am Reformationstag in der Kita Steglitzer Straße der Markus-Kirchengemeinde drei Apfelbäume gepflanzt, weitere stehen inzwischen in Rahlstedt und vielleicht auch bald in der HafenCity. Die Kinder lernen den Wert von Lebensmitteln kennen, stellen Apfelgelee oder Kompott selbst her. "Wenn wir schon nicht auf dem Land wohnen, wollen wir wenigstens gegen das Klischee von der 'lila Kuh' angehen." Das versteht er unter Bewahrung der Schöpfung: "Man muss selbst aktiv werden und Verantwortung übernehmen." Krätzigs Vision ist eine Apfelbaumachse quer durch Hamburg - von Harburg bis Langenhorn, von Wandsbek bis Eimsbüttel.

Und was können wir, die Verbraucher nun tun? "Eine ganze Menge", sagt Linda Corleis von "Brot für die Welt". "Denn der Handel reagiert sofort, wenn nur zehn Prozent der Kunden ihr Einkaufsverhalten ändern. Es geht darum, Mut zu machen: Ich als einzelner kann doch etwas bewirken."

Dabei sollte man sich an vier Kriterien halten: Regionale Produkte kaufen, auf biologische Erzeugung achten, nur jahreszeitliche Produkte der laufenden Saison verwenden und Lebensmittel, die in Deutschland nicht angebaut werden, wenigstens aus fairem Handel erwerben.

Umweltpastor Thomas Schaack hat einen ganz einfachen Tipp: "Gehen Sie niemals hungrig einkaufen gehen! Gegen einen leeren Magen kommt man nicht an."

Am Ende helfen wir uns mit einem bewussten Handeln selbst. Der Schriftsteller John Knittel hat einmal bemerkt: "Wo Verschwendung herrscht, gibt es keine Nächstenliebe."